kampfunfähig aus Ufer hingestreckt. Nachdem der Jäger sich von Schlamm und Blut gereinigt, wendeten wir unsern Beistand dem ge- fährlich verwundeten Hund zu und trennten uns endlich, jeder seinen eigenen Weg verfolgend und der Jäger schwörend, daß er nie wieder ohne Flinte mit einem "alten Mann" anbinden wolle."
"So niedlich solche Erzählungen sich im Damenkreise ausnehmen mögen, hob der Dritte an, so sollte der Mann doch darüber hinaus seyn in solchen Trivialitäten Genuß zu finden. Nur wenn das Leben täglich und stündlich aufs Spiel gesetzt wird, wenn die Gefahren in allen Formen sich zeigen, läßt sich von einer Aufregung reden, die eine würdige Unterhaltung des Mannes seyn kann, und wo fände man das in dem Maaße wie bei einer Wallfischjagd auf den nordischen Meeren. Mit Luft denke ich noch jetzt an eine Scene zurück, welche im vorletzten Winter bald auf eigenthümliche Weise meinem Leben ein Ende gemacht hätte. Wir hatten bereits 16 Tage bei einem furchtbaren Sturme am Eingang der Baffinsbay gekreuzt. Die Take- lage starrte von Eis, die Seiten des Schiffes waren mit großen glän- zenden Massen überzogen. Die Mannschaft war halb erfroren und wir konnten keinen Strick durch einen Block bewegen ohne vorher heißes Wasser darüber gegossen zu haben. Wir hatten wenig Tages- licht wegen des dichten Nebels, aber noch furchtbarer waren die langen, schauerlichen Nächte, wenn das Schiff sich auf den schwarzen Wellen bergan erhob und dann wieder hinabstürzte in die Tiefe, so daß wir jeden Augenblick fürchten mußten an den Eismassen zu zerschellen, welche der heulende Sturm wie fahl leuchtende und schäumende Nacht- dämonen zu unserer Vernichtung gesendet über die brausende Wasser- fläche dahinjagte. Eines Morgens gegen Ende des Sturms nach einem frischen Schneefall näherte sich uns mit erschreckender Ge- schwindigkeit ein 500 Fuß hoher Eisfelsen, schon war er in gefahr- drohender Nähe, da erscholl plötzlich der Schreckensruf: Er wendet sich!*) Da kam er näher, seinen wankenden Gipfel langsam auf un-
*) Die vom Polareise losgerissenen Eismassen, vom Sturm in niedere Breiten getrieben, ragen oft zwei und mehrere Hundert Fuß aus dem Meere hervor, aber
kampfunfähig aus Ufer hingeſtreckt. Nachdem der Jäger ſich von Schlamm und Blut gereinigt, wendeten wir unſern Beiſtand dem ge- fährlich verwundeten Hund zu und trennten uns endlich, jeder ſeinen eigenen Weg verfolgend und der Jäger ſchwörend, daß er nie wieder ohne Flinte mit einem „alten Mann“ anbinden wolle.“
„So niedlich ſolche Erzählungen ſich im Damenkreiſe ausnehmen mögen, hob der Dritte an, ſo ſollte der Mann doch darüber hinaus ſeyn in ſolchen Trivialitäten Genuß zu finden. Nur wenn das Leben täglich und ſtündlich aufs Spiel geſetzt wird, wenn die Gefahren in allen Formen ſich zeigen, läßt ſich von einer Aufregung reden, die eine würdige Unterhaltung des Mannes ſeyn kann, und wo fände man das in dem Maaße wie bei einer Wallfiſchjagd auf den nordiſchen Meeren. Mit Luft denke ich noch jetzt an eine Scene zurück, welche im vorletzten Winter bald auf eigenthümliche Weiſe meinem Leben ein Ende gemacht hätte. Wir hatten bereits 16 Tage bei einem furchtbaren Sturme am Eingang der Baffinsbay gekreuzt. Die Take- lage ſtarrte von Eis, die Seiten des Schiffes waren mit großen glän- zenden Maſſen überzogen. Die Mannſchaft war halb erfroren und wir konnten keinen Strick