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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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reich bilden und dann im griechischen Archipelagus wieder auftreten,
nur muschelführende Massen kohlensauren Kalkes erkannten, den wir
wegen seines eigenthümlichen Aggregatzustandes Kreide nannten,
wenn wir die Polirschiefer, Kieselguhre und Bergmehlarten als Kie-
selerde in fein vertheiltem Zustande betrachteten, wenn wir im Dyso-
dil nur ein Gemenge von Kieselerde und Erdpech fanden und in den
meisten Opalen und Feuersteinen eben nur dichtere glasartige Kiesel-
erde wahrnahmen, so eröffnen uns Ehrenbergs microscopische For-
schungen hier einen Blick in eine ganz neue lebensvolle Welt. Wir
finden auf höchst merkwürdige Weise das Entstehen nicht unbeträcht-
licher Theile der festen Rinde unseres Planeten in ihrer eigenthüm-
lichen Form an das Leben ganz kleiner dem bloßen Auge unsichtbarer
Thiere geknüpft, die bei ihrer ans Wunderbare gränzenden schnellen
Vermehrung durch Individuenzahl und Unzerstörbarkeit ihrer Ueber-
reste das ersetzen, was ihnen an Masse abgeht.

Außer den Infusorien, deren ganze Organisation nur aus fast
gallertartiger thierischer Substanz besteht, giebt es nämlich andere
Arten, deren Eigenthümlichkeit darin sich zeigt, daß sie sich ähnlich
den Muscheln und Schnecken mit festen Panzern in den allerzierlich-
sten Formen umgeben, die entweder aus kohlensaurem Kalk oder aus
Kieselerde gebildet sind. Das gestorbene Thier selbst fällt zwar der
Verwesung anheim, aber die selbst gebauten Wohnungen, die Scha-
len bleiben und häufen sich unter günstigen Bedingungen für das
Leben der Thiere so sehr an, daß ganze Gebirgssysteme fast allein aus
ihnen aufgebaut sind. -- Die aus Kieselerde gebildeten Schalen sin-
tern zuweilen durch einen eigenthümlichen uns noch fremden Proceß
zusammen und bilden so Feuersteine und Opale. -- Grade diese
kieselschaligen Thierchen sind es auch, mit denen der Botaniker eine
genauere Bekanntschaft nicht verschmähen darf, da der Streit noch
immer nicht geschlichtet ist, der lange Zeit selbst mit einer gewissen
Erbitterung geführt wurde, ob diese kleinen Organismen Thiere oder
Pflanzen seyen. -- Bedeutender der Masse nach sind freilich die durch
kalkschalige Infusorien entstandenen Bildungen. Ein ansehnlicher

reich bilden und dann im griechiſchen Archipelagus wieder auftreten,
nur muſchelführende Maſſen kohlenſauren Kalkes erkannten, den wir
wegen ſeines eigenthümlichen Aggregatzuſtandes Kreide nannten,
wenn wir die Polirſchiefer, Kieſelguhre und Bergmehlarten als Kie-
ſelerde in fein vertheiltem Zuſtande betrachteten, wenn wir im Dyſo-
dil nur ein Gemenge von Kieſelerde und Erdpech fanden und in den
meiſten Opalen und Feuerſteinen eben nur dichtere glasartige Kieſel-
erde wahrnahmen, ſo eröffnen uns Ehrenbergs microſcopiſche For-
ſchungen hier einen Blick in eine ganz neue lebensvolle Welt. Wir
finden auf höchſt merkwürdige Weiſe das Entſtehen nicht unbeträcht-
licher Theile der feſten Rinde unſeres Planeten in ihrer eigenthüm-
lichen Form an das Leben ganz kleiner dem bloßen Auge unſichtbarer
Thiere geknüpft, die bei ihrer ans Wunderbare gränzenden ſchnellen
Vermehrung durch Individuenzahl und Unzerſtörbarkeit ihrer Ueber-
reſte das erſetzen, was ihnen an Maſſe abgeht.

