Raum zurück, der nur äußerst verdünnte Luft enthält und in diesen strömt von Norden und Süden her beständig die kalte Luft mit großer Heftigkeit und Stetigkeit hinein. Dies ist der eine Wind der Erde, wir wollen ihn, weil er von den Polen nach dem Aequator zu fließt, den Polarstrom nennen. Auf der nördlichen Halbkugel ist er natürlich ein Nordwind, auf der südlichen ein Südwind. Wir müssen aber bedenken, daß ein solcher Strom oder Wind nur ein sich fortbewegen- der Theil der Atmosphäre und daß diese in allen ihren Theilen an die Erde und ihre Schicksale gebunden ist und, wie schon erwähnt, sich mit derselben von Westen nach Osten um ihre Axe dreht. Dies geschieht aber in verschiedenen Gegenden, wie schon ein Blick auf die Erdkugel lehrt, in ungleicher Schnelligkeit. Während am Pol selbst sich die Luft nur um sich selbst dreht, ohne vorwärts zu kommen, so legt die Luft am Aequator in Einer Stunde einen Weg von mehr als 200 Meilen zurück. Denken wir uns nun die Luft des Poles plötzlich an den Aequator versetzt, so wird längere Zeit vergehen, ehe sie die- selbe Geschwindigkeit von Westen nach Osten angenommen, als die dort befindliche Luft, sie wird gegen diese zurückbleiben, indem die Erde gleichsam unter ihr weggleitet, oder, mit andern Worten, sie wird als Luft erscheinen, die sich von Osten nach Westen bewegt, d. h. als Ostwind. Wenden wir dieses auf die Polarströme an, so ergiebt sich, daß diese, je länger sie wehen, je mehr sie sich dem Aequa- tor nähern, um so mehr als Nordost- und Südostwinde erscheinen müssen. In der That zeigt sich uns zu beiden Seiten der Region der Windstillen und Stürme eine Region, in welcher Jahr aus Jahr ein, hier ein Ostnordost-, dort ein Ostsüdostwind, der allen Schiffern be- kannte Passatwind, weht.
Erwähnen wir nun noch, daß die Polarluft die schwerere, käl- tere, trocknere ist, daß also beim Nord, Nordost und Ost (alle drei sind ja derselbe Wind) das Barometer steigen, das Thermometer sin- ken und der Himmel heiter werden muß, so haben wir alle wesent- lichen Eigenschaften des einen Hauptwindes, des Polarstromes, genannt.
Raum zurück, der nur äußerſt verdünnte Luft enthält und in dieſen ſtrömt von Norden und Süden her beſtändig die kalte Luft mit großer Heftigkeit und Stetigkeit hinein. Dies iſt der eine Wind der Erde, wir wollen ihn, weil er von den Polen nach dem Aequator zu fließt, den Polarſtrom nennen. Auf der nördlichen Halbkugel iſt er natürlich ein Nordwind, auf der ſüdlichen ein Südwind. Wir müſſen aber bedenken, daß ein ſolcher Strom oder Wind nur ein ſich fortbewegen- der Theil der Atmosphäre und daß dieſe in allen ihren Theilen an die Erde und ihre Schickſale gebunden iſt und, wie ſchon erwähnt, ſich mit derſelben von Weſten nach Oſten um ihre Axe dreht. Dies geſchieht aber in verſchiedenen Gegenden, wie ſchon ein Blick auf die Erdkugel lehrt, in ungleicher Schnelligkeit. Während am Pol ſelbſt ſich die Luft nur um ſich ſelbſt dreht, ohne vorwärts zu kommen, ſo legt die Luft am Aequator in Einer Stunde einen Weg von mehr als 200 Meilen zurück. Denken wir uns nun die Luft des Poles plötzlich an den Aequator verſetzt, ſo wird längere Zeit vergehen, ehe ſie die- ſelbe Geſchwindigkeit von Weſten nach Oſten angenommen, als die dort befindliche Luft, ſie wird gegen dieſe zurückbleiben, indem die Erde gleichſam unter ihr weggleitet, oder, mit andern Worten, ſie wird als Luft erſcheinen, die ſich von Oſten nach Weſten bewegt, d. h. als Oſtwind. Wenden wir dieſes auf die Polarſtröme an, ſo ergiebt ſich, daß dieſe, je länger ſie wehen, je mehr ſie ſich dem Aequa- tor nähern, um ſo mehr als Nordoſt- und Südoſtwinde erſcheinen müſſen. In der That zeigt ſich uns zu beiden Seiten der Region der Windſtillen und Stürme eine Region, in welcher Jahr aus Jahr ein, hier ein Oſtnordoſt-, dort ein Oſtſüdoſtwind, der allen Schiffern be- kannte Paſſatwind, weht.
