der günstige Wind, der ihn bis dahin getragen, schwächer und schwä- cher, er schweigt anfänglich für kurze Zeit und zuletzt gänzlich. Um ihn breitet sich das Meer aus, eine endlose Spiegelfläche. Das vor Kurzem noch einem Vogel gleich dahin fliegende Schiff liegt festge- bannt auf dem flüssigen Krystall. Die senkrecht herabfallenden Strahlen der Sonne durchglühen den engen Raum, auf welchem die Menschen eingeschlossen sind. Das Verdeck brennt durch die Sohlen der Schuhe. Ein erstickender Dunst füllt die Räume. Schon vierzehn Tage liegt der stolze Beherrscher der Meere unbeweglich auf derselben Stelle. Der Vorrath des trinkbaren Wassers ist verzehrt. Glühender Durst heftet die lechzende Zunge an den Gaumen. Mit wilden, mordschwan- gern Blicken der Verzweiflung sieht jeder seinen Leidensgefährten an.
Die Sonne sinkt herab, in eigenthümlichem Kupferroth leuchtet der abendliche Himmel. Und mit der emporsteigenden Nacht erhebt sich auch eine schwarze Mauer in Osten, ein leises schrilles Pfeifen tönt aus der Ferne, von woher ein weißer Schaumstreifen über den schwarzen Ocean heranzieht. Das Schiff bewegt sich und schwankt auf den unregelmäßig sich erhebenden Wellen, aber noch hängen die Segel schlaff am Maste herunter und klappern unheimlich an die Stangen. Da plötzlich rast der Sturm mit furchtbaren Brüllen heran, kreischend zerreißen die Segel und fliegen in Fetzen davon, ein lautes Krachen, ein zweites, und der Hauptmast fliegt über Bord, mit An- strengung gelingt es der Mannschaft seine letzten Stricke zu durchhauen und nun fliegt das Schiff auf dem Ocean dahin, bald hoch auf den Rücken der Wellen gehoben, bald hinabgeschleudert in die Tiefe, daß alle Rippen beben und knirschen als wollten sie von einander weichen. -- Endlos rollt der Donner, die Blitze zucken ohne Aufhören durch die empörte Atmosphäre. In Strömen statt in Tropfen stürzt der Regen herab. Zehnmal glauben sich die Schiffenden verloren, wenn der zitternde Bau in den Abgrund der Wellen hinabstürzte und immer wieder erhebt er sich. Endlich läßt der Sturm nach, einzelne Stöße folgen immer seltener, die Wellen ebnen sich und wenn die tröstende Sonne im Osten herauf steigt, beleuchtet sie dasselbe trostlose Bild,
der günſtige Wind, der ihn bis dahin getragen, ſchwächer und ſchwä- cher, er ſchweigt anfänglich für kurze Zeit und zuletzt gänzlich. Um ihn breitet ſich das Meer aus, eine endloſe Spiegelfläche. Das vor Kurzem noch einem Vogel gleich dahin fliegende Schiff liegt feſtge- bannt auf dem flüſſigen Kryſtall. Die ſenkrecht herabfallenden Strahlen der Sonne durchglühen den engen Raum, auf welchem die Menſchen eingeſchloſſen ſind. Das Verdeck brennt durch die Sohlen der Schuhe. Ein erſtickender Dunſt füllt die Räume. Schon vierzehn Tage liegt der ſtolze Beherrſcher der Meere unbeweglich auf derſelben Stelle. Der Vorrath des trinkbaren Waſſers iſt verzehrt. Glühender Durſt heftet die lechzende Zunge an den Gaumen. Mit wilden, mordſchwan- gern Blicken der Verzweiflung ſieht jeder ſeinen Leidensgefährten an.
