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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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Pflanzen, treffend vom Botaniker Schutt pflanzen genannt, bezeich-
nen den Pfad, den der Mensch bisher durch die Erde gegangen ist.
Vor ihm liegt die ursprüngliche Natur in ihrer wilden aber großar-
tigen Schönheit. Hinter sich läßt er die Wüste, ein häßliches, ver-
dorbenes Land; denn kindische Zerstörungslust, oder unbesonnene
Verschwendung der Pflanzenschätze haben den Character der Natur
vernichtet und erschreckt flieht der Mensch selbst den Schauplatz seiner
Thaten, um rohen Stämmen oder den Thieren die entwürdigte Erde
zu überlassen, so lange noch ein anderer Fleck ihm in jungfräulicher
Schönheit entgegenlächelt. Auch hier wieder eigennützig nur seinen
Vortheil suchend und bewußter oder unbewußter folgend dem scheuß-
lichsten Grundsatz, der größten moralischen Nichtswürdigkeit, die je ein
Mensch ausgesprochen: "apres nous le deluge", sein Zerstörungs-
werk aufs Neue beginnend. So überließ die fortrückende Cultur den
Orient und vielleicht früher schon die ihres Kleides beraubte Wüste,
so das ehemals schöne Griechenland wilden Horden, so wälzt sich
mit entsetzlicher Schnelligkeit diese Eroberung von Osten nach Westen
durch America, und der Pflanzer verläßt schon jetzt häufig den ausge-
sogenen Boden, das durch Vernichten der Wälder unfruchtbar ge-
wordene Clima des Ostens, um im fernen Westen eine ähnliche Revo-
lution einzuleiten. Aber wir sehen auch, daß edle Stämme, oder wahr-
haft gebildete Männer schon jetzt ihre warnende Stimme erheben, im
kleinen Hand anlegen an die zweite gewaltigere Arbeit, die Natur wie-
der herzustellen in ihrer Kraft und Fülle, aber auf einer höheren Stufe
als der der wilden Natur, vielmehr unterthan dem vom Menschen
gegebenen Zweckgesetz, nach Planen, die der Entwicklung der Menschheit
selbst nachgebildet sind, geordnet. Freilich bleibt das Alles zur Zeit noch
ein machtloses und für das Ganze verschwindend kleines Unterneh-
men, aber es wahrt den Glauben an den menschlichen Beruf und
seine Kraft, ihn zu erfüllen. Dereinst wird und muß es ihm gelingen
die Natur, indem er sie ganz beherrscht, leitet und schützt, frei zu
machen von der tyrannischen Sclaverei, zu welcher er sie jetzt noch

Pflanzen, treffend vom Botaniker Schutt pflanzen genannt, bezeich-
nen den Pfad, den der Menſch bisher durch die Erde gegangen iſt.
Vor ihm liegt die urſprüngliche Natur in ihrer wilden aber großar-
tigen Schönheit. Hinter ſich läßt er die Wüſte, ein häßliches, ver-
dorbenes Land; denn kindiſche Zerſtörungsluſt, oder unbeſonnene
Verſchwendung der Pflanzenſchätze haben den Character der Natur
vernichtet und erſchreckt flieht der Menſch ſelbſt den Schauplatz ſeiner
Thaten, um rohen Stämmen oder den Thieren die entwürdigte Erde
zu überlaſſen, ſo lange noch ein anderer Fleck ihm in jungfräulicher
Schönheit entgegenlächelt. Auch hier wieder eigennützig nur ſeinen
Vortheil ſuchend und bewußter oder unbewußter folgend dem ſcheuß-
lichſten Grundſatz, der größten moraliſchen Nichtswürdigkeit, die je ein
Menſch ausgeſprochen: „après nous le déluge“, ſein Zerſtörungs-
werk aufs Neue beginnend. So überließ die fortrückende Cultur den
Orient und vielleicht früher ſchon die ihres Kleides beraubte Wüſte,
