hier kein einzelner äußerer Einfluß, sondern eine innere Ausartung der Kartoffel der eigentliche Grund der Krankheit seyn muß. Fragen wir, wie sich eine solche Ausartung entwickeln konnte, so kann uns dabei nur folgende Betrachtung leiten. Die wilde Kartoffel ist eine kleine grünliche, bitter schmeckende Knolle, welche aber viel Stärke- mehl enthält. Sie gehört zu den Pflanzen, welche leicht auf Cul- turboden Spielarten bilden, die ziemliche Unveränderlichkeit zeigen, wenn die Culturbedingungen genau dieselben bleiben. Wenn dies nicht der Fall ist, so bilden sich neue Abänderungen, sie arten aus, wie man zu sagen pflegt. Die Verschiedenheit dieser Spielarten be- steht nun nur zum Theil in der bei Weitem unwesentlichern Verän- derung der Gestalt der Kartoffel, in ihrem schnelleren oder lang- sameren Reifen. Bei Weitem wichtiger dagegen ist die Verschieden- heit in dem chemischen Proceß, durch welchen die relativen Mengen des Stärkemehls und des Eiweißes in den Knollen verändert wer- den. Das Stärkemehl, ein stickstofffreier Stoff, ist der eigentliche characteristische Bestandtheil der Kartoffel, eine Substanz, welche für sich längere Zeit der Fäulniß widersteht. Die Bildung desselben erfordert die Gegenwart einer großen Menge Kali und deshalb ge- hört die Kartoffel ganz besonders zu den Alcalipflanzen. Das Ei- weiß dagegen, stickstoffhaltig, ist außerordentlich zur Zersetzung und Fäulniß geneigt, und seine Gegenwart in größerer Menge macht auch andere Substanzen, die für sich lange der Fäulniß widerstehen, z. B. Zellstoff und Stärkemehl, geneigter zu diesem Auflösungs- proceß. Die Entstehung des Eiweißes setzt das Vorhandenseyn einer großen Menge phosphorsaurer Salze voraus.
Untersuchen wir nun die gesunde normale Kartoffel, so finden wir in ihr durchschnittlich das Verhältniß der stickstoffhaltigen Be- standtheile zu den stickstofffreien wie 1 : 20; das Verhältniß der phosphorsauren Salze zu den Alcalisalzen wie 1 : 10. Dagegen ent- hält das frischgedüngte Culturland aus physiologischen Gründen, welche zu entwickeln, mich hier zu weit führen würde, die genann- ten unorganischen Bestandtheile fast in dem Verhältnisse wie 1 : 2.
hier kein einzelner äußerer Einfluß, ſondern eine innere Ausartung der Kartoffel der eigentliche Grund der Krankheit ſeyn muß. Fragen wir, wie ſich eine ſolche Ausartung entwickeln konnte, ſo kann uns dabei nur folgende Betrachtung leiten. Die wilde Kartoffel iſt eine kleine grünliche, bitter ſchmeckende Knolle, welche aber viel Stärke- mehl enthält. Sie gehört zu den Pflanzen, welche leicht auf Cul- turboden Spielarten bilden, die ziemliche Unveränderlichkeit zeigen, wenn die Culturbedingungen genau dieſelben bleiben. Wenn dies nicht der Fall iſt, ſo bilden ſich neue Abänderungen, ſie arten aus, wie man zu ſagen pflegt. Die Verſchiedenheit dieſer Spielarten be- ſteht nun nur zum Theil in der bei Weitem unweſentlichern Verän- derung der Geſtalt der Kartoffel, in ihrem ſchnelleren oder lang- ſameren Reifen. Bei Weitem wichtiger dagegen iſt die Verſchieden- heit in dem chemiſchen Proceß, durch welchen die relativen Mengen des Stärkemehls und des Eiweißes in den Knollen verändert wer- den. Das Stärkemehl, ein ſtickſtofffreier Stoff, iſt der eigentliche characteriſtiſche Beſtandtheil der Kartoffel, eine Subſtanz, welche für ſich längere Zeit der Fäulniß widerſteht. Die Bildung deſſelben erfordert die Gegenwart einer großen Menge Kali und deshalb ge- hört die Kartoffel ganz beſonders zu den Alcalipflanzen. Das Ei- weiß dagegen, ſtickſtoffhaltig, iſt außerordentlich zur Zerſetzung und Fäulniß geneigt, und ſeine Gegenwart in größerer Menge macht auch andere Subſtanzen, die für ſich lange der Fäulniß widerſtehen, z. B. Zellſtoff und Stärkemehl, geneigter zu dieſem Auflöſungs- proceß. Die Entſtehung des Eiweißes ſetzt das Vorhandenſeyn einer großen Menge phosphorſaurer Salze voraus.