Erwähnen wir nun noch, daß die Polarluft die ſchwerere, käl- tere, trocknere iſt, daß alſo beim Nord, Nordoſt und Oſt (alle drei ſind ja derſelbe Wind) das Barometer ſteigen, das Thermometer ſin- ken und der Himmel heiter werden muß, ſo haben wir alle weſent- lichen Eigenſchaften des einen Hauptwindes, des Polarſtromes, genannt.
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Raum zurück, der nur äußerſt verdünnte Luft enthält und in dieſen
ſtrömt von Norden und Süden her beſtändig die kalte Luft mit großer
Heftigkeit und Stetigkeit hinein. Dies iſt der eine Wind der Erde,
wir wollen ihn, weil er von den Polen nach dem Aequator zu fließt,
den Polarſtrom nennen. Auf der nördlichen Halbkugel iſt er natürlich
ein Nordwind, auf der ſüdlichen ein Südwind. Wir müſſen aber
bedenken, daß ein ſolcher Strom oder Wind nur ein ſich fortbewegen-
der Theil der Atmosphäre und daß dieſe in allen ihren Theilen an
die Erde und ihre Schickſale gebunden iſt und, wie ſchon erwähnt,
ſich mit derſelben von Weſten nach Oſten um ihre Axe dreht. Dies
geſchieht aber in verſchiedenen Gegenden, wie ſchon ein Blick auf die
Erdkugel lehrt, in ungleicher Schnelligkeit. Während am Pol ſelbſt
ſich die Luft nur um ſich ſelbſt dreht, ohne vorwärts zu kommen, ſo
legt die Luft am Aequator in Einer Stunde einen Weg von mehr als
200 Meilen zurück. Denken wir uns nun die Luft des Poles plötzlich
an den Aequator verſetzt, ſo wird längere Zeit vergehen, ehe ſie die-
ſelbe Geſchwindigkeit von Weſten nach Oſten angenommen, als die
dort befindliche Luft, ſie wird gegen dieſe zurückbleiben, indem die
Erde gleichſam unter ihr weggleitet, oder, mit andern Worten, ſie
wird als Luft erſcheinen, die ſich von Oſten nach Weſten bewegt,
d. h. als Oſtwind. Wenden wir dieſes auf die Polarſtröme an, ſo
ergiebt ſich, daß dieſe, je länger ſie wehen, je mehr ſie ſich dem Aequa-
tor nähern, um ſo mehr als Nordoſt- und Südoſtwinde erſcheinen
müſſen. In der That zeigt ſich uns zu beiden Seiten der Region der
Windſtillen und Stürme eine Region, in welcher Jahr aus Jahr ein,
hier ein Oſtnordoſt-, dort ein Oſtſüdoſtwind, der allen Schiffern be-
kannte Paſſatwind, weht.
Erwähnen wir nun noch, daß die Polarluft die ſchwerere, käl-
tere, trocknere iſt, daß alſo beim Nord, Nordoſt und Oſt (alle drei
ſind ja derſelbe Wind) das Barometer ſteigen, das Thermometer ſin-
ken und der Himmel heiter werden muß, ſo haben wir alle weſent-
lichen Eigenſchaften des einen Hauptwindes, des Polarſtromes,
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/130>, abgerufen am 24.11.2024.
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