nicht als Ausnahme. Da wechseln denn auch die Regeln der Auslegung, je nachdem das eine oder das andere eintritt.
Bei der Formbestimmung der rein freien Mittheilung gingen wir davon aus, daß der Gegensaz zwischen Haupt- und Neben- gedanken darin nicht wirksam sei, -- nicht als wenn jene Form die- sen Gegensaz gar nicht zulasse, sondern weil er für diese Schrift- art nicht constitutiv ist. Da giebt es also durchaus keinen Faden, den man verfolgen könnte. Damit wird aber unsere Aufgabe, die Einheit zu finden, Null; es wird damit eben nur gesagt, daß eine wirkliche Einheit gar nicht vorhanden sei. Construiren wir uns den ursprünglichen Willensakt, so ist er im Schreibenden die Erfüllung eines Moments, der ihn schon in einem bestimmten Zustande findet. Es tritt der Impuls zur Mittheilung in ein von anderwärts her erfülltes Gemüth ein und nun hat der Im- puls doch eine Richtung, nemlich an die und die Personen. So ist also die unbestimmte freie Mittheilung keine unbeschränkte Li- cenz, sondern vernünftiger Weise muß alles Einzelne begriffen wer- den können, wenn der Zustand des Schreibenden, und von der Be- schaffenheit derer, an welche die Mittheilung gerichtet ist, ein Bild gegeben ist. Was damit nicht zusammenhängt, ist aus dem bestimmten Entschlusse nicht entstanden, und so ergiebt sich eine bestimmte Begränzung, doch in derselben eine Duplicität, so daß entweder alle Elemente der Mittheilung sich rein aus dem Zu- stande des Schreibenden begreifen lassen, und dabei der Unter- schied, ob sie diesem oder jenem zugedacht war, ein Minimum ist, oder umgekehrt so, daß im Moment des Impulses von außen der Zustand des Schreibenden mehr und weniger indifferent ist. Im ersteren Falle ist der Schreibende zugleich der Gegenstand und alles zu begreifen aus seinen Verhältnissen, im anderen Falle ist der, an den geschrieben wird, der Gegenstand und alles zu ver- stehen aus der Kenntniß, die man von diesem hat. Zwischen diesen Extremen läßt sich eine Indifferenz denken, ein Wechsel solcher Momente, in welchen der Schreibende sich und seinen momentanen Zustand manifestirt, -- und solcher, wo er aufgeht in das Bewußtsein,
nicht als Ausnahme. Da wechſeln denn auch die Regeln der Auslegung, je nachdem das eine oder das andere eintritt.
Bei der Formbeſtimmung der rein freien Mittheilung gingen wir davon aus, daß der Gegenſaz zwiſchen Haupt- und Neben- gedanken darin nicht wirkſam ſei, — nicht als wenn jene Form die- ſen Gegenſaz gar nicht zulaſſe, ſondern weil er fuͤr dieſe Schrift- art nicht conſtitutiv iſt. Da giebt es alſo durchaus keinen Faden, den man verfolgen koͤnnte. Damit wird aber unſere Aufgabe, die Einheit zu finden, Null; es wird damit eben nur geſagt, daß eine wirkliche Einheit gar nicht vorhanden ſei. Conſtruiren wir uns den urſpruͤnglichen Willensakt, ſo iſt er im Schreibenden die Erfuͤllung eines Moments, der ihn ſchon in einem beſtimmten Zuſtande findet. Es tritt der Impuls zur Mittheilung in ein von anderwaͤrts her erfuͤlltes Gemuͤth ein und nun hat der Im- puls doch eine Richtung, nemlich an die und die Perſonen. So iſt alſo die unbeſtimmte freie Mittheilung keine unbeſchraͤnkte Li- cenz, ſondern vernuͤnftiger Weiſe muß alles Einzelne begriffen wer- den koͤnnen, wenn der Zuſtand des Schreibenden, und von der Be- ſchaffenheit