Außer den Infuſorien, deren ganze Organiſation nur aus faſt
gallertartiger thieriſcher Subſtanz beſteht, giebt es nämlich andere
Arten, deren Eigenthümlichkeit darin ſich zeigt, daß ſie ſich ähnlich
den Muſcheln und Schnecken mit feſten Panzern in den allerzierlich-
ſten Formen umgeben, die entweder aus kohlenſaurem Kalk oder aus
Kieſelerde gebildet ſind. Das geſtorbene Thier ſelbſt fällt zwar der
Verweſung anheim, aber die ſelbſt gebauten Wohnungen, die Scha-
len bleiben und häufen ſich unter günſtigen Bedingungen für das
Leben der Thiere ſo ſehr an, daß ganze Gebirgsſyſteme faſt allein aus
ihnen aufgebaut ſind. — Die aus Kieſelerde gebildeten Schalen ſin-
tern zuweilen durch einen eigenthümlichen uns noch fremden Proceß
zuſammen und bilden ſo Feuerſteine und Opale. — Grade dieſe
kieſelſchaligen Thierchen ſind es auch, mit denen der Botaniker eine
genauere Bekanntſchaft nicht verſchmähen darf, da der Streit noch
immer nicht geſchlichtet iſt, der lange Zeit ſelbſt mit einer gewiſſen
Erbitterung geführt wurde, ob dieſe kleinen Organismen Thiere oder
Pflanzen ſeyen. — Bedeutender der Maſſe nach ſind freilich die durch
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[31/0047] reich bilden und dann im griechiſchen Archipelagus wieder auftreten, nur muſchelführende Maſſen kohlenſauren Kalkes erkannten, den wir wegen ſeines eigenthümlichen Aggregatzuſtandes Kreide nannten, wenn wir die Polirſchiefer, Kieſelguhre und Bergmehlarten als Kie- ſelerde in fein vertheiltem Zuſtande betrachteten, wenn wir im Dyſo- dil nur ein Gemenge von Kieſelerde und Erdpech fanden und in den meiſten Opalen und Feuerſteinen eben nur dichtere glasartige Kieſel- erde wahrnahmen, ſo eröffnen uns Ehrenbergs microſcopiſche For- ſchungen hier einen Blick in eine ganz neue lebensvolle Welt. Wir finden auf höchſt merkwürdige Weiſe das Entſtehen nicht unbeträcht- licher Theile der feſten Rinde unſeres Planeten in ihrer eigenthüm- lichen Form an das Leben ganz kleiner dem bloßen Auge unſichtbarer Thiere geknüpft, die bei ihrer ans Wunderbare gränzenden ſchnellen Vermehrung durch Individuenzahl und Unzerſtörbarkeit ihrer Ueber- reſte das erſetzen, was ihnen an Maſſe abgeht. Außer den Infuſorien, deren ganze Organiſation nur aus faſt gallertartiger thieriſcher Subſtanz beſteht, giebt es nämlich andere Arten, deren Eigenthümlichkeit darin ſich zeigt, daß ſie ſich ähnlich den Muſcheln und Schnecken mit feſten Panzern in den allerzierlich- ſten Formen umgeben, die entweder aus kohlenſaurem Kalk oder aus Kieſelerde gebildet ſind. Das geſtorbene Thier ſelbſt fällt zwar der Verweſung anheim, aber die ſelbſt gebauten Wohnungen, die Scha- len bleiben und häufen ſich unter günſtigen Bedingungen für das Leben der Thiere ſo ſehr an, daß ganze Gebirgsſyſteme faſt allein aus ihnen aufgebaut ſind. — Die aus Kieſelerde gebildeten Schalen ſin- tern zuweilen durch einen eigenthümlichen uns noch fremden Proceß zuſammen und bilden ſo Feuerſteine und Opale. — Grade dieſe kieſelſchaligen Thierchen ſind es auch, mit denen der Botaniker eine genauere Bekanntſchaft nicht verſchmähen darf, da der Streit noch immer nicht geſchlichtet iſt, der lange Zeit ſelbſt mit einer gewiſſen Erbitterung geführt wurde, ob dieſe kleinen Organismen Thiere oder Pflanzen ſeyen. — Bedeutender der Maſſe nach ſind freilich die durch kalkſchalige Infuſorien entſtandenen Bildungen. Ein anſehnlicher

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/47>, abgerufen am 23.11.2024.