Unterſuchen wir nun die geſunde normale Kartoffel, ſo finden wir in ihr durchſchnittlich das Verhältniß der ſtickſtoffhaltigen Be- ſtandtheile zu den ſtickſtofffreien wie 1 : 20; das Verhältniß der phosphorſauren Salze zu den Alcaliſalzen wie 1 : 10. Dagegen ent- hält das friſchgedüngte Culturland aus phyſiologiſchen Gründen, welche zu entwickeln, mich hier zu weit führen würde, die genann- ten unorganiſchen Beſtandtheile faſt in dem Verhältniſſe wie 1 : 2.
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hier kein einzelner äußerer Einfluß, ſondern eine innere Ausartung
der Kartoffel der eigentliche Grund der Krankheit ſeyn muß. Fragen
wir, wie ſich eine ſolche Ausartung entwickeln konnte, ſo kann uns
dabei nur folgende Betrachtung leiten. Die wilde Kartoffel iſt eine
kleine grünliche, bitter ſchmeckende Knolle, welche aber viel Stärke-
mehl enthält. Sie gehört zu den Pflanzen, welche leicht auf Cul-
turboden Spielarten bilden, die ziemliche Unveränderlichkeit zeigen,
wenn die Culturbedingungen genau dieſelben bleiben. Wenn dies
nicht der Fall iſt, ſo bilden ſich neue Abänderungen, ſie arten aus,
wie man zu ſagen pflegt. Die Verſchiedenheit dieſer Spielarten be-
ſteht nun nur zum Theil in der bei Weitem unweſentlichern Verän-
derung der Geſtalt der Kartoffel, in ihrem ſchnelleren oder lang-
ſameren Reifen. Bei Weitem wichtiger dagegen iſt die Verſchieden-
heit in dem chemiſchen Proceß, durch welchen die relativen Mengen
des Stärkemehls und des Eiweißes in den Knollen verändert wer-
den. Das Stärkemehl, ein ſtickſtofffreier Stoff, iſt der eigentliche
characteriſtiſche Beſtandtheil der Kartoffel, eine Subſtanz, welche
für ſich längere Zeit der Fäulniß widerſteht. Die Bildung deſſelben
erfordert die Gegenwart einer großen Menge Kali und deshalb ge-
hört die Kartoffel ganz beſonders zu den Alcalipflanzen. Das Ei-
weiß dagegen, ſtickſtoffhaltig, iſt außerordentlich zur Zerſetzung und
Fäulniß geneigt, und ſeine Gegenwart in größerer Menge macht
auch andere Subſtanzen, die für ſich lange der Fäulniß widerſtehen,
z. B. Zellſtoff und Stärkemehl, geneigter zu dieſem Auflöſungs-
proceß. Die Entſtehung des Eiweißes ſetzt das Vorhandenſeyn einer
großen Menge phosphorſaurer Salze voraus.
Unterſuchen wir nun die geſunde normale Kartoffel, ſo finden
wir in ihr durchſchnittlich das Verhältniß der ſtickſtoffhaltigen Be-
ſtandtheile zu den ſtickſtofffreien wie 1 : 20; das Verhältniß der
phosphorſauren Salze zu den Alcaliſalzen wie 1 : 10. Dagegen ent-
hält das friſchgedüngte Culturland aus phyſiologiſchen Gründen,
welche zu entwickeln, mich hier zu weit führen würde, die genann-
ten unorganiſchen Beſtandtheile faſt in dem Verhältniſſe wie 1 : 2.
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/183>, abgerufen am 21.11.2024.
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