struppigen hochaufschießenden Kräuter, die wegen ihres holzigen Stengels keine Nahrung für die Steppenheerden sind. Unter den Gräsern bildet das Federgras*) die Hauptpflanze. Gleich nach der Blüthe streckt es seine langen zartgefiederten Grannen, den fein- sten Maraboutfedern nicht unähnlich, aus der Aehre heraus, sich weit über die Büschel schmaler, dürrer Grasblätter erhebend. Je älter die Steppe, desto höher entwickelt sich der holzige Wurzelstock über den Boden, zum Aerger der mähenden Bauern. Wer nur wenige Meilen in der Steppe gereist ist hört schon das Wort Burian. Auf den Burian schilt der Hirt mit seinen Rindern und Pferden, über den Burian jammert der Ackerbauer, der Burian ist der Fluch des Gärtners und der Trost der Köchin. Denn bei dem für gewisse Pflanzen, wir nennen sie Unkräuter, eigenthümlich fruchtbaren Boden der Steppe schießen diese bis zu einer unglaublichen Höhe heran, wo irgend die Cultur den festen Boden, den sie meiden, gelockert hat und ihr einziger Nutzen ist der, daß sie im Herbste abgedörrt zugleich das einzige Brennmaterial in dieser öden Gegend liefern. Vor allen zeichnen sich, wie in den Pampas von Buenos-Ayres, auch hier die Disteln aus, die bis zu einer Größe, Entwicklung und Verzwei- gung kommen, die in der That bewundernswürdig ist. Oft stehen sie kleinen Bäumen gleich neben den niedrigen Erdhütten des Landmanns, oft bilden sie auf günstigen Bodenstellen ausgedehnte Gebüsche, selbst den Reiter zu Pferde überragend, der in ihm rathloser ist, wie im Walde, da sie jeden Umblick verhindern und doch keinen Stamm dar- bieten, den man erklettern könnte. Neben der Distel erhebt sich mannshoch der Wermuth untermischt mit der riesenmäßigen Kö- nigskerze, dem "Steppenlicht" der Kleinrussen. Selbst die kleine Schaafgarbe wird mehrere Fuß hoch und wird nicht gering ge- schätzt, da sie von dem bei ärmlichem Vorrath die Hitzkraft des Burian sorgfältig prüfenden Bewohner als das beste Brennmaterial geschätzt wird. Von allen Pflanzen des Burian ist aber die characteristischste
*)Scholkowoi Truwa (das Seidenkraut) in einigen Gegenden Deutschlands Federgras genannt, Stipa pennata.
ſtruppigen hochaufſchießenden Kräuter, die wegen ihres holzigen Stengels keine Nahrung für die Steppenheerden ſind. Unter den Gräſern bildet das Federgras*) die Hauptpflanze. Gleich nach der Blüthe ſtreckt es ſeine langen zartgefiederten Grannen, den fein- ſten Maraboutfedern nicht unähnlich, aus der Aehre heraus, ſich weit über die Büſchel ſchmaler, dürrer Grasblätter erhebend. Je älter die Steppe, deſto höher entwickelt ſich der holzige Wurzelſtock über den Boden, zum Aerger der mähenden Bauern. Wer nur wenige Meilen in der Steppe gereiſt iſt hört ſchon das Wort Burian. Auf den Burian ſchilt der Hirt mit ſeinen Rindern und Pferden, über den Burian jammert der Ackerbauer, der Burian iſt der Fluch des Gärtners und der Troſt der Köchin. Denn bei dem für gewiſſe Pflanzen, wir nennen ſie Unkräuter, eigenthümlich fruchtbaren Boden der Steppe ſchießen dieſe bis zu einer unglaublichen Höhe heran, wo irgend die Cultur den feſten Boden, den ſie meiden, gelockert hat und ihr einziger Nutzen iſt der, daß ſie im Herbſte abgedörrt zugleich das einzige Brennmaterial in dieſer öden Gegend liefern. Vor allen zeichnen ſich, wie in den Pampas