derer, an welche die Mittheilung gerichtet iſt, ein Bild gegeben iſt. Was damit nicht zuſammenhaͤngt, iſt aus dem beſtimmten Entſchluſſe nicht entſtanden, und ſo ergiebt ſich eine beſtimmte Begraͤnzung, doch in derſelben eine Duplicitaͤt, ſo daß entweder alle Elemente der Mittheilung ſich rein aus dem Zu- ſtande des Schreibenden begreifen laſſen, und dabei der Unter- ſchied, ob ſie dieſem oder jenem zugedacht war, ein Minimum iſt, oder umgekehrt ſo, daß im Moment des Impulſes von außen der Zuſtand des Schreibenden mehr und weniger indifferent iſt. Im erſteren Falle iſt der Schreibende zugleich der Gegenſtand und alles zu begreifen aus ſeinen Verhaͤltniſſen, im anderen Falle iſt der, an den geſchrieben wird, der Gegenſtand und alles zu ver- ſtehen aus der Kenntniß, die man von dieſem hat. Zwiſchen dieſen Extremen laͤßt ſich eine Indifferenz denken, ein Wechſel ſolcher Momente, in welchen der Schreibende ſich und ſeinen momentanen Zuſtand manifeſtirt, — und ſolcher, wo er aufgeht in das Bewußtſein,
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nicht als Ausnahme. Da wechſeln denn auch die Regeln der
Auslegung, je nachdem das eine oder das andere eintritt.
Bei der Formbeſtimmung der rein freien Mittheilung gingen
wir davon aus, daß der Gegenſaz zwiſchen Haupt- und Neben-
gedanken darin nicht wirkſam ſei, — nicht als wenn jene Form die-
ſen Gegenſaz gar nicht zulaſſe, ſondern weil er fuͤr dieſe Schrift-
art nicht conſtitutiv iſt. Da giebt es alſo durchaus keinen Faden,
den man verfolgen koͤnnte. Damit wird aber unſere Aufgabe,
die Einheit zu finden, Null; es wird damit eben nur geſagt, daß
eine wirkliche Einheit gar nicht vorhanden ſei. Conſtruiren wir
uns den urſpruͤnglichen Willensakt, ſo iſt er im Schreibenden
die Erfuͤllung eines Moments, der ihn ſchon in einem beſtimmten
Zuſtande findet. Es tritt der Impuls zur Mittheilung in ein
von anderwaͤrts her erfuͤlltes Gemuͤth ein und nun hat der Im-
puls doch eine Richtung, nemlich an die und die Perſonen. So
iſt alſo die unbeſtimmte freie Mittheilung keine unbeſchraͤnkte Li-
cenz, ſondern vernuͤnftiger Weiſe muß alles Einzelne begriffen wer-
den koͤnnen, wenn der Zuſtand des Schreibenden, und von der Be-
ſchaffenheit derer, an welche die Mittheilung gerichtet iſt, ein
Bild gegeben iſt. Was damit nicht zuſammenhaͤngt, iſt aus dem
beſtimmten Entſchluſſe nicht entſtanden, und ſo ergiebt ſich eine
beſtimmte Begraͤnzung, doch in derſelben eine Duplicitaͤt, ſo daß
entweder alle Elemente der Mittheilung ſich rein aus dem Zu-
ſtande des Schreibenden begreifen laſſen, und dabei der Unter-
ſchied, ob ſie dieſem oder jenem zugedacht war, ein Minimum
iſt, oder umgekehrt ſo, daß im Moment des Impulſes von außen
der Zuſtand des Schreibenden mehr und weniger indifferent iſt.
Im erſteren Falle iſt der Schreibende zugleich der Gegenſtand und
alles zu begreifen aus ſeinen Verhaͤltniſſen, im anderen Falle iſt
der, an den geſchrieben wird, der Gegenſtand und alles zu ver-
ſtehen aus der Kenntniß, die man von dieſem hat. Zwiſchen dieſen
Extremen laͤßt ſich eine Indifferenz denken, ein Wechſel ſolcher
Momente, in welchen der Schreibende ſich und ſeinen momentanen
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/205>, abgerufen am 05.12.2024.
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