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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838.

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Meditation und Composition. Dieß wird noch deutlicher, wenn
wir das Entgegengesezte denken, also einen Entschluß, der noch
nicht mit voller Lebhaftigkeit des Bewußtseins auch den einzelnen
Inhalt in sich schließt. In diesem Falle wird der einzelne Inhalt
erst durch die Fortwirkung der Elemente des Entschlusses, er ent-
wickelt sich weiter, indem er sich wiederholt. Nun ist aber oben
gesagr worden, es gebe eine Form, die wir als die der größten
Passivität ansehen, wo man die Entwicklung des im Entschluß
Liegenden den Umständen überläßt. Da entstehen Gedanken, die
dem Entschlusse angehören, oder gelegentliche und im Zusammen-
hang mit der Gedankenentwicklung, zu der wir von andern Sei-
ten aufgefordert werden. Da tritt aber die Differenz ein, daß
diejenigen Gedanken, welche in dem ursprünglichen Impuls ge-
legen haben, sich leichter in die bestimmte Form bringen lassen,
diejenigen aber, welche mehr Gelegentliches an sich haben, schwie-
riger, und das werden solche sein, welche in der Form nur als
Ausschweifung erscheinen können, wegen des fremden Elements,
das ihrer Genesis anklebt. Diese Elemente werden sich leicht un-
terscheiden lassen, so wie man die Hauptgedanken und die wesent-
lichste Gliederung desselben erkannt hat und festhält, welches bei-
des sich aus der Übersicht ergeben muß.

Aber hiebei ist gleich auch auf den Unterschied der Form
Rücksicht zu nehmen, weil in dem Auffassen des ersten Akts und
dem Zusammenfassen der Elemente durch die Form eine große
Verschiedenheit eintritt. Der wesentliche Unterschied ist der zwi-
schen Prosa und Poesie. Was die Poesie betrifft, so zeigt sich
darin leicht was wesentlich der Meditation und was wesentlich der
Composition angehört, denn es liegt hier völlig auseinander. Den-
ken wir uns ein Gedicht von etwas größerem Umfange, so ist
gar nicht anzunehmen, daß es im ersten Willensakt vollständig
vorbedacht ist. Die Gedanken sind in dem ersten Willensakte nur
punktirt. Sie müssen bei der Composition umgeworfen werden.
Darum ist eben die Composition nicht der Zeit nach, sondern nur
der unmittelbaren Beziehung nach Ein Akt. In der Prosa ist

Meditation und Compoſition. Dieß wird noch deutlicher, wenn
wir das Entgegengeſezte denken, alſo einen Entſchluß, der noch
nicht mit voller Lebhaftigkeit des Bewußtſeins auch den einzelnen
Inhalt in ſich ſchließt. In dieſem Falle wird der einzelne Inhalt
erſt durch die Fortwirkung der Elemente des Entſchluſſes, er ent-
wickelt ſich weiter, indem er ſich wiederholt. Nun iſt aber oben
geſagr worden, es gebe eine Form, die wir als die der groͤßten
Paſſivitaͤt anſehen, wo man die Entwicklung des im Entſchluß
Liegenden den Umſtaͤnden uͤberlaͤßt. Da entſtehen Gedanken, die
dem Entſchluſſe angehoͤren, oder gelegentliche und im Zuſammen-
hang mit der Gedankenentwicklung, zu der wir von andern Sei-
ten aufgefordert werden. Da tritt aber die Differenz ein, daß
diejenigen Gedanken, welche in dem urſpruͤnglichen Impuls ge-
legen haben, ſich leichter in die beſtimmte Form bringen laſſen,
diejenigen aber, welche mehr Gelegentliches an ſich haben, ſchwie-
riger, und das werden ſolche ſein, welche in der Form nur als
Ausſchweifung erſcheinen koͤnnen, wegen des fremden Elements,
das ihrer Geneſis anklebt. Dieſe Elemente werden ſich leicht un-
terſcheiden laſſen, ſo wie man die Hauptgedanken und die weſent-
lichſte Gliederung deſſelben erkannt hat und feſthaͤlt, welches bei-
des ſich aus der Überſicht ergeben muß.

