Vergleichungsformeln und eine eigenthümliche daraus entwickelte, aber natürlich ihres Ursprungs wegen sehr schwankende Kunstsprache helfen. Selbst Ausdrücke wie cylindrisch, prismatisch, kreis- und kugelrund, kegelförmig u. dgl. m., haben in ihrer Anwendung auf die Pflanzenwelt keine scharfe mathematische Bedeutung mehr, sondern nur einen annähernden Vergleichungswerth.
Aus allem Diesen ergiebt sich nun, daß eine sehr allgemeine Orientirung und ein eigenthümlicher naturwissenschaftlicher Tact, ich möchte fast sagen Instinct, dazu gehört, um in der Formenlehre der Pflanzen mit Sicherheit einen Schritt vorwärts thun zu können und daß es hier vor Allem darauf ankommen wird, aus der Natur des Gegenstandes selbst specielle, leitende Maximen zu entwickeln, nach denen wir die unzähligen möglichen Systeme der vegetabilischen Morphologie kritisiren, verwerfen oder zulassen. Damit ist freilich noch nicht mehr als das negative Resultat gewonnen, daß alle nach jenen leitenden Regeln verworfenen Systeme gewiß unbrauchbar sind, während die zugelassenen immer nur eine Möglichkeit, aber keine Gewiß- heit ihre Richtigkeit gewinnen. Gleichwohl ist damit schon viel gewon- nen, da dadurch die Untersuchungen unendlich viel einfacher werden. --
Sehen wir uns nach solchen leitenden Principien um, so bietet uns die Pflanze zwei Eigenthümlichkeiten, welche ihren bestimmten Anspruch an Berücksichtigung an alle unsere Forschungen geltend machen. Die eine ist die Zusammensetzung der Pflanze aus kleinen fast selbstständigen und individualisirten Elementarorganismen, näm- lich den Zellen, die andere ist der fortgehende Proceß der Aufnahme und Ausscheidung von Stoff, der Neubildung und Auflösung von Zellen und in Folge von Beiden die beständige Veränderung der in- neren und äußeren Form, der Structur und Gestalt.
Die daraus abzuleitenden Maximen lauten nun:
"was in der Pflanze nicht auf seine Zusammensetzung aus ein- zelnen Zellen zurückgeführt ist, bleibt zur Zeit noch unerkannt und un- verstanden, kann also keiner theoretischen Betrachtung zum Grunde gelegt werden" und zweitens
Vergleichungsformeln und eine eigenthümliche daraus entwickelte, aber natürlich ihres Urſprungs wegen ſehr ſchwankende Kunſtſprache helfen. Selbſt Ausdrücke wie cylindriſch, prismatiſch, kreis- und kugelrund, kegelförmig u. dgl. m., haben in ihrer Anwendung auf die Pflanzenwelt keine ſcharfe mathematiſche Bedeutung mehr, ſondern nur einen annähernden Vergleichungswerth.
Aus allem Dieſen ergiebt ſich nun, daß eine ſehr allgemeine Orientirung und ein eigenthümlicher naturwiſſenſchaftlicher Tact, ich möchte faſt ſagen Inſtinct, dazu gehört, um in der Formenlehre der Pflanzen mit Sicherheit einen Schritt vorwärts thun zu können und daß es hier vor Allem darauf ankommen wird, aus der Natur des Gegenſtandes ſelbſt ſpecielle, leitende Maximen zu entwickeln, nach denen wir die unzähligen möglichen Syſteme der vegetabiliſchen Morphologie kritiſiren, verwerfen oder zulaſſen. Damit iſt freilich noch nicht mehr als das negative Reſultat gewonnen, daß alle nach jenen leitenden Regeln verworfenen Syſteme gewiß unbrauchbar ſind, während die zugelaſſenen immer nur eine Möglichkeit, aber keine Gewiß- heit ihre Richtigkeit gewinnen. Gleichwohl iſt damit ſchon viel gewon- nen, da dadurch die Unterſuchungen unendlich viel einfacher werden. —
Sehen wir uns nach ſolchen leitenden Principien um, ſo bietet uns die Pflanze zwei Eigenthümlichkeiten, welche ihren beſtimmten Anſpruch an Berückſichtigung an alle unſere Forſchungen geltend machen. Die eine iſt die Zuſammenſetzung der Pflanze aus kleinen faſt ſelbſtſtändigen und individualiſirten Elementarorganismen, näm- lich den Zellen, die andere iſt der fortgehende Proceß der Aufnahme und Ausſcheidung von Stoff, der Neubildung und Auflöſung von Zellen und in Folge von Beiden die beſtändige Veränderung der in- neren und äußeren Form, der Structur und Geſtalt.
