Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

Seit lange schon ist die bessere Gesellschaft darin übereinge-
kommen, daß es wider den guten Ton sey, vom Wetter zu reden,
daß es nichts Langweiligeres gebe, als Wettergespräche und daß
man dieselben den Matrosen und unbeholfnen Liebhabern überlassen
müsse, und man versichert sich gegenseitig, daß in allen Gesellschaf-
ten, wo guter Geschmack herrscht, das Wetter nicht mehr als Ge-
genstand der Unterhaltung vorkomme. Wenn ich gleichwohl mich
unterfange, heute vom Wetter zu reden, so will ich zwar gern zu-
geben, daß vielleicht mein Vortrag herzlich langweilig werden kann,
aber ich muß es durchaus in Abrede stellen, daß auch in der besten
Gesellschaft weniger als anderswo vom Wetter gesprochen werde,
ich muß bestimmt darin widersprechen, daß das Wetter ein lang-
weiliger Gegenstand sey. Was ist überhaupt langweilig? -- selten
oder nie der Gegenstand, wohl aber die Art und Weise, in welcher
er behandelt wird. -- Gäbe es wohl für Damen und vielleicht selbst
für einige Herren einen interessanteren Gegenstand als die Mode?
Und doch würde es eine Dame ebenso langweilig finden, wenn Je-
mand das Gespräch mit der Bemerkung einleitete: "wir haben jetzt
eine sehr hübsche Mode," ebenso langweilig meine ich, als wenn
Einer bemerkt: "wir haben heute eine sehr schöne Witterung." --
Wie anders aber, wenn man, leicht hervorhebend, wie gut die ge-
wählte Haube zur Form des Kopfes passe, sinnig zu den Hauben-
formen der verschiedenen Nationen, zu denen berühmter Frauen
übergeht, nachweißt, welchen Einfluß Klima, Bedürfniß, Volksei-

Seit lange ſchon iſt die beſſere Geſellſchaft darin übereinge-
kommen, daß es wider den guten Ton ſey, vom Wetter zu reden,
daß es nichts Langweiligeres gebe, als Wettergeſpräche und daß
man dieſelben den Matroſen und unbeholfnen Liebhabern überlaſſen
müſſe, und man verſichert ſich gegenſeitig, daß in allen Geſellſchaf-
ten, wo guter Geſchmack herrſcht, das Wetter nicht mehr als Ge-
genſtand der Unterhaltung vorkomme. Wenn ich gleichwohl mich
unterfange, heute vom Wetter zu reden, ſo will ich zwar gern zu-
geben, daß vielleicht mein Vortrag herzlich langweilig werden kann,
aber ich muß es durchaus in Abrede ſtellen, daß auch in der beſten
Geſellſchaft weniger als anderswo vom Wetter geſprochen werde,
ich muß beſtimmt darin widerſprechen, daß das Wetter ein lang-
weiliger Gegenſtand ſey. Was iſt überhaupt langweilig? — ſelten
oder nie der Gegenſtand, wohl aber die Art und Weiſe, in welcher
er behandelt wird. — Gäbe es wohl für Damen und vielleicht ſelbſt
für einige Herren einen intereſſanteren Gegenſtand als die Mode?
