Art und Weise ihrer Verknüpfung, wie in der gebundenen Dar- stellung. Nur ist die Verknüpfung loser behandelt. Die Sprach- elemente sind dieselben, nur in verschiedenen Verhältnissen. Weil aber die logische Entgegensezung und Unterordnung fehlen, so ist am besten nach empfangenem Eindruck des Ganzen sogleich ins Einzelne zu gehen. Dieß gilt aber nur von der sprachlichen Seite, nicht der psychologischen. Anders bei der systematisch wis- senschaftlichen Darstellung. Hier steht alles im Verhältniß der Subordination oder Coordination der einzelnen Theile des Gan- zen. Von diesem Verhältnisse bekommen wir durch die Übersicht einen allgemeinen Eindruck und dann kommt es nur darauf an das Verhältniß der Sub- und Coordination im Einzelnen ge- nauer zu bestimmen. Das hat aber keine Schwierigkeit weiter, wenn wir nur die Structur der Schrift wie sie der Verfasser im Sinne hatte richtig fassen. Aber freilich eben hierin kann eine Schwierigkeit liegen. Revolutionen auf dem Gebiete der Natur- wissenschaft und der Ethik haben neue Systeme hervorgebracht und alte verworfen. Kommt man nun von der Darstellung ei- nes früheren wissenschaftlichen Systems, nachdem man dieses ge- faßt hat, plözlich und ohne Überlegung zu einem andern, neuen, so muß man nach geschehener Sprachconstruction so verfahren, daß man das Einzelne noch unbestimmt läßt bis man das Ganze gefaßt hat. Wollte man gleich Einzelnes im neuen System mit Einzelnem im vorhergehenden vergleichen, so würde man mißver- stehen, denn das Verhältniß des Einzelnen ist in jedem Ganzen ein anderes. Giebt es Übergänge, Berührungspunkte zwischen dem alten und neuen, so ist das Verfahren leichter, aber es bleibt doch wesentlich dasselbe, denn die Veränderung beruht auf That- sachen, die entweder ganz neu sind oder ganz neue Verhältnisse zeigen. Damit werden, wenn das Neue auch anfangs in der bis- herigen Sprache mitgetheilt wird, neue Ausdrücke hervorgebracht. Die Aufgabe besteht immer wesentlich darin, die hermeneutische Construction mit Einem Schlage hervorzubringen und das Ganze zusammenzuschauen.
Hermeneutik u. Kritik. 7
Art und Weiſe ihrer Verknuͤpfung, wie in der gebundenen Dar- ſtellung. Nur iſt die Verknuͤpfung loſer behandelt. Die Sprach- elemente ſind dieſelben, nur in verſchiedenen Verhaͤltniſſen. Weil aber die logiſche Entgegenſezung und Unterordnung fehlen, ſo iſt am beſten nach empfangenem Eindruck des Ganzen ſogleich ins Einzelne zu gehen. Dieß gilt aber nur von der ſprachlichen Seite, nicht der pſychologiſchen. Anders bei der ſyſtematiſch wiſ- ſenſchaftlichen Darſtellung. Hier ſteht alles im Verhaͤltniß der Subordination oder Coordination der einzelnen Theile des Gan- zen. Von dieſem Verhaͤltniſſe bekommen wir durch die Überſicht einen allgemeinen Eindruck und dann kommt es nur darauf an das Verhaͤltniß der Sub- und Coordination im Einzelnen ge- nauer zu beſtimmen. Das hat aber keine Schwierigkeit weiter, wenn wir nur die Structur der Schrift wie ſie der Verfaſſer im Sinne hatte richtig faſſen. Aber freilich eben hierin kann eine Schwierigkeit liegen. Revolutionen auf dem Gebiete der Natur- wiſſenſchaft und der Ethik haben neue Syſteme hervorgebracht und alte verworfen. Kommt man nun von der Darſtellung ei- nes fruͤheren wiſſenſchaftlichen Syſtems, nachdem man dieſes ge- faßt hat, ploͤzlich und ohne Überlegung zu einem andern, neuen, ſo muß man nach geſchehener Sprachconſtruction ſo verfahren, daß man das Einzelne noch unbeſtimmt laͤßt bis man das Ganze gefaßt hat. Wollte man gleich Einzelnes im neuen Syſtem mit Einzelnem im vorhergehenden vergleichen, ſo wuͤrde man mißver- ſtehen, denn das Verhaͤltniß des Einzelnen iſt in jedem Ganzen ein anderes. Giebt es Übergaͤnge, Beruͤhrungspunkte zwiſchen dem alten und neuen, ſo iſt das Verfahren leichter, aber es bleibt doch weſentlich daſſelbe, denn die Veraͤnderung beruht auf That- ſachen, die entweder ganz neu ſind oder ganz neue Verhaͤltniſſe zeigen. Damit werden, wenn das Neue auch anfangs in der bis- herigen Sprache mitgetheilt wird, neue Ausdruͤcke hervorgebracht. Die Aufgabe beſteht immer weſentlich darin, die hermeneutiſche Conſtruction mit Einem Schlage hervorzubringen und das Ganze zuſammenzuſchauen.
