ten hat. Ist aber der Gegenstand noch neu und die Sprache für denselben noch nicht gebildet, so entsteht eine Unsicherheit ob die gewählten Elemente auch den Zweck erreichen, und wo diese sich im einzelnen auf etwas bestimmtes gründet, da ent- steht denn eine Neigung das nicht genug gesicherte durch einen andern Ausdruck zu sichern. Dieß ist die Entstehung der Häu- fung, welche dann bald für Tautologie genommen wird bald für Emphasis. Das Wahre aber ist, man muß sie nicht als Einerlei aber auch nicht als entgegengestellt, sondern als Eins ansehn und aus ihnen zusammengenommen die Vorstellung ent- wickeln. Im N. T. ist dieß der Fall bei Paulus am wenigsten weil seine Terminologie auf einer Masse mündlicher Unterwei- sung beruhte, in Johannes am meisten. Aus der falschen Em- phase ist hernach entstanden daß man alle einzelnen Ausdrücke, Erneuerung, Erleuchtung, Wiedergeburt, in das dogmatische Be- griffssystem aufgenommen hat woraus ein verwirrender unwis- senschaftlicher Überfluß entstanden ist. Aus der falschen Tauto- logie ist entstanden daß man den Ausdrücken das Minimum von Gehalt zugemessen und also den Begriff selbst aufgegeben hat.
44. Das quantitative Verstehen der Säze führt sich zurück auf das der Elemente und das der Verbindungsweisen.
1. Säze haben ein Verhältniß unter sich und eins zur Ein- heit der Rede. Im lezten kommt alles an auf den Gegensaz von Haupt- und Nebengedanken, im ersten alles auf den Gegensaz von coordinirt und subordinirt. Alles ist Hauptgedanke was um sein selbst willen gesagt ist, alles Nebengedanke was nur zur Erläuterung gesagt wird, wenn gleich lezterer oft weit ausführlicher sein kann, als ersterer. Hauptgedanken zu erkennen an den darin vorkommenden Be- griffen. Da Nebengedanken Abundanz sind und im Ideal des streng wissenschaftlichen Vortrags keinen Plaz finden, so ist das Verhältniß von Haupt- und Nebengedanken ebenso zu beur- theilen, wie das von Abundanz und Emphase.
ten hat. Iſt aber der Gegenſtand noch neu und die Sprache fuͤr denſelben noch nicht gebildet, ſo entſteht eine Unſicherheit ob die gewaͤhlten Elemente auch den Zweck erreichen, und wo dieſe ſich im einzelnen auf etwas beſtimmtes gruͤndet, da ent- ſteht denn eine Neigung das nicht genug geſicherte durch einen andern Ausdruck zu ſichern. Dieß iſt die Entſtehung der Haͤu- fung, welche dann bald fuͤr Tautologie genommen wird bald fuͤr Emphaſis. Das Wahre aber iſt, man muß ſie nicht als Einerlei aber auch nicht als entgegengeſtellt, ſondern als Eins anſehn und aus ihnen zuſammengenommen die Vorſtellung ent- wickeln. Im N. T. iſt dieß der Fall bei Paulus am wenigſten weil ſeine Terminologie auf einer Maſſe muͤndlicher Unterwei- ſung beruhte, in Johannes am meiſten. Aus der falſchen Em- phaſe iſt hernach entſtanden daß man alle einzelnen Ausdruͤcke, Erneuerung, Erleuchtung, Wiedergeburt, in das dogmatiſche Be- griffsſyſtem aufgenommen hat woraus ein verwirrender unwiſ- ſenſchaftlicher Überfluß entſtanden iſt. Aus der falſchen Tauto- logie iſt entſtanden daß man den Ausdruͤcken das Minimum von Gehalt zugemeſſen und alſo den Begriff ſelbſt aufgegeben hat.
