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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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immer größere Combinationen und Verwicklungen endlich bis zu den
complicirtesten Pflanzen auf, die wir als die höchste Stufe anzusehen
gezwungen sind, obwohl es dem Laien wunderbar vorkommen mag,
wenn ich als einen Repräsentanten dieses höchsten Ausdruckes vege-
tabilischer Entwicklung das kleine, so allgemein verbreitete und des-
halb meist verachtete Gänseblümchen *) nenne.

Die jenen einfachsten Pflanzen zunächst sich anschießenden Bil-
dungen bestehen zwar auch nur aus einer einzelnen einfachen Zelle,
die aber doch schon fadenförmig verlängert, oft verästelt ist und daher
schon mehr Formenbildung zeigt, demnächst reihen sich die Zellen linien-
förmig auf mannigfache Weise aneinander, es erwächst schon eine man-
nigfaltige Vegetation, die im Wasser als Wasserfäden oder Con-
ferven
, meist mit grüner Farbe oder an faulenden organischen Körpern
als die vielfach verschiedenen oft so zierlichen Formen des Schimmels
in den buntesten Farbenspiel auftreten. -- Weiter legen sich die Zellen
zu flachen Gebilden zusammen, unter dem Namen Ulven den Bota-
nikern bekannt und häufig fast jungen Sallatblättern ähnlich im Meere
wachsend, oft grün oft purpurroth, armen Küstenbewohnern nicht
selten eine magere Speise. -- Weiter drängen sich die Zellen endlich
zu körperlichen Massen aneinander, verschiedengeformte Klümpchen,
Kugeln u. dgl. bildend. Nun beginnt eine mannigfachere und
reichere Formenentwicklung als früher bei den einfachen Grundlagen
möglich war, aber häufig wiederholen sich besonders auf den niederen
Stufen der Pflanzenwelt auch noch für die einzelnen Gruppen und für
die höhern Stufen fast für alle einzelnen Organe die Unterschiede
der Entwicklungen nach der Länge, nach Länge und Breite, oder nach
Länge, Breite und Tiefe.

Es ist hier am Ort auf ein eigenthümliches Verhältniß bei den
Pflanzen aufmerksam zu machen, welches in der Thierwelt in ähn-
licher Weise gar nicht oder doch keineswegs so auffallend vorkommt
und dann immer nur da, wo sich ohnehin die Analogien mit der Pflan-
zenwelt am schärfsten fassen und festhalten lassen, nämlich beim Kno-

*) Marienblümchen, Masliebchen Bellis perennis.

immer größere Combinationen und Verwicklungen endlich bis zu den
complicirteſten Pflanzen auf, die wir als die höchſte Stufe anzuſehen
gezwungen ſind, obwohl es dem Laien wunderbar vorkommen mag,
wenn ich als einen Repräſentanten dieſes höchſten Ausdruckes vege-
tabiliſcher Entwicklung das kleine, ſo allgemein verbreitete und des-
halb meiſt verachtete Gänſeblümchen *) nenne.

Die jenen einfachſten Pflanzen zunächſt ſich anſchießenden Bil-
dungen beſtehen zwar auch nur aus einer einzelnen einfachen Zelle,
die aber doch ſchon fadenförmig verlängert, oft veräſtelt iſt und daher
ſchon mehr Formenbildung zeigt, demnächſt reihen ſich die Zellen linien-
förmig auf mannigfache Weiſe aneinander, es erwächſt ſchon eine man-
nigfaltige Vegetation, die im Waſſer als Waſſerfäden oder Con-
ferven
, meiſt mit grüner Farbe oder an faulenden organiſchen Körpern
als die vielfach verſchiedenen oft ſo zierlichen Formen des Schimmels
in den bunteſten Farbenſpiel auftreten. — Weiter legen ſich die Zellen
zu flachen Gebilden zuſammen, unter dem Namen Ulven den Bota-
nikern bekannt und häufig faſt jungen Sallatblättern ähnlich im Meere
wachſend, oft grün oft purpurroth, armen Küſtenbewohnern nicht
ſelten eine magere Speiſe. — Weiter drängen ſich die Zellen endlich
zu körperlichen Maſſen aneinander, verſchiedengeformte Klümpchen,
Kugeln u. dgl. bildend. Nun beginnt eine mannigfachere und
reichere Formenentwicklung als früher bei den einfachen Grundlagen
möglich war, aber häufig wiederholen ſich beſonders auf den niederen
Stufen der Pflanzenwelt auch noch für die einzelnen Gruppen und für
die höhern Stufen faſt für alle einzelnen Organe die Unterſchiede
der Entwicklungen nach der Länge, nach Länge und Breite, oder nach
Länge, Breite und Tiefe.