Und doch würde es eine Dame ebenſo langweilig finden, wenn Je-
mand das Geſpräch mit der Bemerkung einleitete: „wir haben jetzt
eine ſehr hübſche Mode,“ ebenſo langweilig meine ich, als wenn
Einer bemerkt: „wir haben heute eine ſehr ſchöne Witterung.“ —
Wie anders aber, wenn man, leicht hervorhebend, wie gut die ge-
wählte Haube zur Form des Kopfes paſſe, ſinnig zu den Hauben-
formen der verſchiedenen Nationen, zu denen berühmter Frauen
übergeht, nachweißt, welchen Einfluß Klima, Bedürfniß, Volksei-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0119" n="[103]"/>
        <p>Seit lange &#x017F;chon i&#x017F;t die be&#x017F;&#x017F;ere Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft darin übereinge-<lb/>
kommen, daß es wider den guten Ton &#x017F;ey, vom Wetter zu reden,<lb/>
daß es nichts Langweiligeres gebe, als Wetterge&#x017F;präche und daß<lb/>
man die&#x017F;elben den Matro&#x017F;en und unbeholfnen Liebhabern überla&#x017F;&#x017F;en<lb/>&#x017F;&#x017F;e, und man ver&#x017F;ichert &#x017F;ich gegen&#x017F;eitig, daß in allen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaf-<lb/>
ten, wo guter Ge&#x017F;chmack herr&#x017F;cht, das Wetter nicht mehr als Ge-<lb/>
gen&#x017F;tand der Unterhaltung vorkomme. Wenn ich gleichwohl mich<lb/>
unterfange, heute vom Wetter zu reden, &#x017F;o will ich zwar gern zu-<lb/>
geben, daß vielleicht mein Vortrag herzlich langweilig werden kann,<lb/>
aber ich muß es durchaus in Abrede &#x017F;tellen, daß auch in der be&#x017F;ten<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft weniger als anderswo vom Wetter ge&#x017F;prochen werde,<lb/>
ich muß be&#x017F;timmt darin wider&#x017F;prechen, daß das Wetter ein lang-<lb/>
weiliger Gegen&#x017F;tand &#x017F;ey. Was i&#x017F;t überhaupt langweilig? &#x2014; &#x017F;elten<lb/>
oder nie der Gegen&#x017F;tand, wohl aber die Art und Wei&#x017F;e, in welcher<lb/>
er behandelt wird. &#x2014; Gäbe es wohl für Damen und vielleicht &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
für einige Herren einen intere&#x017F;&#x017F;anteren Gegen&#x017F;tand als die Mode?<lb/>
Und doch würde es eine Dame eben&#x017F;o langweilig finden, wenn Je-<lb/>
mand das Ge&#x017F;präch mit der Bemerkung einleitete: &#x201E;wir haben jetzt<lb/>
eine &#x017F;ehr hüb&#x017F;che Mode,&#x201C; eben&#x017F;o langweilig meine ich, als wenn<lb/>
Einer bemerkt: &#x201E;wir haben heute eine &#x017F;ehr &#x017F;chöne Witterung.&#x201C; &#x2014;<lb/>
Wie anders aber, wenn man, leicht hervorhebend, wie gut die ge-<lb/>
wählte Haube zur Form des Kopfes pa&#x017F;&#x017F;e, &#x017F;innig zu den Hauben-<lb/>
formen der ver&#x017F;chiedenen Nationen, zu denen berühmter Frauen<lb/>
übergeht, nachweißt, welchen Einfluß Klima, Bedürfniß, Volksei-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[103]/0119] Seit lange ſchon iſt die beſſere Geſellſchaft darin übereinge- kommen, daß es wider den guten Ton ſey, vom Wetter zu reden, daß es nichts Langweiligeres gebe, als Wettergeſpräche und daß man dieſelben den Matroſen und unbeholfnen Liebhabern überlaſſen müſſe, und man verſichert ſich gegenſeitig, daß in allen Geſellſchaf- ten, wo guter Geſchmack herrſcht, das Wetter nicht mehr als Ge- genſtand der Unterhaltung vorkomme. Wenn ich gleichwohl mich unterfange, heute vom Wetter zu reden, ſo will ich zwar gern zu- geben, daß vielleicht mein Vortrag herzlich langweilig werden kann, aber ich muß es durchaus in Abrede ſtellen, daß auch in der beſten Geſellſchaft weniger als anderswo vom Wetter geſprochen werde, ich muß beſtimmt darin widerſprechen, daß das Wetter ein lang- weiliger Gegenſtand ſey. Was iſt überhaupt langweilig? — ſelten oder nie der Gegenſtand, wohl aber die Art und Weiſe, in welcher er behandelt wird. — Gäbe es wohl für Damen und vielleicht ſelbſt für einige Herren einen intereſſanteren Gegenſtand als die Mode? Und doch würde es eine Dame ebenſo langweilig finden, wenn Je- mand das Geſpräch mit der Bemerkung einleitete: „wir haben jetzt eine ſehr hübſche Mode,“ ebenſo langweilig meine ich, als wenn Einer bemerkt: „wir haben heute eine ſehr ſchöne Witterung.“ — Wie anders aber, wenn man, leicht hervorhebend, wie gut die ge- wählte Haube zur Form des Kopfes paſſe, ſinnig zu den Hauben- formen der verſchiedenen Nationen, zu denen berühmter Frauen übergeht, nachweißt, welchen Einfluß Klima, Bedürfniß, Volksei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/119
Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. [103]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/119>, abgerufen am 24.11.2024.