so wenig noch mit Geist und Geschmack vorgearbeitet ist, als gerade in dieser höchsten Aufgabe der Botanik und daß wir hier deshalb wenig mehr finden als sehr unzusammenhängende Bruch- stücke. Dies mag denn das noch weniger als Skitzenhafte der fol- genden Mittheilungen entschuldigen.
Das gesammte Material, welches uns hier zu Gebote steht, zerfällt in drei Gruppen, nach der Art und Weise, in welcher die Pflanzen ihre Bedeutsamkeit geltend machen. Das Erste ist die Symbolisirung der ein- zelnen Pflanzen. Der Mensch, sobald er sich dem rohesten Zustande des Jägerlebens entrissen, wird schon durch den Heerden pflegenden Beruf des gesänftigtern Hirten, mehr aber noch durch die Eigenthum aner- kennende Gesittung des Ackerbaus auf die Beobachtung der Pflanzen im Einzelnen, ihres Entstehens und Vergehens, ihres Lebens und ihrer Fortpflanzung, endlich ihrer Abhängigkeit von fördernden oder störenden Einflüssen der äußern Natur, von Sonne, Thau, Regen und Boden hingewiesen. Dem Menschen, der zuerst zum Gefühl eigner Freiheit erwacht ist, der gefühlt hat, daß er "Thäter seiner Thaten" sey, ist es fast unvermeidlich, überall da wo er Veränderung sieht Handlung, wo er Thätigkeit sieht Freiheit und daher geistiges Leben vorauszusetzen. So erhält anfänglich jede Pflanze, jeder Baum, jede Blume ein personificirendes Princip, als einwohnenden Gott; Dryaden beleben die Wälder, im säuselnden Grase tanzen Elfen ihren leichten Reigen. -- Noch bestimmter bemächtigt sich späterhin die symbolisirende Dichtung des Lebens der einzelnen Pflanzen und in Cultus und Poesie verflechten sich reiche Kränze aus dem friedlichen Reiche der Flora. Die Sehnsucht nach einer Fortdauer jenseits des unvollkommenen Erdenlebens greift begierig nach jedem Zug in der Natur, der eine solche Unsterblichkeit andeutet. Die ernste und dauernde Cypresse schmückte bei den Griechen die Gräber der Ge- liebten und die Wiesen der homerischen Unterwelt belebt der blaue Asphodelos, dessen lichte Blüthe, in jedem Frühling neu aus der in der Erde sich bergenden Zwiebel emporgehoben, ein ewiges Wieder- aufleben, eine sichere Unsterblichkeit verkündete. -- Auf den stillen Ge-
ſo wenig noch mit Geiſt und Geſchmack vorgearbeitet iſt, als gerade in dieſer höchſten Aufgabe der Botanik und daß wir hier deshalb wenig mehr finden als ſehr unzuſammenhängende Bruch- ſtücke. Dies mag denn das noch weniger als Skitzenhafte der fol- genden Mittheilungen entſchuldigen.