Die daraus abzuleitenden Maximen lauten nun:
„was in der Pflanze nicht auf ſeine Zuſammenſetzung aus ein- zelnen Zellen zurückgeführt iſt, bleibt zur Zeit noch unerkannt und un- verſtanden, kann alſo keiner theoretiſchen Betrachtung zum Grunde gelegt werden“ und zweitens
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Vergleichungsformeln und eine eigenthümliche daraus entwickelte,
aber natürlich ihres Urſprungs wegen ſehr ſchwankende Kunſtſprache
helfen. Selbſt Ausdrücke wie cylindriſch, prismatiſch, kreis- und
kugelrund, kegelförmig u. dgl. m., haben in ihrer Anwendung auf
die Pflanzenwelt keine ſcharfe mathematiſche Bedeutung mehr, ſondern
nur einen annähernden Vergleichungswerth.
Aus allem Dieſen ergiebt ſich nun, daß eine ſehr allgemeine
Orientirung und ein eigenthümlicher naturwiſſenſchaftlicher Tact,
ich möchte faſt ſagen Inſtinct, dazu gehört, um in der Formenlehre
der Pflanzen mit Sicherheit einen Schritt vorwärts thun zu können
und daß es hier vor Allem darauf ankommen wird, aus der Natur
des Gegenſtandes ſelbſt ſpecielle, leitende Maximen zu entwickeln,
nach denen wir die unzähligen möglichen Syſteme der vegetabiliſchen
Morphologie kritiſiren, verwerfen oder zulaſſen. Damit iſt freilich
noch nicht mehr als das negative Reſultat gewonnen, daß alle nach
jenen leitenden Regeln verworfenen Syſteme gewiß unbrauchbar ſind,
während die zugelaſſenen immer nur eine Möglichkeit, aber keine Gewiß-
heit ihre Richtigkeit gewinnen. Gleichwohl iſt damit ſchon viel gewon-
nen, da dadurch die Unterſuchungen unendlich viel einfacher werden. —
Sehen wir uns nach ſolchen leitenden Principien um, ſo bietet
uns die Pflanze zwei Eigenthümlichkeiten, welche ihren beſtimmten
Anſpruch an Berückſichtigung an alle unſere Forſchungen geltend
machen. Die eine iſt die Zuſammenſetzung der Pflanze aus kleinen
faſt ſelbſtſtändigen und individualiſirten Elementarorganismen, näm-
lich den Zellen, die andere iſt der fortgehende Proceß der Aufnahme
und Ausſcheidung von Stoff, der Neubildung und Auflöſung von
Zellen und in Folge von Beiden die beſtändige Veränderung der in-
neren und äußeren Form, der Structur und Geſtalt.
Die daraus abzuleitenden Maximen lauten nun:
„was in der Pflanze nicht auf ſeine Zuſammenſetzung aus ein-
zelnen Zellen zurückgeführt iſt, bleibt zur Zeit noch unerkannt und un-
verſtanden, kann alſo keiner theoretiſchen Betrachtung zum Grunde
gelegt werden“ und zweitens
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/105>, abgerufen am 16.02.2025.
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