Die Sonne ſinkt herab, in eigenthümlichem Kupferroth leuchtet der abendliche Himmel. Und mit der emporſteigenden Nacht erhebt ſich auch eine ſchwarze Mauer in Oſten, ein leiſes ſchrilles Pfeifen tönt aus der Ferne, von woher ein weißer Schaumſtreifen über den ſchwarzen Ocean heranzieht. Das Schiff bewegt ſich und ſchwankt auf den unregelmäßig ſich erhebenden Wellen, aber noch hängen die Segel ſchlaff am Maſte herunter und klappern unheimlich an die Stangen. Da plötzlich raſt der Sturm mit furchtbaren Brüllen heran, kreiſchend zerreißen die Segel und fliegen in Fetzen davon, ein lautes Krachen, ein zweites, und der Hauptmaſt fliegt über Bord, mit An- ſtrengung gelingt es der Mannſchaft ſeine letzten Stricke zu durchhauen und nun fliegt das Schiff auf dem Ocean dahin, bald hoch auf den Rücken der Wellen gehoben, bald hinabgeſchleudert in die Tiefe, daß alle Rippen beben und knirſchen als wollten ſie von einander weichen. — Endlos rollt der Donner, die Blitze zucken ohne Aufhören durch die empörte Atmoſphäre. In Strömen ſtatt in Tropfen ſtürzt der Regen herab. Zehnmal glauben ſich die Schiffenden verloren, wenn der zitternde Bau in den Abgrund der Wellen hinabſtürzte und immer wieder erhebt er ſich. Endlich läßt der Sturm nach, einzelne Stöße folgen immer ſeltener, die Wellen ebnen ſich und wenn die tröſtende Sonne im Oſten herauf ſteigt, beleuchtet ſie daſſelbe troſtloſe Bild,
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der günſtige Wind, der ihn bis dahin getragen, ſchwächer und ſchwä-
cher, er ſchweigt anfänglich für kurze Zeit und zuletzt gänzlich. Um
ihn breitet ſich das Meer aus, eine endloſe Spiegelfläche. Das vor
Kurzem noch einem Vogel gleich dahin fliegende Schiff liegt feſtge-
bannt auf dem flüſſigen Kryſtall. Die ſenkrecht herabfallenden Strahlen
der Sonne durchglühen den engen Raum, auf welchem die Menſchen
eingeſchloſſen ſind. Das Verdeck brennt durch die Sohlen der Schuhe.
Ein erſtickender Dunſt füllt die Räume. Schon vierzehn Tage liegt
der ſtolze Beherrſcher der Meere unbeweglich auf derſelben Stelle.
Der Vorrath des trinkbaren Waſſers iſt verzehrt. Glühender Durſt
heftet die lechzende Zunge an den Gaumen. Mit wilden, mordſchwan-
gern Blicken der Verzweiflung ſieht jeder ſeinen Leidensgefährten an.
Die Sonne ſinkt herab, in eigenthümlichem Kupferroth leuchtet
der abendliche Himmel. Und mit der emporſteigenden Nacht erhebt
ſich auch eine ſchwarze Mauer in Oſten, ein leiſes ſchrilles Pfeifen
tönt aus der Ferne, von woher ein weißer Schaumſtreifen über den
ſchwarzen Ocean heranzieht. Das Schiff bewegt ſich und ſchwankt
auf den unregelmäßig ſich erhebenden Wellen, aber noch hängen die
Segel ſchlaff am Maſte herunter und klappern unheimlich an die
Stangen. Da plötzlich raſt der Sturm mit furchtbaren Brüllen heran,
kreiſchend zerreißen die Segel und fliegen in Fetzen davon, ein lautes
Krachen, ein zweites, und der Hauptmaſt fliegt über Bord, mit An-
ſtrengung gelingt es der Mannſchaft ſeine letzten Stricke zu durchhauen
und nun fliegt das Schiff auf dem Ocean dahin, bald hoch auf den
Rücken der Wellen gehoben, bald hinabgeſchleudert in die Tiefe, daß alle
Rippen beben und knirſchen als wollten ſie von einander weichen. —
Endlos rollt der Donner, die Blitze zucken ohne Aufhören durch die
empörte Atmoſphäre. In Strömen ſtatt in Tropfen ſtürzt der Regen
herab. Zehnmal glauben ſich die Schiffenden verloren, wenn der
zitternde Bau in den Abgrund der Wellen hinabſtürzte und immer
wieder erhebt er ſich. Endlich läßt der Sturm nach, einzelne Stöße
folgen immer ſeltener, die Wellen ebnen ſich und wenn die tröſtende
Sonne im Oſten herauf ſteigt, beleuchtet ſie daſſelbe troſtloſe Bild,
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/128>, abgerufen am 24.11.2024.
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