Das geſammte Material, welches uns hier zu Gebote ſteht, zerfällt in drei Gruppen, nach der Art und Weiſe, in welcher die Pflanzen ihre Bedeutſamkeit geltend machen. Das Erſte iſt die Symboliſirung der ein- zelnen Pflanzen. Der Menſch, ſobald er ſich dem roheſten Zuſtande des Jägerlebens entriſſen, wird ſchon durch den Heerden pflegenden Beruf des geſänftigtern Hirten, mehr aber noch durch die Eigenthum aner- kennende Geſittung des Ackerbaus auf die Beobachtung der Pflanzen im Einzelnen, ihres Entſtehens und Vergehens, ihres Lebens und ihrer Fortpflanzung, endlich ihrer Abhängigkeit von fördernden oder ſtörenden Einflüſſen der äußern Natur, von Sonne, Thau, Regen und Boden hingewieſen. Dem Menſchen, der zuerſt zum Gefühl eigner Freiheit erwacht iſt, der gefühlt hat, daß er „Thäter ſeiner Thaten“ ſey, iſt es faſt unvermeidlich, überall da wo er Veränderung ſieht Handlung, wo er Thätigkeit ſieht Freiheit und daher geiſtiges Leben vorauszuſetzen. So erhält anfänglich jede Pflanze, jeder Baum, jede Blume ein perſonificirendes Princip, als einwohnenden Gott; Dryaden beleben die Wälder, im ſäuſelnden Graſe tanzen Elfen ihren leichten Reigen. — Noch beſtimmter bemächtigt ſich ſpäterhin die ſymboliſirende Dichtung des Lebens der einzelnen Pflanzen und in Cultus und Poeſie verflechten ſich reiche Kränze aus dem friedlichen Reiche der Flora. Die Sehnſucht nach einer Fortdauer jenſeits des unvollkommenen Erdenlebens greift begierig nach jedem Zug in der Natur, der eine ſolche Unſterblichkeit andeutet. Die ernſte und dauernde Cypreſſe ſchmückte bei den Griechen die Gräber der Ge- liebten und die Wieſen der homeriſchen Unterwelt belebt der blaue Aſphodelos, deſſen lichte Blüthe, in jedem Frühling neu aus der in der Erde ſich bergenden Zwiebel emporgehoben, ein ewiges Wieder- aufleben, eine ſichere Unſterblichkeit verkündete. — Auf den ſtillen Ge-
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ſo wenig noch mit Geiſt und Geſchmack vorgearbeitet iſt, als
gerade in dieſer höchſten Aufgabe der Botanik und daß wir hier
deshalb wenig mehr finden als ſehr unzuſammenhängende Bruch-
ſtücke. Dies mag denn das noch weniger als Skitzenhafte der fol-
genden Mittheilungen entſchuldigen.
Das geſammte Material, welches uns hier zu Gebote ſteht, zerfällt
in drei Gruppen, nach der Art und Weiſe, in welcher die Pflanzen ihre
Bedeutſamkeit geltend machen. Das Erſte iſt die Symboliſirung der ein-
zelnen Pflanzen. Der Menſch, ſobald er ſich dem roheſten Zuſtande des
Jägerlebens entriſſen, wird ſchon durch den Heerden pflegenden Beruf
des geſänftigtern Hirten, mehr aber noch durch die Eigenthum aner-
kennende Geſittung des Ackerbaus auf die Beobachtung der Pflanzen
im Einzelnen, ihres Entſtehens und Vergehens, ihres Lebens und
ihrer Fortpflanzung, endlich ihrer Abhängigkeit von fördernden oder
ſtörenden Einflüſſen der äußern Natur, von Sonne, Thau, Regen
und Boden hingewieſen. Dem Menſchen, der zuerſt zum Gefühl
eigner Freiheit erwacht iſt, der gefühlt hat, daß er „Thäter ſeiner
Thaten“ ſey, iſt es faſt unvermeidlich, überall da wo er Veränderung
ſieht Handlung, wo er Thätigkeit ſieht Freiheit und daher geiſtiges
Leben vorauszuſetzen. So erhält anfänglich jede Pflanze, jeder Baum,
jede Blume ein perſonificirendes Princip, als einwohnenden Gott;
Dryaden beleben die Wälder, im ſäuſelnden Graſe tanzen Elfen
ihren leichten Reigen. — Noch beſtimmter bemächtigt ſich ſpäterhin
die ſymboliſirende Dichtung des Lebens der einzelnen Pflanzen und
in Cultus und Poeſie verflechten ſich reiche Kränze aus dem friedlichen
Reiche der Flora. Die Sehnſucht nach einer Fortdauer jenſeits des
unvollkommenen Erdenlebens greift begierig nach jedem Zug in der
Natur, der eine ſolche Unſterblichkeit andeutet. Die ernſte und
dauernde Cypreſſe ſchmückte bei den Griechen die Gräber der Ge-
liebten und die Wieſen der homeriſchen Unterwelt belebt der blaue
Aſphodelos, deſſen lichte Blüthe, in jedem Frühling neu aus der
in der Erde ſich bergenden Zwiebel emporgehoben, ein ewiges Wieder-
aufleben, eine ſichere Unſterblichkeit verkündete. — Auf den ſtillen Ge-
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/312>, abgerufen am 22.11.2024.
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