durch einen Block bewegen ohne vorher heißes Waſſer darüber gegoſſen zu haben. Wir hatten wenig Tages- licht wegen des dichten Nebels, aber noch furchtbarer waren die langen, ſchauerlichen Nächte, wenn das Schiff ſich auf den ſchwarzen Wellen bergan erhob und dann wieder hinabſtürzte in die Tiefe, ſo daß wir jeden Augenblick fürchten mußten an den Eismaſſen zu zerſchellen, welche der heulende Sturm wie fahl leuchtende und ſchäumende Nacht- dämonen zu unſerer Vernichtung geſendet über die brauſende Waſſer- fläche dahinjagte. Eines Morgens gegen Ende des Sturms nach einem friſchen Schneefall näherte ſich uns mit erſchreckender Ge- ſchwindigkeit ein 500 Fuß hoher Eisfelſen, ſchon war er in gefahr- drohender Nähe, da erſcholl plötzlich der Schreckensruf: Er wendet ſich!*) Da kam er näher, ſeinen wankenden Gipfel langſam auf un-
*) Die vom Polareiſe losgeriſſenen Eismaſſen, vom Sturm in niedere Breiten getrieben, ragen oft zwei und mehrere Hundert Fuß aus dem Meere hervor, aber
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kampfunfähig aus Ufer hingeſtreckt. Nachdem der Jäger ſich von
Schlamm und Blut gereinigt, wendeten wir unſern Beiſtand dem ge-
fährlich verwundeten Hund zu und trennten uns endlich, jeder ſeinen
eigenen Weg verfolgend und der Jäger ſchwörend, daß er nie wieder
ohne Flinte mit einem „alten Mann“ anbinden wolle.“
„So niedlich ſolche Erzählungen ſich im Damenkreiſe ausnehmen
mögen, hob der Dritte an, ſo ſollte der Mann doch darüber hinaus
ſeyn in ſolchen Trivialitäten Genuß zu finden. Nur wenn das Leben
täglich und ſtündlich aufs Spiel geſetzt wird, wenn die Gefahren in
allen Formen ſich zeigen, läßt ſich von einer Aufregung reden, die eine
würdige Unterhaltung des Mannes ſeyn kann, und wo fände man
das in dem Maaße wie bei einer Wallfiſchjagd auf den nordiſchen
Meeren. Mit Luft denke ich noch jetzt an eine Scene zurück, welche
im vorletzten Winter bald auf eigenthümliche Weiſe meinem Leben
ein Ende gemacht hätte. Wir hatten bereits 16 Tage bei einem
furchtbaren Sturme am Eingang der Baffinsbay gekreuzt. Die Take-
lage ſtarrte von Eis, die Seiten des Schiffes waren mit großen glän-
zenden Maſſen überzogen. Die Mannſchaft war halb erfroren und
wir konnten keinen Strick durch einen Block bewegen ohne vorher
heißes Waſſer darüber gegoſſen zu haben. Wir hatten wenig Tages-
licht wegen des dichten Nebels, aber noch furchtbarer waren die langen,
ſchauerlichen Nächte, wenn das Schiff ſich auf den ſchwarzen Wellen
bergan erhob und dann wieder hinabſtürzte in die Tiefe, ſo daß wir
jeden Augenblick fürchten mußten an den Eismaſſen zu zerſchellen,
welche der heulende Sturm wie fahl leuchtende und ſchäumende Nacht-
dämonen zu unſerer Vernichtung geſendet über die brauſende Waſſer-
fläche dahinjagte. Eines Morgens gegen Ende des Sturms nach
einem friſchen Schneefall näherte ſich uns mit erſchreckender Ge-
ſchwindigkeit ein 500 Fuß hoher Eisfelſen, ſchon war er in gefahr-
drohender Nähe, da erſcholl plötzlich der Schreckensruf: Er wendet
ſich! *) Da kam er näher, ſeinen wankenden Gipfel langſam auf un-
*) Die vom Polareiſe losgeriſſenen Eismaſſen, vom Sturm in niedere Breiten
getrieben, ragen oft zwei und mehrere Hundert Fuß aus dem Meere hervor, aber
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/232>, abgerufen am 17.07.2024.
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