geren oder kürzeren fleischigen Warzen sehr regelmäßig bedeckten Mamillarien über. Endlich giebt es noch Formen, bei denen der Längswachsthum vorherrscht, die mit langen dünnen, oft peitschen- förmigen Stengeln wie der bei uns so häufig cultivirte Schlangen- cactus von den Bäumen, auf denen sie parasitisch leben, herabhängen*).
Wenige Familien haben einen so engen Verbreitungsbezirk auf der Erde. Alle Cacteen vielleicht ohne eine einzige Ausnahme sind in Amerika zwischen dem 40° S. Br. und dem 40° N. B. einhei- misch. Von da haben sich aber einige Arten so schnell gleich nach der Entdeckung von Amerika in der alten Welt verbreitet, daß sie fast als völlig eingebürgert anzusehen sind. Fast alle lieben einen dürren und der brennenden Sonne ausgesetzten Standort, der seltsam mit ihrem fleischigen, von wässrigem, nicht unangenehm säuerlichem Safte strotzendem Gewebe contrastirt. Durch diese Eigenschaft sind sie für den verschmachtenden Reisenden von unschätzbarem Werthe und Bernardin de St. Pierre hat sie treffend die Quellen der Wüste genannt. Auch die wilden Esel der Llanos wissen sich diese Pflanzen zu Nutze zu machen. In der trocknen Jahreszeit, wenn alles thie- rische Leben aus den glühenden Pampas entflieht, wenn Crocodill und Boa in dem austrocknenden Schlamme in todtenähnlichen Schlaf versinken, sind es allein die wilden Esel, welche die Steppe durchstreifend sich gegen den Durst zu schützen wissen, indem sie be- hutsam mit dem Hufe die gefährlichen Stacheln des Melonencactus abstreifen und dann gefahrlos den kühlenden Saft der Pflanze aus- saugen. In der senkrechten Ausdehnung sind die Cacteen weniger beschränkt und ziehen sich von den niedrigsten Küstenstrichen durch die weiten Ebenen hinan bis zum höchsten Rücken der Andeskette. Am Ufer des Sees von Titicaca 12,700 Fuß über der Meeresfläche sieht man hochstämmige Peireskien mit ihren prachtvollen dunkel- braunrothen Blüthen und auf dem Plateau des südlichen Peru nahe
*) Man vergleiche die Vignette, welche die verschiedenen Hauptformen dieser Pflanzengruppe darstellt.
geren oder kürzeren fleiſchigen Warzen ſehr regelmäßig bedeckten Mamillarien über. Endlich giebt es noch Formen, bei denen der Längswachsthum vorherrſcht, die mit langen dünnen, oft peitſchen- förmigen Stengeln wie der bei uns ſo häufig cultivirte Schlangen- cactus von den Bäumen, auf denen ſie paraſitiſch leben, herabhängen*).
