auch den Moralisten und er denkt, es könne wohl gar der Vorwurf: "luftiger Patron oder Windbeutel" noch einmal zum allgemeinen Ehrentitel aller Menschen erhoben werden. Nun wird der Natur- forscher bedenklich. Im Grunde möchte er es denn doch ungern mit all diesen frommen Herren verderben. Die Paradoxe ist aber einmal ausgesprochen und er mag zusehen, wie er sie rechtfertigt.
Wovon lebt der Mensch eigentlich? Die Antwort lautet wohl sehr verschieden. Der Gaucho, der mit fabelhafter Gewandtheit sein halbwildes Pferd in den weiten Pampas von Buenos-Ayres tum- melt, den Lasso oder die Bolas schwingt, um den Strauß, das Gua- naco oder den wilden Stier zu fangen, verzehrt täglich 10 bis 12 Pfund Fleisch und sieht es als einen hohen Festtag an, wenn einmal in irgend einer Hacienda ihm ein Stückchen Kürbis zur Abwechselung geboten wird. Das Wort Brod steht überall nicht in seinem Wörter- buche. Im fröhlichen Leichtsinn dagegen genießt nach mühevoller Arbeit der Irländer sein "potatoes and point", er, der es nicht lassen kann, selbst in dem Namen, den er seinem kärglichen Mahle giebt, noch Possen zu treiben. Fleisch ist ihm ein fremder Gedanke und glück- lich schon der, dem es gelang, viermal im Jahre zur Würze der meh- ligen Knolle einen Hering aufzutreiben. Der Jäger der Prärieen hat mit sichrer Kugel den Bison niedergeworfen und der saftige, zart mit Fett durchwachsene Höcker desselben, zwischen heißen Steinen geröstet, ist ihm ein durch nichts zu ersetzender Leckerbissen; derweile trägt zier- lich auf weiße Stäbe gereiht der industrielle Chinese seine sorgfältig gemästeten Ratten zu Markt, sicher, unter den Feinschmeckern von Peking seine gut zahlenden Käufer zu finden, und in der heißen, rauchigen Hütte unter Schnee und Eis fast vergraben verzehrt der Grönländer seinen Speck, den er eben, jubelnd über den köstlichen Fang, von einem gestrandeten Wallfische abgehauen. Hier saugt der schwarze Sclav am Zuckerrohre und ißt seine Banane dazu, dort füllt der afri- canische Kaufmann sein Säckchen mit der süßen Dattel als alleiniger Nahrung für die wochenlange Wüstenreise, und dort stopft sich der Siamese mit Mengen von Reis, vor denen ein Europäer zurückschrecken
auch den Moraliſten und er denkt, es könne wohl gar der Vorwurf: „luftiger Patron oder Windbeutel“ noch einmal zum allgemeinen Ehrentitel aller Menſchen erhoben werden. Nun wird der Natur- forſcher bedenklich. Im Grunde möchte er es denn doch ungern mit all dieſen frommen Herren verderben. Die Paradoxe iſt aber einmal ausgeſprochen und er mag zuſehen, wie er ſie rechtfertigt.
