den können, sind Gegenstand der technischen Auslegung. Diese unterscheidet sich von der grammatischen so, daß während auf der grammatischen Seite der Einzelne der Ort ist, in welchem die Sprache lebendig wird, auf der technischen Seite von der Sprache unmittelbar nicht die Rede ist. Allein, was wir als Ent- wicklung von dem ersten Keime aus betrachten, muß doch Sprache geworden sein. Hier ist die Sprache die lebendige That des Einzelnen, sein Wille hat das Einzelne darin producirt, durch die Gewalt der psy- chologischen Thatsache kommt eine Zusammenstellung von Elementen, die noch nicht zusammengewesen sind, zu Stande. Es entstehen durch die Gewalt, die der Einzelne in der Sprache ausübt, Erweiterungen und Contractionen der Sprachelemente nach der logischen Seite hin. Betrachten wir die Entstehung der Composition, so ist es hier freilich anders. Hier sind die allgemeinen Geseze der Ord- nung im Denken anzuwenden. Zuvor aber muß ich den Schrift- steller doch auch in seiner Meditation verstehen. Dieß ist aber eine Aufgabe, deren Gegenstand beinahe unsichtbar ist und nur auf Conjectur zu beruhen scheint. Wir können wol leicht sagen, die hier vorhandenen Gedanken gehören zur Sache, man muß nur sehen, wie sie geordnet sind. Aber schwierig ist es, zu sagen, was und wie der Verfasser über diesen oder jenen Gegenstand gedacht habe, denn jeder Gegenstand läßt sich auf verschiedene Weise verfolgen. Hier sind wir auf dem unsichtbaren Gebiete der Meditation, wo es auch darauf ankommt zu wissen, was der Schriftsteller auch verworfen hat, obgleich es aus dem Grund- gedanken hervorging. Jede Schrift hat ihre eigenthümliche gene- tische Reihe und ursprünglich ist darin die Ordnung, in der die einzelnen Gedanken gedacht sind. Aber in der Mittheilung kann sie vielleicht eine andere sein. Hier kommen wir auf den Unter- schied zwischen Meditation und Composition. Daß der Unterschied zwischen beiden veränderlich ist, das hat seinen Grund in dem ersten Willensakt. Dieser kann als Moment betrachtet mehr und weniger in sich schließen. Er kann eine solche Leben- digkeit haben, daß das Ganze in seinen Hauptzügen im Bewußt-
den koͤnnen, ſind Gegenſtand der techniſchen Auslegung. Dieſe unterſcheidet ſich von der grammatiſchen ſo, daß waͤhrend auf der grammatiſchen Seite der Einzelne der Ort iſt, in welchem die Sprache lebendig wird, auf der techniſchen Seite von der Sprache unmittelbar nicht die Rede iſt. Allein, was wir als Ent- wicklung von dem erſten Keime aus betrachten, muß doch Sprache geworden ſein. Hier iſt die Sprache die lebendige That des Einzelnen, ſein Wille hat das Einzelne darin producirt, durch die Gewalt der pſy- chologiſchen Thatſache kommt eine Zuſammenſtellung von Elementen, die noch nicht zuſammengeweſen ſind, zu Stande. Es entſtehen durch die Gewalt, die der Einzelne in der Sprache ausuͤbt, Erweiterungen und Contractionen der Sprachelemente nach der logiſchen Seite hin. Betrachten wir die Entſtehung der Compoſition, ſo iſt es hier freilich anders. Hier ſind die allgemeinen Geſeze der Ord- nung im Denken anzuwenden. Zuvor aber muß ich den Schrift- ſteller doch auch in ſeiner Meditation verſtehen. Dieß iſt aber eine Aufgabe, deren Gegenſtand beinahe unſichtbar iſt und nur auf Conjectur zu beruhen ſcheint. Wir koͤnnen wol leicht ſagen, die hier vorhandenen Gedanken gehoͤren zur Sache, man muß nur ſehen, wie ſie geordnet ſind. Aber ſchwierig iſt es, zu ſagen, was und wie der Verfaſſer uͤber dieſen oder jenen Gegenſtand gedacht habe, denn jeder Gegenſtand laͤßt ſich auf verſchiedene Weiſe verfolgen. Hier ſind wir auf dem unſichtbaren Gebiete der Meditation, wo es auch darauf ankommt zu wiſſen, was der Schriftſteller auch verworfen hat, obgleich es aus dem Grund- gedanken hervorging. Jede Schrift hat ihre eigenthuͤmliche gene- tiſche Reihe und urſpruͤnglich iſt darin die Ordnung, in der die einzelnen Gedanken gedacht ſind. Aber in der Mittheilung kann ſie vielleicht eine andere ſein. Hier kommen wir auf den Unter- ſchied zwiſchen Meditation und Compoſition. Daß der Unterſchied zwiſchen beiden veraͤnderlich iſt, das hat ſeinen Grund in dem erſten Willensakt. Dieſer kann als Moment betrachtet mehr und weniger in ſich ſchließen. Er kann eine ſolche Leben- digkeit haben, daß das Ganze in ſeinen Hauptzuͤgen im Bewußt-
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den koͤnnen, ſind Gegenſtand der techniſchen Auslegung. Dieſe
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der grammatiſchen Seite der Einzelne der Ort iſt, in welchem
die Sprache lebendig wird, auf der techniſchen Seite von der
Sprache unmittelbar nicht die Rede iſt. Allein, was wir als Ent-
wicklung von dem erſten Keime aus betrachten, muß doch Sprache
geworden ſein. Hier iſt die Sprache die lebendige That des Einzelnen,
ſein Wille hat das Einzelne darin producirt, durch die Gewalt der pſy-
chologiſchen Thatſache kommt eine Zuſammenſtellung von Elementen,
die noch nicht zuſammengeweſen ſind, zu Stande. Es entſtehen durch
die Gewalt, die der Einzelne in der Sprache ausuͤbt, Erweiterungen
und Contractionen der Sprachelemente nach der logiſchen Seite
hin. Betrachten wir die Entſtehung der Compoſition, ſo iſt es
hier freilich anders. Hier ſind die allgemeinen Geſeze der Ord-
nung im Denken anzuwenden. Zuvor aber muß ich den Schrift-
ſteller doch auch in ſeiner Meditation verſtehen. Dieß iſt aber
eine Aufgabe, deren Gegenſtand beinahe unſichtbar iſt und nur
auf Conjectur zu beruhen ſcheint. Wir koͤnnen wol leicht ſagen,
die hier vorhandenen Gedanken gehoͤren zur Sache, man muß
nur ſehen, wie ſie geordnet ſind. Aber ſchwierig iſt es, zu ſagen,
was und wie der Verfaſſer uͤber dieſen oder jenen Gegenſtand
gedacht habe, denn jeder Gegenſtand laͤßt ſich auf verſchiedene
Weiſe verfolgen. Hier ſind wir auf dem unſichtbaren Gebiete
der Meditation, wo es auch darauf ankommt zu wiſſen, was
der Schriftſteller auch verworfen hat, obgleich es aus dem Grund-
gedanken hervorging. Jede Schrift hat ihre eigenthuͤmliche gene-
tiſche Reihe und urſpruͤnglich iſt darin die Ordnung, in der die
einzelnen Gedanken gedacht ſind. Aber in der Mittheilung kann
ſie vielleicht eine andere ſein. Hier kommen wir auf den Unter-
ſchied zwiſchen Meditation und Compoſition. Daß der Unterſchied
zwiſchen beiden veraͤnderlich iſt, das hat ſeinen Grund in
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/225>, abgerufen am 05.12.2024.
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