Es iſt hier am Ort auf ein eigenthümliches Verhältniß bei den
Pflanzen aufmerkſam zu machen, welches in der Thierwelt in ähn-
licher Weiſe gar nicht oder doch keineswegs ſo auffallend vorkommt
und dann immer nur da, wo ſich ohnehin die Analogien mit der Pflan-
zenwelt am ſchärfſten faſſen und feſthalten laſſen, nämlich beim Kno-

*) Marienblümchen, Masliebchen Bellis perennis.
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[91/0107] immer größere Combinationen und Verwicklungen endlich bis zu den complicirteſten Pflanzen auf, die wir als die höchſte Stufe anzuſehen gezwungen ſind, obwohl es dem Laien wunderbar vorkommen mag, wenn ich als einen Repräſentanten dieſes höchſten Ausdruckes vege- tabiliſcher Entwicklung das kleine, ſo allgemein verbreitete und des- halb meiſt verachtete Gänſeblümchen *) nenne. Die jenen einfachſten Pflanzen zunächſt ſich anſchießenden Bil- dungen beſtehen zwar auch nur aus einer einzelnen einfachen Zelle, die aber doch ſchon fadenförmig verlängert, oft veräſtelt iſt und daher ſchon mehr Formenbildung zeigt, demnächſt reihen ſich die Zellen linien- förmig auf mannigfache Weiſe aneinander, es erwächſt ſchon eine man- nigfaltige Vegetation, die im Waſſer als Waſſerfäden oder Con- ferven, meiſt mit grüner Farbe oder an faulenden organiſchen Körpern als die vielfach verſchiedenen oft ſo zierlichen Formen des Schimmels in den bunteſten Farbenſpiel auftreten. — Weiter legen ſich die Zellen zu flachen Gebilden zuſammen, unter dem Namen Ulven den Bota- nikern bekannt und häufig faſt jungen Sallatblättern ähnlich im Meere wachſend, oft grün oft purpurroth, armen Küſtenbewohnern nicht ſelten eine magere Speiſe. — Weiter drängen ſich die Zellen endlich zu körperlichen Maſſen aneinander, verſchiedengeformte Klümpchen, Kugeln u. dgl. bildend. Nun beginnt eine mannigfachere und reichere Formenentwicklung als früher bei den einfachen Grundlagen möglich war, aber häufig wiederholen ſich beſonders auf den niederen Stufen der Pflanzenwelt auch noch für die einzelnen Gruppen und für die höhern Stufen faſt für alle einzelnen Organe die Unterſchiede der Entwicklungen nach der Länge, nach Länge und Breite, oder nach Länge, Breite und Tiefe. Es iſt hier am Ort auf ein eigenthümliches Verhältniß bei den Pflanzen aufmerkſam zu machen, welches in der Thierwelt in ähn- licher Weiſe gar nicht oder doch keineswegs ſo auffallend vorkommt und dann immer nur da, wo ſich ohnehin die Analogien mit der Pflan- zenwelt am ſchärfſten faſſen und feſthalten laſſen, nämlich beim Kno- *) Marienblümchen, Masliebchen Bellis perennis.

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/107>, abgerufen am 24.11.2024.