mauer der Alpen zu übersteigen, wodurch eine weise Vorsehung den Deutschen gegen Süden beschränkt hat, die er vorwitzig überstieg, um aus dem sinnlichen und verderbten Süden seinem Volke unendliches Elend und Jahrhunderte durch zehrendes Siechthum zu holen. Hier treten plötzlich ganz andere Pflanzenformen auf; an die großen Wälder aus Laubhölzern, deren lederartige, glänzende Blätter den leichten Winter überdauern, um deren mächtige Stämme sich die Reben und feuerfarbigen Bignonien schlingen, schließen sich ähnliche Gebüsche von Myrte, Tinus, Erdbeerbäumen und Pistacien gebildet. Hin und wieder findet sich die Zwergpalme ein, Labiaten und kreuzblüthige, und schönblühende Cistrosen ersetzen im Sommer die Frühlingsflor duftender Hyacinthen und Narcissen, aber selten noch in günstigsten Lagen erfreut sich das vom Glanz der immer- grünen Blätter, oder von dem grellen Farbenspiel nackter, zackiger Ge- birgszüge geblendete Auge des milden Schimmers grünender Wiesen. Dafür hat sich der Mensch in diesem Gürtel immergrüner Laubhölzer der Frucht der Hesperiden bemächtigt. Es ist
"das Land wo die Citronen blühn, Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn."
Aber weiter, immer weiter strebt das unersättliche Geschlecht der Japetus, keine Sage vom afrikanischen Wüstensande, keine Todes- nachricht von den vielen kühnen Reisenden, die ausgingen die Quellen des Nigers zu suchen, schreckt ihn zurück. An der Westküste Africas, auf den canarischen Inseln, findet er zwar nicht mehr den riesen- mäßigen Hund, nach welchem, wie Plinius berichtet, die Hunds- inseln benannt sind, aber Flora beut ihm die reichsten Schätze, welche sie mit Hülfe der tropischen Sonne dem von Meeresdünsten durch- feuchteten Boden zu entlocken vermag. Um Sycomoren schlingen sich mächtige Cissusstämme, Capern und Bauhinien durch- flechten die Gebüsche von balsamreichen Sträuchern gebildet. Schlank erhebt sich die Dattelpalme und zu riesigen Holzmassen erwächst der Baobab*). Die wunderlichen cactusähnlichen Formen
*) oder Affenbrodbaum, Adansonia digitata.
mauer der Alpen zu überſteigen, wodurch eine weiſe Vorſehung den Deutſchen gegen Süden beſchränkt hat, die er vorwitzig überſtieg, um aus dem ſinnlichen und verderbten Süden ſeinem Volke unendliches Elend und Jahrhunderte durch zehrendes Siechthum zu holen. Hier treten plötzlich ganz andere Pflanzenformen auf; an die großen Wälder aus Laubhölzern, deren lederartige, glänzende Blätter den leichten Winter überdauern, um deren mächtige Stämme ſich die Reben und feuerfarbigen Bignonien ſchlingen, ſchließen ſich ähnliche Gebüſche von Myrte, Tinus, Erdbeerbäumen und Piſtacien gebildet. Hin und wieder findet ſich die Zwergpalme ein, Labiaten und kreuzblüthige, und ſchönblühende Ciſtroſen erſetzen im Sommer die Frühlingsflor duftender Hyacinthen und Narciſſen, aber ſelten noch in günſtigſten Lagen erfreut ſich das vom Glanz der immer- grünen Blätter, oder von dem grellen Farbenſpiel nackter, zackiger Ge- birgszüge geblendete Auge des milden Schimmers grünender Wieſen. Dafür hat ſich der Menſch in dieſem Gürtel immergrüner Laubhölzer der Frucht der Hesperiden bemächtigt. Es iſt
„das Land wo die Citronen blühn, Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn.“
Aber weiter, immer weiter ſtrebt das unerſättliche Geſchlecht der Japetus, keine Sage vom afrikaniſchen Wüſtenſande, keine Todes- nachricht von den vielen kühnen Reiſenden, die ausgingen die Quellen des Nigers zu ſuchen, ſchreckt ihn zurück. An der Weſtküſte Africas, auf den canariſchen Inſeln, findet er zwar nicht mehr den rieſen- mäßigen Hund, nach welchem, wie Plinius berichtet, die Hunds- inſeln benannt ſind, aber Flora beut ihm die reichſten Schätze, welche ſie mit Hülfe der tropiſchen Sonne dem von Meeresdünſten durch- feuchteten Boden zu entlocken vermag. Um Sycomoren ſchlingen ſich mächtige Ciſſusſtämme, Capern und Bauhinien durch- flechten die Gebüſche von balſamreichen Sträuchern gebildet. Schlank erhebt ſich die Dattelpalme und zu rieſigen Holzmaſſen erwächſt der Baobab*). Die wunderlichen cactusähnlichen Formen
*) oder Affenbrodbaum, Adansonia digitata.
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mauer der Alpen zu überſteigen, wodurch eine weiſe Vorſehung den
Deutſchen gegen Süden beſchränkt hat, die er vorwitzig überſtieg, um
aus dem ſinnlichen und verderbten Süden ſeinem Volke unendliches
Elend und Jahrhunderte durch zehrendes Siechthum zu holen. Hier
treten plötzlich ganz andere Pflanzenformen auf; an die großen Wälder
aus Laubhölzern, deren lederartige, glänzende Blätter den leichten
Winter überdauern, um deren mächtige Stämme ſich die Reben und
feuerfarbigen Bignonien ſchlingen, ſchließen ſich ähnliche Gebüſche
von Myrte, Tinus, Erdbeerbäumen und Piſtacien gebildet.
Hin und wieder findet ſich die Zwergpalme ein, Labiaten und
kreuzblüthige, und ſchönblühende Ciſtroſen erſetzen im Sommer
die Frühlingsflor duftender Hyacinthen und Narciſſen, aber
ſelten noch in günſtigſten Lagen erfreut ſich das vom Glanz der immer-
grünen Blätter, oder von dem grellen Farbenſpiel nackter, zackiger Ge-
birgszüge geblendete Auge des milden Schimmers grünender Wieſen.
Dafür hat ſich der Menſch in dieſem Gürtel immergrüner
Laubhölzer der Frucht der Hesperiden bemächtigt. Es iſt
„das Land wo die Citronen blühn,
Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn.“
Aber weiter, immer weiter ſtrebt das unerſättliche Geſchlecht der
Japetus, keine Sage vom afrikaniſchen Wüſtenſande, keine Todes-
nachricht von den vielen kühnen Reiſenden, die ausgingen die Quellen
des Nigers zu ſuchen, ſchreckt ihn zurück. An der Weſtküſte Africas,
auf den canariſchen Inſeln, findet er zwar nicht mehr den rieſen-
mäßigen Hund, nach welchem, wie Plinius berichtet, die Hunds-
inſeln benannt ſind, aber Flora beut ihm die reichſten Schätze, welche
ſie mit Hülfe der tropiſchen Sonne dem von Meeresdünſten durch-
feuchteten Boden zu entlocken vermag. Um Sycomoren ſchlingen
ſich mächtige Ciſſusſtämme, Capern und Bauhinien durch-
flechten die Gebüſche von balſamreichen Sträuchern gebildet.
Schlank erhebt ſich die Dattelpalme und zu rieſigen Holzmaſſen
erwächſt der Baobab *). Die wunderlichen cactusähnlichen Formen
*) oder Affenbrodbaum, Adansonia digitata.
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/244>, abgerufen am 24.07.2024.
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