44. Das quantitative Verſtehen der Saͤze fuͤhrt ſich zuruͤck auf das der Elemente und das der Verbindungsweiſen.
1. Saͤze haben ein Verhaͤltniß unter ſich und eins zur Ein- heit der Rede. Im lezten kommt alles an auf den Gegenſaz von Haupt- und Nebengedanken, im erſten alles auf den Gegenſaz von coordinirt und ſubordinirt. Alles iſt Hauptgedanke was um ſein ſelbſt willen geſagt iſt, alles Nebengedanke was nur zur Erlaͤuterung geſagt wird, wenn gleich lezterer oft weit ausfuͤhrlicher ſein kann, als erſterer. Hauptgedanken zu erkennen an den darin vorkommenden Be- griffen. Da Nebengedanken Abundanz ſind und im Ideal des ſtreng wiſſenſchaftlichen Vortrags keinen Plaz finden, ſo iſt das Verhaͤltniß von Haupt- und Nebengedanken ebenſo zu beur- theilen, wie das von Abundanz und Emphaſe.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0113"n="89"/>
ten hat. Iſt aber der Gegenſtand noch neu und die Sprache<lb/>
fuͤr denſelben noch nicht gebildet, ſo entſteht eine Unſicherheit<lb/>
ob die gewaͤhlten Elemente auch den Zweck erreichen, und wo<lb/>
dieſe ſich im einzelnen auf etwas beſtimmtes gruͤndet, da ent-<lb/>ſteht denn eine Neigung das nicht genug geſicherte durch einen<lb/>
andern Ausdruck zu ſichern. Dieß iſt die Entſtehung der Haͤu-<lb/>
fung, welche dann bald fuͤr Tautologie genommen wird bald<lb/>
fuͤr Emphaſis. Das Wahre aber iſt, man muß ſie nicht als<lb/>
Einerlei aber auch nicht als entgegengeſtellt, ſondern als Eins<lb/>
anſehn und aus ihnen zuſammengenommen die Vorſtellung ent-<lb/>
wickeln. Im N. T. iſt dieß der Fall bei Paulus am wenigſten<lb/>
weil ſeine Terminologie auf einer Maſſe muͤndlicher Unterwei-<lb/>ſung beruhte, in Johannes am meiſten. Aus der falſchen Em-<lb/>
phaſe iſt hernach entſtanden daß man alle einzelnen Ausdruͤcke,<lb/>
Erneuerung, Erleuchtung, Wiedergeburt, in das dogmatiſche Be-<lb/>
griffsſyſtem aufgenommen hat woraus ein verwirrender unwiſ-<lb/>ſenſchaftlicher Überfluß entſtanden iſt. Aus der falſchen Tauto-<lb/>
logie iſt entſtanden daß man den Ausdruͤcken das Minimum<lb/>
von Gehalt zugemeſſen und alſo den Begriff ſelbſt aufgegeben hat.</p><lb/><p>44. Das quantitative Verſtehen der Saͤze fuͤhrt ſich<lb/>
zuruͤck auf das der Elemente und das der Verbindungsweiſen.</p><lb/><p>1. Saͤze haben ein Verhaͤltniß unter ſich und eins zur Ein-<lb/>
heit der Rede. Im lezten kommt alles an auf den Gegenſaz<lb/>
von <hirendition="#g">Haupt</hi>- und <hirendition="#g">Nebengedanken</hi>, im erſten alles auf<lb/>
den Gegenſaz von <hirendition="#g">coordinirt</hi> und <hirendition="#g">ſubordinirt</hi>. Alles<lb/>
iſt Hauptgedanke was um ſein ſelbſt willen geſagt iſt, alles<lb/>
Nebengedanke was nur zur Erlaͤuterung geſagt wird, wenn<lb/>
gleich lezterer oft weit ausfuͤhrlicher ſein kann, als erſterer.<lb/>
Hauptgedanken zu erkennen an den darin vorkommenden Be-<lb/>
griffen. Da Nebengedanken Abundanz ſind und im Ideal des<lb/>ſtreng wiſſenſchaftlichen Vortrags keinen Plaz finden, ſo iſt das<lb/>
Verhaͤltniß von Haupt- und Nebengedanken ebenſo zu beur-<lb/>
theilen, wie das von Abundanz und Emphaſe.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[89/0113]
ten hat. Iſt aber der Gegenſtand noch neu und die Sprache
fuͤr denſelben noch nicht gebildet, ſo entſteht eine Unſicherheit
ob die gewaͤhlten Elemente auch den Zweck erreichen, und wo
dieſe ſich im einzelnen auf etwas beſtimmtes gruͤndet, da ent-
ſteht denn eine Neigung das nicht genug geſicherte durch einen
andern Ausdruck zu ſichern. Dieß iſt die Entſtehung der Haͤu-
fung, welche dann bald fuͤr Tautologie genommen wird bald
fuͤr Emphaſis. Das Wahre aber iſt, man muß ſie nicht als
Einerlei aber auch nicht als entgegengeſtellt, ſondern als Eins
anſehn und aus ihnen zuſammengenommen die Vorſtellung ent-
wickeln. Im N. T. iſt dieß der Fall bei Paulus am wenigſten
weil ſeine Terminologie auf einer Maſſe muͤndlicher Unterwei-
ſung beruhte, in Johannes am meiſten. Aus der falſchen Em-
phaſe iſt hernach entſtanden daß man alle einzelnen Ausdruͤcke,
Erneuerung, Erleuchtung, Wiedergeburt, in das dogmatiſche Be-
griffsſyſtem aufgenommen hat woraus ein verwirrender unwiſ-
ſenſchaftlicher Überfluß entſtanden iſt. Aus der falſchen Tauto-
logie iſt entſtanden daß man den Ausdruͤcken das Minimum
von Gehalt zugemeſſen und alſo den Begriff ſelbſt aufgegeben hat.
44. Das quantitative Verſtehen der Saͤze fuͤhrt ſich
zuruͤck auf das der Elemente und das der Verbindungsweiſen.
1. Saͤze haben ein Verhaͤltniß unter ſich und eins zur Ein-
heit der Rede. Im lezten kommt alles an auf den Gegenſaz
von Haupt- und Nebengedanken, im erſten alles auf
den Gegenſaz von coordinirt und ſubordinirt. Alles
iſt Hauptgedanke was um ſein ſelbſt willen geſagt iſt, alles
Nebengedanke was nur zur Erlaͤuterung geſagt wird, wenn
gleich lezterer oft weit ausfuͤhrlicher ſein kann, als erſterer.
Hauptgedanken zu erkennen an den darin vorkommenden Be-
griffen. Da Nebengedanken Abundanz ſind und im Ideal des
ſtreng wiſſenſchaftlichen Vortrags keinen Plaz finden, ſo iſt das
Verhaͤltniß von Haupt- und Nebengedanken ebenſo zu beur-
theilen, wie das von Abundanz und Emphaſe.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/113>, abgerufen am 05.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.