von Buenos-Ayres, auch hier die Diſteln aus, die bis zu einer Größe, Entwicklung und Verzwei- gung kommen, die in der That bewundernswürdig iſt. Oft ſtehen ſie kleinen Bäumen gleich neben den niedrigen Erdhütten des Landmanns, oft bilden ſie auf günſtigen Bodenſtellen ausgedehnte Gebüſche, ſelbſt den Reiter zu Pferde überragend, der in ihm rathloſer iſt, wie im Walde, da ſie jeden Umblick verhindern und doch keinen Stamm dar- bieten, den man erklettern könnte. Neben der Diſtel erhebt ſich mannshoch der Wermuth untermiſcht mit der rieſenmäßigen Kö- nigskerze, dem „Steppenlicht“ der Kleinruſſen. Selbſt die kleine Schaafgarbe wird mehrere Fuß hoch und wird nicht gering ge- ſchätzt, da ſie von dem bei ärmlichem Vorrath die Hitzkraft des Burian ſorgfältig prüfenden Bewohner als das beſte Brennmaterial geſchätzt wird. Von allen Pflanzen des Burian iſt aber die characteriſtiſchſte
*)Scholkowoi Truwa (das Seidenkraut) in einigen Gegenden Deutſchlands Federgras genannt, Stipa pennata.
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ſtruppigen hochaufſchießenden Kräuter, die wegen ihres holzigen
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Gräſern bildet das Federgras *) die Hauptpflanze. Gleich nach
der Blüthe ſtreckt es ſeine langen zartgefiederten Grannen, den fein-
ſten Maraboutfedern nicht unähnlich, aus der Aehre heraus, ſich
weit über die Büſchel ſchmaler, dürrer Grasblätter erhebend. Je älter
die Steppe, deſto höher entwickelt ſich der holzige Wurzelſtock über
den Boden, zum Aerger der mähenden Bauern. Wer nur wenige
Meilen in der Steppe gereiſt iſt hört ſchon das Wort Burian. Auf
den Burian ſchilt der Hirt mit ſeinen Rindern und Pferden, über
den Burian jammert der Ackerbauer, der Burian iſt der Fluch des
Gärtners und der Troſt der Köchin. Denn bei dem für gewiſſe
Pflanzen, wir nennen ſie Unkräuter, eigenthümlich fruchtbaren Boden
der Steppe ſchießen dieſe bis zu einer unglaublichen Höhe heran,
wo irgend die Cultur den feſten Boden, den ſie meiden, gelockert hat
und ihr einziger Nutzen iſt der, daß ſie im Herbſte abgedörrt zugleich
das einzige Brennmaterial in dieſer öden Gegend liefern. Vor allen
zeichnen ſich, wie in den Pampas von Buenos-Ayres, auch hier
die Diſteln aus, die bis zu einer Größe, Entwicklung und Verzwei-
gung kommen, die in der That bewundernswürdig iſt. Oft ſtehen ſie
kleinen Bäumen gleich neben den niedrigen Erdhütten des Landmanns,
oft bilden ſie auf günſtigen Bodenſtellen ausgedehnte Gebüſche, ſelbſt
den Reiter zu Pferde überragend, der in ihm rathloſer iſt, wie im
Walde, da ſie jeden Umblick verhindern und doch keinen Stamm dar-
bieten, den man erklettern könnte. Neben der Diſtel erhebt ſich
mannshoch der Wermuth untermiſcht mit der rieſenmäßigen Kö-
nigskerze, dem „Steppenlicht“ der Kleinruſſen. Selbſt die kleine
Schaafgarbe wird mehrere Fuß hoch und wird nicht gering ge-
ſchätzt, da ſie von dem bei ärmlichem Vorrath die Hitzkraft des Burian
ſorgfältig prüfenden Bewohner als das beſte Brennmaterial geſchätzt
wird. Von allen Pflanzen des Burian iſt aber die characteriſtiſchſte
*) Scholkowoi Truwa (das Seidenkraut) in einigen Gegenden Deutſchlands
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/342>, abgerufen am 16.02.2025.
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