Wenige Familien haben einen ſo engen Verbreitungsbezirk auf der Erde. Alle Cacteen vielleicht ohne eine einzige Ausnahme ſind in Amerika zwiſchen dem 40° S. Br. und dem 40° N. B. einhei- miſch. Von da haben ſich aber einige Arten ſo ſchnell gleich nach der Entdeckung von Amerika in der alten Welt verbreitet, daß ſie faſt als völlig eingebürgert anzuſehen ſind. Faſt alle lieben einen dürren und der brennenden Sonne ausgeſetzten Standort, der ſeltſam mit ihrem fleiſchigen, von wäſſrigem, nicht unangenehm ſäuerlichem Safte ſtrotzendem Gewebe contraſtirt. Durch dieſe Eigenſchaft ſind ſie für den verſchmachtenden Reiſenden von unſchätzbarem Werthe und Bernardin de St. Pierre hat ſie treffend die Quellen der Wüſte genannt. Auch die wilden Eſel der Llanos wiſſen ſich dieſe Pflanzen zu Nutze zu machen. In der trocknen Jahreszeit, wenn alles thie- riſche Leben aus den glühenden Pampas entflieht, wenn Crocodill und Boa in dem austrocknenden Schlamme in todtenähnlichen Schlaf verſinken, ſind es allein die wilden Eſel, welche die Steppe durchſtreifend ſich gegen den Durſt zu ſchützen wiſſen, indem ſie be- hutſam mit dem Hufe die gefährlichen Stacheln des Melonencactus abſtreifen und dann gefahrlos den kühlenden Saft der Pflanze aus- ſaugen. In der ſenkrechten Ausdehnung ſind die Cacteen weniger beſchränkt und ziehen ſich von den niedrigſten Küſtenſtrichen durch die weiten Ebenen hinan bis zum höchſten Rücken der Andeskette. Am Ufer des Sees von Titicaca 12,700 Fuß über der Meeresfläche ſieht man hochſtämmige Peireskien mit ihren prachtvollen dunkel- braunrothen Blüthen und auf dem Plateau des ſüdlichen Peru nahe
*) Man vergleiche die Vignette, welche die verſchiedenen Hauptformen dieſer Pflanzengruppe darſtellt.
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geren oder kürzeren fleiſchigen Warzen ſehr regelmäßig bedeckten
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Längswachsthum vorherrſcht, die mit langen dünnen, oft peitſchen-
förmigen Stengeln wie der bei uns ſo häufig cultivirte Schlangen-
cactus von den Bäumen, auf denen ſie paraſitiſch leben, herabhängen *).
Wenige Familien haben einen ſo engen Verbreitungsbezirk auf
der Erde. Alle Cacteen vielleicht ohne eine einzige Ausnahme ſind
in Amerika zwiſchen dem 40° S. Br. und dem 40° N. B. einhei-
miſch. Von da haben ſich aber einige Arten ſo ſchnell gleich nach der
Entdeckung von Amerika in der alten Welt verbreitet, daß ſie faſt
als völlig eingebürgert anzuſehen ſind. Faſt alle lieben einen dürren
und der brennenden Sonne ausgeſetzten Standort, der ſeltſam mit
ihrem fleiſchigen, von wäſſrigem, nicht unangenehm ſäuerlichem
Safte ſtrotzendem Gewebe contraſtirt. Durch dieſe Eigenſchaft ſind
ſie für den verſchmachtenden Reiſenden von unſchätzbarem Werthe und
Bernardin de St. Pierre hat ſie treffend die Quellen der Wüſte
genannt. Auch die wilden Eſel der Llanos wiſſen ſich dieſe Pflanzen
zu Nutze zu machen. In der trocknen Jahreszeit, wenn alles thie-
riſche Leben aus den glühenden Pampas entflieht, wenn Crocodill
und Boa in dem austrocknenden Schlamme in todtenähnlichen
Schlaf verſinken, ſind es allein die wilden Eſel, welche die Steppe
durchſtreifend ſich gegen den Durſt zu ſchützen wiſſen, indem ſie be-
hutſam mit dem Hufe die gefährlichen Stacheln des Melonencactus
abſtreifen und dann gefahrlos den kühlenden Saft der Pflanze aus-
ſaugen. In der ſenkrechten Ausdehnung ſind die Cacteen weniger
beſchränkt und ziehen ſich von den niedrigſten Küſtenſtrichen durch
die weiten Ebenen hinan bis zum höchſten Rücken der Andeskette.
Am Ufer des Sees von Titicaca 12,700 Fuß über der Meeresfläche
ſieht man hochſtämmige Peireskien mit ihren prachtvollen dunkel-
braunrothen Blüthen und auf dem Plateau des ſüdlichen Peru nahe
*) Man vergleiche die Vignette, welche die verſchiedenen Hauptformen dieſer
Pflanzengruppe darſtellt.
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/216>, abgerufen am 17.02.2025.
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