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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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Einen treffenden Beleg für diese Ansichten bietet uns zum Bei-
spiel die Pflanzengeographie dar. Schon in den frühesten Zeiten der
Botanik merkte man natürlich bei jeder Pflanze, welche man beschrieb
an, wo sie zu finden sey, aber Niemand ahnte noch in diesen Be-
merkungen die Keime einer Wissenschaft. Da machte der geniale
Botaniker Tournefort eine Reise in die Levante und bei Besteigung
des Ararat fiel es ihm auf, daß mit seiner allmäligen Erhebung
über der Meeresfläche die Vegetation auch einen wesentlich verschie-
denen Character annahm, und daß diese Veränderungen nahebei dem
entsprechen, was man beobachtet, wenn man von Kleinasien nach
Lappland reist. Hier war ein Räthsel genannt und eifrig ging man
an die Lösung. Adanson, nicht minder ausgezeichnet als Tourne-
fort
, sprach es zuerst aus, daß die Doldenpflanzen innerhalb der
Wendekreise fast gar nicht vorkommen und damit war eine Frage hin-
geworfen, die abermals ihre Antwort erwartete. -- Im Jahr 1807
erschien Humboldts essai sur la geographie des plantes, worin
er die beobachteten Eigenthümlichkeiten in der Vertheilung der Ge-
wächse mit den Besonderheiten des Climas in Verbindung zu bringen
suchte. Aber erst 10 Jahre später, nachdem sich abermals die Masse
der Thatsachen gehäuft hatte, ohne daß man etwas wesentlich Neues
damit zu beginnen wußte, that abermals Humboldt den letzten
Schritt, indem er mit einem genialen Blick die ganze Erde umfassend
die Pflanzengeographie einer Theorie der Erde einfügte und die Ver-
theilung der Pflanzen im Großen wie im Kleinen von der physicali-
schen Beschaffenheit der Erde abhängig machte. Damit zuerst war
nicht etwa die Wissenschaft vollendet, sondern erst begonnen, sie hatte
einen bestimmten Ausgangspunct erhalten, was aber ihr Endziel seyn
wird ist zur Zeit noch schwer, wo nicht unmöglich, zu entwickeln.
Wenigstens ist es sehr leicht an einigen Beispielen nachzuweisen, daß
für die ganze eine Hälfte der Erscheinungen noch keine Andeutungen
vorhanden sind, woher, aus welchem Kreise von Naturgesetzen der-
einst die Erklärungsgründe für sie zu entlehnen seyn werden.

Diesseits der Alpen wachsen keine Orangen. Ueber die

Einen treffenden Beleg für dieſe Anſichten bietet uns zum Bei-
ſpiel die Pflanzengeographie dar. Schon in den früheſten Zeiten der
Botanik merkte man natürlich bei jeder Pflanze, welche man beſchrieb
an, wo ſie zu finden ſey, aber Niemand ahnte noch in dieſen Be-
merkungen die Keime einer Wiſſenſchaft. Da machte der geniale
Botaniker Tournefort eine Reiſe in die Levante und bei Beſteigung
des Ararat fiel es ihm auf, daß mit ſeiner allmäligen Erhebung
über der Meeresfläche die Vegetation auch einen weſentlich verſchie-
denen Character annahm, und daß dieſe Veränderungen nahebei dem
entſprechen, was man beobachtet, wenn man von Kleinaſien nach
Lappland reiſt. Hier war ein Räthſel genannt und eifrig ging man
an die Löſung. Adanſon, nicht minder ausgezeichnet als Tourne-
fort
, ſprach es zuerſt aus, daß die Doldenpflanzen innerhalb der
Wendekreiſe faſt gar nicht vorkommen und damit war eine Frage hin-
geworfen, die abermals ihre Antwort erwartete. — Im Jahr 1807
erſchien Humboldts essai sur la geographie des plantes, worin
er die beobachteten Eigenthümlichkeiten in der Vertheilung der Ge-
wächſe mit den Beſonderheiten des Climas in Verbindung zu bringen
ſuchte. Aber erſt 10 Jahre ſpäter, nachdem ſich abermals die Maſſe
der Thatſachen gehäuft hatte, ohne daß man etwas weſentlich Neues
damit zu beginnen wußte, that abermals Humboldt den letzten
Schritt, indem er mit einem genialen Blick die ganze Erde umfaſſend
die Pflanzengeographie einer Theorie der Erde einfügte und die Ver-
theilung der Pflanzen im Großen wie im Kleinen von der phyſicali-
ſchen Beſchaffenheit der Erde abhängig machte. Damit zuerſt war
nicht etwa die Wiſſenſchaft vollendet, ſondern erſt begonnen, ſie hatte
einen beſtimmten Ausgangspunct erhalten, was aber ihr Endziel ſeyn
wird iſt zur Zeit noch ſchwer, wo nicht unmöglich, zu entwickeln.
Wenigſtens iſt es ſehr leicht an einigen Beiſpielen nachzuweiſen, daß
für die ganze eine Hälfte der Erſcheinungen noch keine Andeutungen
vorhanden ſind, woher, aus welchem Kreiſe von Naturgeſetzen der-
einſt die Erklärungsgründe für ſie zu entlehnen ſeyn werden.