Aber hiebei iſt gleich auch auf den Unterſchied der Form
Ruͤckſicht zu nehmen, weil in dem Auffaſſen des erſten Akts und
dem Zuſammenfaſſen der Elemente durch die Form eine große
Verſchiedenheit eintritt. Der weſentliche Unterſchied iſt der zwi-
ſchen Proſa und Poeſie. Was die Poeſie betrifft, ſo zeigt ſich
darin leicht was weſentlich der Meditation und was weſentlich der
Compoſition angehoͤrt, denn es liegt hier voͤllig auseinander. Den-
ken wir uns ein Gedicht von etwas groͤßerem Umfange, ſo iſt
gar nicht anzunehmen, daß es im erſten Willensakt vollſtaͤndig
vorbedacht iſt. Die Gedanken ſind in dem erſten Willensakte nur
punktirt. Sie muͤſſen bei der Compoſition umgeworfen werden.
Darum iſt eben die Compoſition nicht der Zeit nach, ſondern nur
der unmittelbaren Beziehung nach Ein Akt. In der Proſa iſt

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[206/0230] Meditation und Compoſition. Dieß wird noch deutlicher, wenn wir das Entgegengeſezte denken, alſo einen Entſchluß, der noch nicht mit voller Lebhaftigkeit des Bewußtſeins auch den einzelnen Inhalt in ſich ſchließt. In dieſem Falle wird der einzelne Inhalt erſt durch die Fortwirkung der Elemente des Entſchluſſes, er ent- wickelt ſich weiter, indem er ſich wiederholt. Nun iſt aber oben geſagr worden, es gebe eine Form, die wir als die der groͤßten Paſſivitaͤt anſehen, wo man die Entwicklung des im Entſchluß Liegenden den Umſtaͤnden uͤberlaͤßt. Da entſtehen Gedanken, die dem Entſchluſſe angehoͤren, oder gelegentliche und im Zuſammen- hang mit der Gedankenentwicklung, zu der wir von andern Sei- ten aufgefordert werden. Da tritt aber die Differenz ein, daß diejenigen Gedanken, welche in dem urſpruͤnglichen Impuls ge- legen haben, ſich leichter in die beſtimmte Form bringen laſſen, diejenigen aber, welche mehr Gelegentliches an ſich haben, ſchwie- riger, und das werden ſolche ſein, welche in der Form nur als Ausſchweifung erſcheinen koͤnnen, wegen des fremden Elements, das ihrer Geneſis anklebt. Dieſe Elemente werden ſich leicht un- terſcheiden laſſen, ſo wie man die Hauptgedanken und die weſent- lichſte Gliederung deſſelben erkannt hat und feſthaͤlt, welches bei- des ſich aus der Überſicht ergeben muß. Aber hiebei iſt gleich auch auf den Unterſchied der Form Ruͤckſicht zu nehmen, weil in dem Auffaſſen des erſten Akts und dem Zuſammenfaſſen der Elemente durch die Form eine große Verſchiedenheit eintritt. Der weſentliche Unterſchied iſt der zwi- ſchen Proſa und Poeſie. Was die Poeſie betrifft, ſo zeigt ſich darin leicht was weſentlich der Meditation und was weſentlich der Compoſition angehoͤrt, denn es liegt hier voͤllig auseinander. Den- ken wir uns ein Gedicht von etwas groͤßerem Umfange, ſo iſt gar nicht anzunehmen, daß es im erſten Willensakt vollſtaͤndig vorbedacht iſt. Die Gedanken ſind in dem erſten Willensakte nur punktirt. Sie muͤſſen bei der Compoſition umgeworfen werden. Darum iſt eben die Compoſition nicht der Zeit nach, ſondern nur der unmittelbaren Beziehung nach Ein Akt. In der Proſa iſt

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Zitationshilfe: Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/230>, abgerufen am 05.12.2024.