Flechten, unter denen das Rennthier seine dürftige Nahrung sucht und auf dem tiefdurchnäßten, auch nicht die leichtesten Schritte tra- genden Boden, täuscht eine üppige Moosvegetation von Ferne mit dem Schein einer lachenden Wiese. Hier versinkt der unvorsichtige Wanderer in das von den Moosen mehr versteckte als verdrängte Wasser, während auf jenen Flechtenhaiden, Tundras nennt sie der Lappländer, der sonnendurchglühte Boden im Sommer jeden Schritt zur Qual macht.
So wie in den Waldformationen die südamericanischen Catin- gas den nordischen Laubholzwäldern, so stehen auch unter den Ebenen die Lanos von Venezuela den russischen Steppen gegen- über. In jenen, von welchen A. v. Humboldt ein so lebensvolles Bild entworfen, tritt der Schlaf der Natur im Sommer in der heißen, dürren Jahreszeit ein, die Vegetation vertrocknet und zerfällt zu Staub, den Boden nackt zurücklassend, das animalische Leben der Vierfüßler flieht das abgestorbene Land, während die Crocodile und Boas sich in den Schlamm der allmälig versiegenden Steppenflüsse ein- wühlen und mit diesem zugleich erstarren, bis der erste Regenguß, der eine frische, jugendliche Vegetation auf dem öden Boden hervor- zaubert, auch sie wieder zur Auferstehung ruft.
Anders in den Steppen, welche sich vom südlichen Rußland nach Osten durch das mittlere Asien fortziehen. Nur erwähnen will ich der seltsamen Salzsteppen, die im Sommer oft wie vom frisch- gefallenen Schnee durch ausgewittertes Salz glänzen und eine ganz eigenthümliche Vegetation nähren. Dagegen kann ich es mir nicht versagen, noch kurz eine Schilderung der, wenn auch dürftig bevölker- ten, doch bewohnten tartarischen Steppen am Pontus zu versuchen. Nicht überall bieten dieselben eine gleichmäßige Fläche dar, die viel- mehr durch die Durrina's, niedrige Buschparthien aus Schlehen, Weißdorn, Hagebutten und Brombeeren unterbrochen wird. Aber auch die übrige Vegetation wird noch von den Kleinrussen, nach ihrem Nutzen für die Viehzucht, in zwei wesentlich verschiedene Grup- pen getheilt, in die "Truwa", den Rasen, und den "Burian", die
Flechten, unter denen das Rennthier ſeine dürftige Nahrung ſucht und auf dem tiefdurchnäßten, auch nicht die leichteſten Schritte tra- genden Boden, täuſcht eine üppige Moosvegetation von Ferne mit dem Schein einer lachenden Wieſe. Hier verſinkt der unvorſichtige Wanderer in das von den Mooſen mehr verſteckte als verdrängte Waſſer, während auf jenen Flechtenhaiden, Tundras nennt ſie der Lappländer, der ſonnendurchglühte Boden im Sommer jeden Schritt zur Qual macht.
So wie in den Waldformationen die ſüdamericaniſchen Catin- gas den nordiſchen Laubholzwäldern, ſo ſtehen auch unter den Ebenen die Lanos von Venezuela den ruſſiſchen Steppen gegen- über. In jenen, von welchen A. v. Humboldt ein ſo lebensvolles Bild entworfen, tritt der Schlaf der Natur im Sommer in der heißen, dürren Jahreszeit ein, die Vegetation vertrocknet und zerfällt zu Staub, den Boden nackt zurücklaſſend, das animaliſche Leben der Vierfüßler flieht das abgeſtorbene Land, während die Crocodile und Boas ſich in den Schlamm der allmälig verſiegenden Steppenflüſſe ein- wühlen und mit dieſem zugleich erſtarren, bis der erſte Regenguß, der eine friſche, jugendliche Vegetation auf dem öden Boden hervor- zaubert, auch ſie wieder zur Auferſtehung ruft.
Anders in den Steppen, welche ſich vom ſüdlichen Rußland nach Oſten durch das mittlere Aſien fortziehen. Nur erwähnen will ich der ſeltſamen Salzſteppen, die im Sommer oft wie vom friſch- gefallenen Schnee durch ausgewittertes Salz glänzen und eine ganz eigenthümliche Vegetation nähren. Dagegen kann ich es mir nicht verſagen, noch kurz eine Schilderung der, wenn auch dürftig bevölker- ten, doch bewohnten tartariſchen Steppen am Pontus zu verſuchen. Nicht überall bieten dieſelben eine gleichmäßige Fläche dar, die viel- mehr durch die Durrina's, niedrige Buſchparthien aus Schlehen, Weißdorn, Hagebutten und Brombeeren unterbrochen wird. Aber auch die übrige Vegetation wird noch von den Kleinruſſen, nach ihrem Nutzen für die Viehzucht, in zwei weſentlich verſchiedene Grup- pen getheilt, in die „Truwa“, den Raſen, und den „Burian“, die
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Flechten, unter denen das Rennthier ſeine dürftige Nahrung ſucht
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dem Schein einer lachenden Wieſe. Hier verſinkt der unvorſichtige
Wanderer in das von den Mooſen mehr verſteckte als verdrängte
Waſſer, während auf jenen Flechtenhaiden, Tundras nennt ſie der
Lappländer, der ſonnendurchglühte Boden im Sommer jeden Schritt
zur Qual macht.
So wie in den Waldformationen die ſüdamericaniſchen Catin-
gas den nordiſchen Laubholzwäldern, ſo ſtehen auch unter den
Ebenen die Lanos von Venezuela den ruſſiſchen Steppen gegen-
über. In jenen, von welchen A. v. Humboldt ein ſo lebensvolles
Bild entworfen, tritt der Schlaf der Natur im Sommer in der heißen,
dürren Jahreszeit ein, die Vegetation vertrocknet und zerfällt zu Staub,
den Boden nackt zurücklaſſend, das animaliſche Leben der Vierfüßler
flieht das abgeſtorbene Land, während die Crocodile und Boas
ſich in den Schlamm der allmälig verſiegenden Steppenflüſſe ein-
wühlen und mit dieſem zugleich erſtarren, bis der erſte Regenguß,
der eine friſche, jugendliche Vegetation auf dem öden Boden hervor-
zaubert, auch ſie wieder zur Auferſtehung ruft.
Anders in den Steppen, welche ſich vom ſüdlichen Rußland
nach Oſten durch das mittlere Aſien fortziehen. Nur erwähnen will
ich der ſeltſamen Salzſteppen, die im Sommer oft wie vom friſch-
gefallenen Schnee durch ausgewittertes Salz glänzen und eine ganz
eigenthümliche Vegetation nähren. Dagegen kann ich es mir nicht
verſagen, noch kurz eine Schilderung der, wenn auch dürftig bevölker-
ten, doch bewohnten tartariſchen Steppen am Pontus zu verſuchen.
Nicht überall bieten dieſelben eine gleichmäßige Fläche dar, die viel-
mehr durch die Durrina's, niedrige Buſchparthien aus Schlehen,
Weißdorn, Hagebutten und Brombeeren unterbrochen wird.
Aber auch die übrige Vegetation wird noch von den Kleinruſſen, nach
ihrem Nutzen für die Viehzucht, in zwei weſentlich verſchiedene Grup-
pen getheilt, in die „Truwa“, den Raſen, und den „Burian“, die
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/341>, abgerufen am 16.02.2025.
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