Wovon lebt der Menſch eigentlich? Die Antwort lautet wohl ſehr verſchieden. Der Gaucho, der mit fabelhafter Gewandtheit ſein halbwildes Pferd in den weiten Pampas von Buenos-Ayres tum- melt, den Laſſo oder die Bolas ſchwingt, um den Strauß, das Gua- naco oder den wilden Stier zu fangen, verzehrt täglich 10 bis 12 Pfund Fleiſch und ſieht es als einen hohen Feſttag an, wenn einmal in irgend einer Hacienda ihm ein Stückchen Kürbis zur Abwechſelung geboten wird. Das Wort Brod ſteht überall nicht in ſeinem Wörter- buche. Im fröhlichen Leichtſinn dagegen genießt nach mühevoller Arbeit der Irländer ſein „potatoes and point“, er, der es nicht laſſen kann, ſelbſt in dem Namen, den er ſeinem kärglichen Mahle giebt, noch Poſſen zu treiben. Fleiſch iſt ihm ein fremder Gedanke und glück- lich ſchon der, dem es gelang, viermal im Jahre zur Würze der meh- ligen Knolle einen Hering aufzutreiben. Der Jäger der Prärieen hat mit ſichrer Kugel den Biſon niedergeworfen und der ſaftige, zart mit Fett durchwachſene Höcker deſſelben, zwiſchen heißen Steinen geröſtet, iſt ihm ein durch nichts zu erſetzender Leckerbiſſen; derweile trägt zier- lich auf weiße Stäbe gereiht der induſtrielle Chineſe ſeine ſorgfältig gemäſteten Ratten zu Markt, ſicher, unter den Feinſchmeckern von Peking ſeine gut zahlenden Käufer zu finden, und in der heißen, rauchigen Hütte unter Schnee und Eis faſt vergraben verzehrt der Grönländer ſeinen Speck, den er eben, jubelnd über den köſtlichen Fang, von einem geſtrandeten Wallfiſche abgehauen. Hier ſaugt der ſchwarze Sclav am Zuckerrohre und ißt ſeine Banane dazu, dort füllt der afri- caniſche Kaufmann ſein Säckchen mit der ſüßen Dattel als alleiniger Nahrung für die wochenlange Wüſtenreiſe, und dort ſtopft ſich der Siameſe mit Mengen von Reis, vor denen ein Europäer zurückſchrecken
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auch den Moraliſten und er denkt, es könne wohl gar der Vorwurf:
„luftiger Patron oder Windbeutel“ noch einmal zum allgemeinen
Ehrentitel aller Menſchen erhoben werden. Nun wird der Natur-
forſcher bedenklich. Im Grunde möchte er es denn doch ungern mit
all dieſen frommen Herren verderben. Die Paradoxe iſt aber einmal
ausgeſprochen und er mag zuſehen, wie er ſie rechtfertigt.
Wovon lebt der Menſch eigentlich? Die Antwort lautet wohl
ſehr verſchieden. Der Gaucho, der mit fabelhafter Gewandtheit ſein
halbwildes Pferd in den weiten Pampas von Buenos-Ayres tum-
melt, den Laſſo oder die Bolas ſchwingt, um den Strauß, das Gua-
naco oder den wilden Stier zu fangen, verzehrt täglich 10 bis 12
Pfund Fleiſch und ſieht es als einen hohen Feſttag an, wenn einmal
in irgend einer Hacienda ihm ein Stückchen Kürbis zur Abwechſelung
geboten wird. Das Wort Brod ſteht überall nicht in ſeinem Wörter-
buche. Im fröhlichen Leichtſinn dagegen genießt nach mühevoller
Arbeit der Irländer ſein „potatoes and point“, er, der es nicht laſſen
kann, ſelbſt in dem Namen, den er ſeinem kärglichen Mahle giebt,
noch Poſſen zu treiben. Fleiſch iſt ihm ein fremder Gedanke und glück-
lich ſchon der, dem es gelang, viermal im Jahre zur Würze der meh-
ligen Knolle einen Hering aufzutreiben. Der Jäger der Prärieen hat
mit ſichrer Kugel den Biſon niedergeworfen und der ſaftige, zart mit
Fett durchwachſene Höcker deſſelben, zwiſchen heißen Steinen geröſtet,
iſt ihm ein durch nichts zu erſetzender Leckerbiſſen; derweile trägt zier-
lich auf weiße Stäbe gereiht der induſtrielle Chineſe ſeine ſorgfältig
gemäſteten Ratten zu Markt, ſicher, unter den Feinſchmeckern von
Peking ſeine gut zahlenden Käufer zu finden, und in der heißen,
rauchigen Hütte unter Schnee und Eis faſt vergraben verzehrt der
Grönländer ſeinen Speck, den er eben, jubelnd über den köſtlichen Fang,
von einem geſtrandeten Wallfiſche abgehauen. Hier ſaugt der ſchwarze
Sclav am Zuckerrohre und ißt ſeine Banane dazu, dort füllt der afri-
caniſche Kaufmann ſein Säckchen mit der ſüßen Dattel als alleiniger
Nahrung für die wochenlange Wüſtenreiſe, und dort ſtopft ſich der
Siameſe mit Mengen von Reis, vor denen ein Europäer zurückſchrecken
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/142>, abgerufen am 24.11.2024.
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