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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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bleibseln keine eine eigenthümliche größere Gruppe gleichsam eine
Bildungsstufe der Pflanzenwelt ausmachende Pflanzenform, welche
nicht ihre Repräsentanten auch noch in der Flora der Jetztwelt auf-
zuweisen hätte.

Diese Ansicht, daß aus einer einzigen Zelle und ihrer Nachkom-
menschaft, durch allmälige Bildung von Spielarten, die sich zu Arten
stereotypirten und dann auf gleiche Weise wieder die Erzeuger neuer
Formen wurden, sich allmälig die ganze Fülle der Pflanzenwelt entwickelt
habe, ist mindestens eben so möglich als jede andere, und vielleicht
wahrscheinlicher und entsprechender als jede andere, weil sie das ab-
solut Unerklärbare, nämlich die Urzeugung eines organischen Wesens,
in die allerengsten Grenzen, die sich denken lassen, zurückweist.

Erst am Ende dieser ganzen Reihe von Entwicklungen tritt auf
uns unerklärliche Weise der Mensch in den Kreis der Erdenbewohner
und trennt dadurch die Reihe der vorhergehenden Veränderungen,
als Urgeschichte der Pflanzenwelt von den folgenden als Zeit-
geschichte
ab. Die Grenze ist etwas verwischt und ein Irrthum von
10--20,000 Jahren bei dem Versuch einer Zeitbestimmung leicht
möglich, sogar wahrscheinlich, gleichwohl haben sich Thoren auf solche
Angaben eingelassen, wie es ja auch complete Narren gab, die Jahr,
Monat, Tag und Stunde ausrechneten, an denen Gott die Welt
geschaffen. --

Aus der Hand der Natur empfing der Mensch sein ihm bereitetes
Erbtheil: Pflanzen und Thierwelt, die todten Stoffe und ihre Kräfte
und wie hat er dieses Erbtheil verwaltet? Mag er Rechenschaft davon
ablegen, aber zu fürchten ist, daß er hier, wie überall, nur schlecht
bestehen werde. --

Fragen wir nach den Zwecken, welchen die Pflanzenwelt, die bunte
Decke der Erde, zu entsprechen bestimmt ist, so finden wir einen drei-
fachen. Der niedrigste ist ohne Zweifel der, den gemeinen Bedürfnissen
der Menschen, seiner Ernährung und seinem Gewerbe, in einem
Wort, seinem Haushalt zu dienen. Ich nenne ihn den niedrigsten,
weil hier nur jedes einzelne Individuum in seinen thierischen, wenn

bleibſeln keine eine eigenthümliche größere Gruppe gleichſam eine
Bildungsſtufe der Pflanzenwelt ausmachende Pflanzenform, welche
nicht ihre Repräſentanten auch noch in der Flora der Jetztwelt auf-
zuweiſen hätte.

Dieſe Anſicht, daß aus einer einzigen Zelle und ihrer Nachkom-
menſchaft, durch allmälige Bildung von Spielarten, die ſich zu Arten
ſtereotypirten und dann auf gleiche Weiſe wieder die Erzeuger neuer
Formen wurden, ſich allmälig die ganze Fülle der Pflanzenwelt entwickelt
habe, iſt mindeſtens eben ſo möglich als jede andere, und vielleicht
wahrſcheinlicher und entſprechender als jede andere, weil ſie das ab-
ſolut Unerklärbare, nämlich die Urzeugung eines organiſchen Weſens,
in die allerengſten Grenzen, die ſich denken laſſen, zurückweiſt.

