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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838.

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Zu dem ersten ist mitzurechnen der Zustand, worin sich die
bestimmte Gattung der das Werk angehört vor seiner Zeit be-
fand; zu dem zweiten was auf diesem bestimmten und nächst-
angrenzenden Gebiete üblich war. Also ein genaues Verständ-
niß dieser Art ohne Kenntniß der gleichzeitigen verwandten
Litteratur und dessen was dem Verf. als früheres Muster des
Styls gegeben war. Ein solches zusammenhängendes Studium
kann in Beziehung auf diese Seite der Auslegung durch nichts
ersezt werden.

Das dritte ist zwar sehr mühsam, aber da es nicht leicht
anders als aus der dritten Hand, also mit Urtheil vermischt
ist, welches erst durch ähnliche Auslegung geschäzt werden kann,
so muß man es entbehren können. Lebensbeschreibungen der
Verfasser sind ursprünglich wol aus dieser Absicht ihren Werken
beigefügt worden, allein gewöhnlich wird diese Beziehung über-
sehen. Auf das Nothwendigste von den beiden andern Punkten
sollen allerdings zweckmäßige Prolegomena aufmerksam machen.

Aus diesen Vorkenntnissen entsteht bei der ersten Übersicht
des Werkes eine vorläufige Vorstellung davon worin das Eigen-
thümliche vorzüglich zu suchen sei.

6. Für das ganze Geschäft giebt es vom ersten An-
fang an zwei Methoden, die divinatorische und die compa-
rative, welche aber wie sie auf einander zurückweisen auch
nicht dürfen von einander getrennt werden.

Die divinatorische ist die, welche indem man sich selbst
gleichsam in den andern verwandelt, das individuelle unmittelbar
aufzufassen sucht. Die comparative sezt erst den zu verste-
henden als ein allgemeines, und findet dann das Eigenthüm-
liche, indem mit andern unter demselben allgemeinen befaßten
verglichen wird. Jenes ist die weibliche Stärke in der Men-
schenkenntniß, dieses die männliche.

Beide weisen auf einander zurück, denn die erste beruht zu-
nächst darauf, daß jeder Mensch außer dem daß er selbst ein

Zu dem erſten iſt mitzurechnen der Zuſtand, worin ſich die
beſtimmte Gattung der das Werk angehoͤrt vor ſeiner Zeit be-
fand; zu dem zweiten was auf dieſem beſtimmten und naͤchſt-
angrenzenden Gebiete uͤblich war. Alſo ein genaues Verſtaͤnd-
niß dieſer Art ohne Kenntniß der gleichzeitigen verwandten
Litteratur und deſſen was dem Verf. als fruͤheres Muſter des
Styls gegeben war. Ein ſolches zuſammenhaͤngendes Studium
kann in Beziehung auf dieſe Seite der Auslegung durch nichts
erſezt werden.

Das dritte iſt zwar ſehr muͤhſam, aber da es nicht leicht
anders als aus der dritten Hand, alſo mit Urtheil vermiſcht
iſt, welches erſt durch aͤhnliche Auslegung geſchaͤzt werden kann,
ſo muß man es entbehren koͤnnen. Lebensbeſchreibungen der
Verfaſſer ſind urſpruͤnglich wol aus dieſer Abſicht ihren Werken
beigefuͤgt worden, allein gewoͤhnlich wird dieſe Beziehung uͤber-
ſehen. Auf das Nothwendigſte von den beiden andern Punkten
ſollen allerdings zweckmaͤßige Prolegomena aufmerkſam machen.

Aus dieſen Vorkenntniſſen entſteht bei der erſten Überſicht
des Werkes eine vorlaͤufige Vorſtellung davon worin das Eigen-
thuͤmliche vorzuͤglich zu ſuchen ſei.

6. Fuͤr das ganze Geſchaͤft giebt es vom erſten An-
fang an zwei Methoden, die divinatoriſche und die compa-
rative, welche aber wie ſie auf einander zuruͤckweiſen auch
nicht duͤrfen von einander getrennt werden.

Die divinatoriſche iſt die, welche indem man ſich ſelbſt
gleichſam in den andern verwandelt, das individuelle unmittelbar
aufzufaſſen ſucht. Die comparative ſezt erſt den zu verſte-
henden als ein allgemeines, und findet dann das Eigenthuͤm-
liche, indem mit andern unter demſelben allgemeinen befaßten
verglichen wird. Jenes iſt die weibliche Staͤrke in der Men-
ſchenkenntniß, dieſes die maͤnnliche.

Beide weiſen auf einander zuruͤck, denn die erſte beruht zu-
naͤchſt darauf, daß jeder Menſch außer dem daß er ſelbſt ein

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[146/0170] Zu dem erſten iſt mitzurechnen der Zuſtand, worin ſich die beſtimmte Gattung der das Werk angehoͤrt vor ſeiner Zeit be- fand; zu dem zweiten was auf dieſem beſtimmten und naͤchſt- angrenzenden Gebiete uͤblich war. Alſo ein genaues Verſtaͤnd- niß dieſer Art ohne Kenntniß der gleichzeitigen verwandten Litteratur und deſſen was dem Verf. als fruͤheres Muſter des Styls gegeben war. Ein ſolches zuſammenhaͤngendes Studium kann in Beziehung auf dieſe Seite der Auslegung durch nichts erſezt werden. Das dritte iſt zwar ſehr muͤhſam, aber da es nicht leicht anders als aus der dritten Hand, alſo mit Urtheil vermiſcht iſt, welches erſt durch aͤhnliche Auslegung geſchaͤzt werden kann, ſo muß man es entbehren koͤnnen. Lebensbeſchreibungen der Verfaſſer ſind urſpruͤnglich wol aus dieſer Abſicht ihren Werken beigefuͤgt worden, allein gewoͤhnlich wird dieſe Beziehung uͤber- ſehen. Auf das Nothwendigſte von den beiden andern Punkten ſollen allerdings zweckmaͤßige Prolegomena aufmerkſam machen. Aus dieſen Vorkenntniſſen entſteht bei der erſten Überſicht des Werkes eine vorlaͤufige Vorſtellung davon worin das Eigen- thuͤmliche vorzuͤglich zu ſuchen ſei. 6. Fuͤr das ganze Geſchaͤft giebt es vom erſten An- fang an zwei Methoden, die divinatoriſche und die compa- rative, welche aber wie ſie auf einander zuruͤckweiſen auch nicht duͤrfen von einander getrennt werden. Die divinatoriſche iſt die, welche indem man ſich ſelbſt gleichſam in den andern verwandelt, das individuelle unmittelbar aufzufaſſen ſucht. Die comparative ſezt erſt den zu verſte- henden als ein allgemeines, und findet dann das Eigenthuͤm- liche, indem mit andern unter demſelben allgemeinen befaßten verglichen wird. Jenes iſt die weibliche Staͤrke in der Men- ſchenkenntniß, dieſes die maͤnnliche. Beide weiſen auf einander zuruͤck, denn die erſte beruht zu- naͤchſt darauf, daß jeder Menſch außer dem daß er ſelbſt ein

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Zitationshilfe: Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/170>, abgerufen am 05.12.2024.