so hat die Reihe ein Ende. Im ersten Falle ist das Individuelle, rein Psychologische vorherrschend, in dem zweiten das Bewußt- sein eines bestimmten Fortschreitens nach einem Ziel, das Resultat ein vorbedachtes, methodisches, technisches. Darnach zerfällt die hermeneutische Aufgabe auf dieser Seite in die rein psycholo- gische und in die technische.
Jeder Mensch ist bisweilen wenn auch nur innerlich in einem solchen Vorstellungszustande, den wir, auf den eigentlichen Lebens- gehalt gesehen, für Null rechnen. Nehmen solche Zustände über- hand, so wird dadurch der reale Lebensgehalt des Subjects ver- ringert. Man nennt einen solchen zerstreuet, er ist, sagt man, in Gedanken, d. h. in solchen die sich eigentlich auf Null redu- ciren. So lange ein solcher Zustand ein innerlicher ist, ist er natürlich kein Gegenstand für unsere Theorie. Allein wie steht es um unser, gewöhnliches Umgangsgespräch? Wenn dasselbe nicht irgend ein Geschäft ist, so daß ein bestimmter Gegenstand erörtert wird und somit eine Tendenz entsteht, werden eben nur Vorstel- lungen ausgetauscht, oft ohne unmittelbare Beziehung, so daß was der eine sagt keinen nothwendigen Einfluß hat auf die Ge- dankenentstehung in dem andern, man spricht mehr neben, als zu einander. Aber selbst ein so freies, loses Gespräch ist schon Gegenstand der Auslegung und gerade in Beziehung auf un- sere Aufgabe ein sehr intricates. Je mehr einer aus sich selbst redet, und der Grund seiner Combinationen rein in ihm selbst liegt, desto mehr entsteht die Frage, wie derselbe wol dazu ge- kommen sei. Es kommt vor, daß man zu wissen meint, wie der andere wol auf das, was man zu ihm sagt, antworten werde. Es ist etwas bedeutendes, wenn Jemand die Fertigkeit hat, die Succession der Vorstellungen eines Andern als Thatsache seiner Individualität zu verstehen. Litterarisch betrachtet hat dieß frei- lich keinen Werth, weil das rein freie Gedankenspiel nicht leicht litterarisch wird. Allein analog ist auf dem litterarischen Gebiete der rein freundschaftliche Brief. Solche Briefe von bedeutenden Männern machen keinen kleinen Theil unserer Litteratur aus.
ſo hat die Reihe ein Ende. Im erſten Falle iſt das Individuelle, rein Pſychologiſche vorherrſchend, in dem zweiten das Bewußt- ſein eines beſtimmten Fortſchreitens nach einem Ziel, das Reſultat ein vorbedachtes, methodiſches, techniſches. Darnach zerfaͤllt die hermeneutiſche Aufgabe auf dieſer Seite in die rein pſycholo- giſche und in die techniſche.