ſo das ehemals ſchöne Griechenland wilden Horden, ſo wälzt ſich
mit entſetzlicher Schnelligkeit dieſe Eroberung von Oſten nach Weſten
durch America, und der Pflanzer verläßt ſchon jetzt häufig den ausge-
ſogenen Boden, das durch Vernichten der Wälder unfruchtbar ge-
wordene Clima des Oſtens, um im fernen Weſten eine ähnliche Revo-
lution einzuleiten. Aber wir ſehen auch, daß edle Stämme, oder wahr-
haft gebildete Männer ſchon jetzt ihre warnende Stimme erheben, im
kleinen Hand anlegen an die zweite gewaltigere Arbeit, die Natur wie-
der herzuſtellen in ihrer Kraft und Fülle, aber auf einer höheren Stufe
als der der wilden Natur, vielmehr unterthan dem vom Menſchen
gegebenen Zweckgeſetz, nach Planen, die der Entwicklung der Menſchheit
ſelbſt nachgebildet ſind, geordnet. Freilich bleibt das Alles zur Zeit noch
ein machtloſes und für das Ganze verſchwindend kleines Unterneh-
men, aber es wahrt den Glauben an den menſchlichen Beruf und
ſeine Kraft, ihn zu erfüllen. Dereinſt wird und muß es ihm gelingen
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[283/0299] Pflanzen, treffend vom Botaniker Schutt pflanzen genannt, bezeich- nen den Pfad, den der Menſch bisher durch die Erde gegangen iſt. Vor ihm liegt die urſprüngliche Natur in ihrer wilden aber großar- tigen Schönheit. Hinter ſich läßt er die Wüſte, ein häßliches, ver- dorbenes Land; denn kindiſche Zerſtörungsluſt, oder unbeſonnene Verſchwendung der Pflanzenſchätze haben den Character der Natur vernichtet und erſchreckt flieht der Menſch ſelbſt den Schauplatz ſeiner Thaten, um rohen Stämmen oder den Thieren die entwürdigte Erde zu überlaſſen, ſo lange noch ein anderer Fleck ihm in jungfräulicher Schönheit entgegenlächelt. Auch hier wieder eigennützig nur ſeinen Vortheil ſuchend und bewußter oder unbewußter folgend dem ſcheuß- lichſten Grundſatz, der größten moraliſchen Nichtswürdigkeit, die je ein Menſch ausgeſprochen: „après nous le déluge“, ſein Zerſtörungs- werk aufs Neue beginnend. So überließ die fortrückende Cultur den Orient und vielleicht früher ſchon die ihres Kleides beraubte Wüſte, ſo das ehemals ſchöne Griechenland wilden Horden, ſo wälzt ſich mit entſetzlicher Schnelligkeit dieſe Eroberung von Oſten nach Weſten durch America, und der Pflanzer verläßt ſchon jetzt häufig den ausge- ſogenen Boden, das durch Vernichten der Wälder unfruchtbar ge- wordene Clima des Oſtens, um im fernen Weſten eine ähnliche Revo- lution einzuleiten. Aber wir ſehen auch, daß edle Stämme, oder wahr- haft gebildete Männer ſchon jetzt ihre warnende Stimme erheben, im kleinen Hand anlegen an die zweite gewaltigere Arbeit, die Natur wie- der herzuſtellen in ihrer Kraft und Fülle, aber auf einer höheren Stufe als der der wilden Natur, vielmehr unterthan dem vom Menſchen gegebenen Zweckgeſetz, nach Planen, die der Entwicklung der Menſchheit ſelbſt nachgebildet ſind, geordnet. Freilich bleibt das Alles zur Zeit noch ein machtloſes und für das Ganze verſchwindend kleines Unterneh- men, aber es wahrt den Glauben an den menſchlichen Beruf und ſeine Kraft, ihn zu erfüllen. Dereinſt wird und muß es ihm gelingen die Natur, indem er ſie ganz beherrſcht, leitet und ſchützt, frei zu machen von der tyranniſchen Sclaverei, zu welcher er ſie jetzt noch

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/299>, abgerufen am 22.11.2024.