Erſt am Ende dieſer ganzen Reihe von Entwicklungen tritt auf
uns unerklärliche Weiſe der Menſch in den Kreis der Erdenbewohner
und trennt dadurch die Reihe der vorhergehenden Veränderungen,
als Urgeſchichte der Pflanzenwelt von den folgenden als Zeit-
geſchichte
ab. Die Grenze iſt etwas verwiſcht und ein Irrthum von
10—20,000 Jahren bei dem Verſuch einer Zeitbeſtimmung leicht
möglich, ſogar wahrſcheinlich, gleichwohl haben ſich Thoren auf ſolche
Angaben eingelaſſen, wie es ja auch complete Narren gab, die Jahr,
Monat, Tag und Stunde ausrechneten, an denen Gott die Welt
geſchaffen. —

Aus der Hand der Natur empfing der Menſch ſein ihm bereitetes
Erbtheil: Pflanzen und Thierwelt, die todten Stoffe und ihre Kräfte
und wie hat er dieſes Erbtheil verwaltet? Mag er Rechenſchaft davon
ablegen, aber zu fürchten iſt, daß er hier, wie überall, nur ſchlecht
beſtehen werde. —

Fragen wir nach den Zwecken, welchen die Pflanzenwelt, die bunte
Decke der Erde, zu entſprechen beſtimmt iſt, ſo finden wir einen drei-
fachen. Der niedrigſte iſt ohne Zweifel der, den gemeinen Bedürfniſſen
der Menſchen, ſeiner Ernährung und ſeinem Gewerbe, in einem
Wort, ſeinem Haushalt zu dienen. Ich nenne ihn den niedrigſten,
weil hier nur jedes einzelne Individuum in ſeinen thieriſchen, wenn

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[271/0287] bleibſeln keine eine eigenthümliche größere Gruppe gleichſam eine Bildungsſtufe der Pflanzenwelt ausmachende Pflanzenform, welche nicht ihre Repräſentanten auch noch in der Flora der Jetztwelt auf- zuweiſen hätte. Dieſe Anſicht, daß aus einer einzigen Zelle und ihrer Nachkom- menſchaft, durch allmälige Bildung von Spielarten, die ſich zu Arten ſtereotypirten und dann auf gleiche Weiſe wieder die Erzeuger neuer Formen wurden, ſich allmälig die ganze Fülle der Pflanzenwelt entwickelt habe, iſt mindeſtens eben ſo möglich als jede andere, und vielleicht wahrſcheinlicher und entſprechender als jede andere, weil ſie das ab- ſolut Unerklärbare, nämlich die Urzeugung eines organiſchen Weſens, in die allerengſten Grenzen, die ſich denken laſſen, zurückweiſt. Erſt am Ende dieſer ganzen Reihe von Entwicklungen tritt auf uns unerklärliche Weiſe der Menſch in den Kreis der Erdenbewohner und trennt dadurch die Reihe der vorhergehenden Veränderungen, als Urgeſchichte der Pflanzenwelt von den folgenden als Zeit- geſchichte ab. Die Grenze iſt etwas verwiſcht und ein Irrthum von 10—20,000 Jahren bei dem Verſuch einer Zeitbeſtimmung leicht möglich, ſogar wahrſcheinlich, gleichwohl haben ſich Thoren auf ſolche Angaben eingelaſſen, wie es ja auch complete Narren gab, die Jahr, Monat, Tag und Stunde ausrechneten, an denen Gott die Welt geſchaffen. — Aus der Hand der Natur empfing der Menſch ſein ihm bereitetes Erbtheil: Pflanzen und Thierwelt, die todten Stoffe und ihre Kräfte und wie hat er dieſes Erbtheil verwaltet? Mag er Rechenſchaft davon ablegen, aber zu fürchten iſt, daß er hier, wie überall, nur ſchlecht beſtehen werde. — Fragen wir nach den Zwecken, welchen die Pflanzenwelt, die bunte Decke der Erde, zu entſprechen beſtimmt iſt, ſo finden wir einen drei- fachen. Der niedrigſte iſt ohne Zweifel der, den gemeinen Bedürfniſſen der Menſchen, ſeiner Ernährung und ſeinem Gewerbe, in einem Wort, ſeinem Haushalt zu dienen. Ich nenne ihn den niedrigſten, weil hier nur jedes einzelne Individuum in ſeinen thieriſchen, wenn

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/287>, abgerufen am 25.11.2024.