Jeder Menſch iſt bisweilen wenn auch nur innerlich in einem ſolchen Vorſtellungszuſtande, den wir, auf den eigentlichen Lebens- gehalt geſehen, fuͤr Null rechnen. Nehmen ſolche Zuſtaͤnde uͤber- hand, ſo wird dadurch der reale Lebensgehalt des Subjects ver- ringert. Man nennt einen ſolchen zerſtreuet, er iſt, ſagt man, in Gedanken, d. h. in ſolchen die ſich eigentlich auf Null redu- ciren. So lange ein ſolcher Zuſtand ein innerlicher iſt, iſt er natuͤrlich kein Gegenſtand fuͤr unſere Theorie. Allein wie ſteht es um unſer, gewoͤhnliches Umgangsgeſpraͤch? Wenn daſſelbe nicht irgend ein Geſchaͤft iſt, ſo daß ein beſtimmter Gegenſtand eroͤrtert wird und ſomit eine Tendenz entſteht, werden eben nur Vorſtel- lungen ausgetauſcht, oft ohne unmittelbare Beziehung, ſo daß was der eine ſagt keinen nothwendigen Einfluß hat auf die Ge- dankenentſtehung in dem andern, man ſpricht mehr neben, als zu einander. Aber ſelbſt ein ſo freies, loſes Geſpraͤch iſt ſchon Gegenſtand der Auslegung und gerade in Beziehung auf un- ſere Aufgabe ein ſehr intricates. Je mehr einer aus ſich ſelbſt redet, und der Grund ſeiner Combinationen rein in ihm ſelbſt liegt, deſto mehr entſteht die Frage, wie derſelbe wol dazu ge- kommen ſei. Es kommt vor, daß man zu wiſſen meint, wie der andere wol auf das, was man zu ihm ſagt, antworten werde. Es iſt etwas bedeutendes, wenn Jemand die Fertigkeit hat, die Succeſſion der Vorſtellungen eines Andern als Thatſache ſeiner Individualitaͤt zu verſtehen. Litterariſch betrachtet hat dieß frei- lich keinen Werth, weil das rein freie Gedankenſpiel nicht leicht litterariſch wird. Allein analog iſt auf dem litterariſchen Gebiete der rein freundſchaftliche Brief. Solche Briefe von bedeutenden Maͤnnern machen keinen kleinen Theil unſerer Litteratur aus.
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ſo hat die Reihe ein Ende. Im erſten Falle iſt das Individuelle,
rein Pſychologiſche vorherrſchend, in dem zweiten das Bewußt-
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ein vorbedachtes, methodiſches, techniſches. Darnach zerfaͤllt die
hermeneutiſche Aufgabe auf dieſer Seite in die rein pſycholo-
giſche und in die techniſche.
Jeder Menſch iſt bisweilen wenn auch nur innerlich in einem
ſolchen Vorſtellungszuſtande, den wir, auf den eigentlichen Lebens-
gehalt geſehen, fuͤr Null rechnen. Nehmen ſolche Zuſtaͤnde uͤber-
hand, ſo wird dadurch der reale Lebensgehalt des Subjects ver-
ringert. Man nennt einen ſolchen zerſtreuet, er iſt, ſagt man,
in Gedanken, d. h. in ſolchen die ſich eigentlich auf Null redu-
ciren. So lange ein ſolcher Zuſtand ein innerlicher iſt, iſt er
natuͤrlich kein Gegenſtand fuͤr unſere Theorie. Allein wie ſteht es
um unſer, gewoͤhnliches Umgangsgeſpraͤch? Wenn daſſelbe nicht
irgend ein Geſchaͤft iſt, ſo daß ein beſtimmter Gegenſtand eroͤrtert
wird und ſomit eine Tendenz entſteht, werden eben nur Vorſtel-
lungen ausgetauſcht, oft ohne unmittelbare Beziehung, ſo daß
was der eine ſagt keinen nothwendigen Einfluß hat auf die Ge-
dankenentſtehung in dem andern, man ſpricht mehr neben, als
zu einander. Aber ſelbſt ein ſo freies, loſes Geſpraͤch iſt ſchon
Gegenſtand der Auslegung und gerade in Beziehung auf un-
ſere Aufgabe ein ſehr intricates. Je mehr einer aus ſich ſelbſt
redet, und der Grund ſeiner Combinationen rein in ihm ſelbſt
liegt, deſto mehr entſteht die Frage, wie derſelbe wol dazu ge-
kommen ſei. Es kommt vor, daß man zu wiſſen meint, wie der
andere wol auf das, was man zu ihm ſagt, antworten werde.
Es iſt etwas bedeutendes, wenn Jemand die Fertigkeit hat, die
Succeſſion der Vorſtellungen eines Andern als Thatſache ſeiner
Individualitaͤt zu verſtehen. Litterariſch betrachtet hat dieß frei-
lich keinen Werth, weil das rein freie Gedankenſpiel nicht leicht
litterariſch wird. Allein analog iſt auf dem litterariſchen Gebiete
der rein freundſchaftliche Brief. Solche Briefe von bedeutenden
Maͤnnern machen keinen kleinen Theil unſerer Litteratur aus.
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/173>, abgerufen am 05.12.2024.
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