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[222/0238] Einen treffenden Beleg für dieſe Anſichten bietet uns zum Bei- ſpiel die Pflanzengeographie dar. Schon in den früheſten Zeiten der Botanik merkte man natürlich bei jeder Pflanze, welche man beſchrieb an, wo ſie zu finden ſey, aber Niemand ahnte noch in dieſen Be- merkungen die Keime einer Wiſſenſchaft. Da machte der geniale Botaniker Tournefort eine Reiſe in die Levante und bei Beſteigung des Ararat fiel es ihm auf, daß mit ſeiner allmäligen Erhebung über der Meeresfläche die Vegetation auch einen weſentlich verſchie- denen Character annahm, und daß dieſe Veränderungen nahebei dem entſprechen, was man beobachtet, wenn man von Kleinaſien nach Lappland reiſt. Hier war ein Räthſel genannt und eifrig ging man an die Löſung. Adanſon, nicht minder ausgezeichnet als Tourne- fort, ſprach es zuerſt aus, daß die Doldenpflanzen innerhalb der Wendekreiſe faſt gar nicht vorkommen und damit war eine Frage hin- geworfen, die abermals ihre Antwort erwartete. — Im Jahr 1807 erſchien Humboldts essai sur la geographie des plantes, worin er die beobachteten Eigenthümlichkeiten in der Vertheilung der Ge- wächſe mit den Beſonderheiten des Climas in Verbindung zu bringen ſuchte. Aber erſt 10 Jahre ſpäter, nachdem ſich abermals die Maſſe der Thatſachen gehäuft hatte, ohne daß man etwas weſentlich Neues damit zu beginnen wußte, that abermals Humboldt den letzten Schritt, indem er mit einem genialen Blick die ganze Erde umfaſſend die Pflanzengeographie einer Theorie der Erde einfügte und die Ver- theilung der Pflanzen im Großen wie im Kleinen von der phyſicali- ſchen Beſchaffenheit der Erde abhängig machte. Damit zuerſt war nicht etwa die Wiſſenſchaft vollendet, ſondern erſt begonnen, ſie hatte einen beſtimmten Ausgangspunct erhalten, was aber ihr Endziel ſeyn wird iſt zur Zeit noch ſchwer, wo nicht unmöglich, zu entwickeln. Wenigſtens iſt es ſehr leicht an einigen Beiſpielen nachzuweiſen, daß für die ganze eine Hälfte der Erſcheinungen noch keine Andeutungen vorhanden ſind, woher, aus welchem Kreiſe von Naturgeſetzen der- einſt die Erklärungsgründe für ſie zu entlehnen ſeyn werden. Dieſſeits der Alpen wachſen keine Orangen. Ueber die

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/238>, abgerufen am 24.11.2024.