Hermeneutik u. Kritik. 7
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0121"n="97"/>
Art und Weiſe ihrer Verknuͤpfung, wie in der gebundenen Dar-<lb/>ſtellung. Nur iſt die Verknuͤpfung loſer behandelt. Die Sprach-<lb/>
elemente ſind dieſelben, nur in verſchiedenen Verhaͤltniſſen. Weil<lb/>
aber die logiſche Entgegenſezung und Unterordnung fehlen, ſo iſt<lb/>
am beſten nach empfangenem Eindruck des Ganzen ſogleich ins<lb/>
Einzelne zu gehen. Dieß gilt aber nur von der ſprachlichen<lb/>
Seite, nicht der pſychologiſchen. Anders bei der ſyſtematiſch wiſ-<lb/>ſenſchaftlichen Darſtellung. Hier ſteht alles im Verhaͤltniß der<lb/>
Subordination oder Coordination der einzelnen Theile des Gan-<lb/>
zen. Von dieſem Verhaͤltniſſe bekommen wir durch die Überſicht<lb/>
einen allgemeinen Eindruck und dann kommt es nur darauf an<lb/>
das Verhaͤltniß der Sub- und Coordination im Einzelnen ge-<lb/>
nauer zu beſtimmen. Das hat aber keine Schwierigkeit weiter,<lb/>
wenn wir nur die Structur der Schrift wie ſie der Verfaſſer im<lb/>
Sinne hatte richtig faſſen. Aber freilich eben hierin kann eine<lb/>
Schwierigkeit liegen. Revolutionen auf dem Gebiete der Natur-<lb/>
wiſſenſchaft und der Ethik haben neue Syſteme hervorgebracht<lb/>
und alte verworfen. Kommt man nun von der Darſtellung ei-<lb/>
nes fruͤheren wiſſenſchaftlichen Syſtems, nachdem man dieſes ge-<lb/>
faßt hat, ploͤzlich und ohne Überlegung zu einem andern, neuen,<lb/>ſo muß man nach geſchehener Sprachconſtruction ſo verfahren,<lb/>
daß man das Einzelne noch unbeſtimmt laͤßt bis man das Ganze<lb/>
gefaßt hat. Wollte man gleich Einzelnes im neuen Syſtem mit<lb/>
Einzelnem im vorhergehenden vergleichen, ſo wuͤrde man mißver-<lb/>ſtehen, denn das Verhaͤltniß des Einzelnen iſt in jedem Ganzen<lb/>
ein anderes. Giebt es Übergaͤnge, Beruͤhrungspunkte zwiſchen<lb/>
dem alten und neuen, ſo iſt das Verfahren leichter, aber es bleibt<lb/>
doch weſentlich daſſelbe, denn die Veraͤnderung beruht auf That-<lb/>ſachen, die entweder ganz neu ſind oder ganz neue Verhaͤltniſſe<lb/>
zeigen. Damit werden, wenn das Neue auch anfangs in der bis-<lb/>
herigen Sprache mitgetheilt wird, neue Ausdruͤcke hervorgebracht.<lb/>
Die Aufgabe beſteht immer weſentlich darin, die hermeneutiſche<lb/>
Conſtruction mit Einem Schlage hervorzubringen und das Ganze<lb/>
zuſammenzuſchauen.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">Hermeneutik u. Kritik. 7</fw><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[97/0121]
Art und Weiſe ihrer Verknuͤpfung, wie in der gebundenen Dar-
ſtellung. Nur iſt die Verknuͤpfung loſer behandelt. Die Sprach-
elemente ſind dieſelben, nur in verſchiedenen Verhaͤltniſſen. Weil
aber die logiſche Entgegenſezung und Unterordnung fehlen, ſo iſt
am beſten nach empfangenem Eindruck des Ganzen ſogleich ins
Einzelne zu gehen. Dieß gilt aber nur von der ſprachlichen
Seite, nicht der pſychologiſchen. Anders bei der ſyſtematiſch wiſ-
ſenſchaftlichen Darſtellung. Hier ſteht alles im Verhaͤltniß der
Subordination oder Coordination der einzelnen Theile des Gan-
zen. Von dieſem Verhaͤltniſſe bekommen wir durch die Überſicht
einen allgemeinen Eindruck und dann kommt es nur darauf an
das Verhaͤltniß der Sub- und Coordination im Einzelnen ge-
nauer zu beſtimmen. Das hat aber keine Schwierigkeit weiter,
wenn wir nur die Structur der Schrift wie ſie der Verfaſſer im
Sinne hatte richtig faſſen. Aber freilich eben hierin kann eine
Schwierigkeit liegen. Revolutionen auf dem Gebiete der Natur-
wiſſenſchaft und der Ethik haben neue Syſteme hervorgebracht
und alte verworfen. Kommt man nun von der Darſtellung ei-
nes fruͤheren wiſſenſchaftlichen Syſtems, nachdem man dieſes ge-
faßt hat, ploͤzlich und ohne Überlegung zu einem andern, neuen,
ſo muß man nach geſchehener Sprachconſtruction ſo verfahren,
daß man das Einzelne noch unbeſtimmt laͤßt bis man das Ganze
gefaßt hat. Wollte man gleich Einzelnes im neuen Syſtem mit
Einzelnem im vorhergehenden vergleichen, ſo wuͤrde man mißver-
ſtehen, denn das Verhaͤltniß des Einzelnen iſt in jedem Ganzen
ein anderes. Giebt es Übergaͤnge, Beruͤhrungspunkte zwiſchen
dem alten und neuen, ſo iſt das Verfahren leichter, aber es bleibt
doch weſentlich daſſelbe, denn die Veraͤnderung beruht auf That-
ſachen, die entweder ganz neu ſind oder ganz neue Verhaͤltniſſe
zeigen. Damit werden, wenn das Neue auch anfangs in der bis-
herigen Sprache mitgetheilt wird, neue Ausdruͤcke hervorgebracht.
Die Aufgabe beſteht immer weſentlich darin, die hermeneutiſche
Conſtruction mit Einem Schlage hervorzubringen und das Ganze
zuſammenzuſchauen.
Hermeneutik u. Kritik. 7
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/121>, abgerufen am 05.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.