Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schleicher, August: Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft. Weimar, 1863.

Bild:
<< vorherige Seite

dieselbe war, die sich bei einigen Sprachen einfachsten
Baues (z. B. beim chinesischen) erhalten hat. Kurz, das,
wovon alle Sprachen ihren Ausgang genommen haben, waren
Bedeutungslaute, einfache Lautbilder für Anschauungen,
Vorstellungen, Begriffe, die in jeder Beziehung, d. h. als
jede grammatische Form fungieren konnten, ohne dass
für diese Functionen ein lautlicher Ausdruck, so zu sagen,
ein Organ, vorhanden war. Auf dieser urältesten Stufe
sprachlichen Lebens gibt es also, lautlich unterschieden,
weder Verba noch Nomina, weder Conjugation noch Decli-
nation u. s. f. Versuchen wir diess wenigstens an einem
einzigen Beispiele anschaulich zu machen. Die älteste
Form für die Worte, die jetzt im Deutschen That, ge-
than, thue, Thäter, thätig
lauten, war zur Entsteh-
ungszeit der indogermanischen Ursprache dha, denn diess
dha (setzen, thun bedeutend; altindisch dha, altbaktrisch
da, griechisch the, litauisch und slawisch de, gothisch da,
hochdeutsch ta) ergibt sich als die gemeinsame Wurzel
aller jener Worte, was hier nicht weiter nachgewiesen wer-
den kann; (jeder Sprachforscher auf indogermanischem Ge-
biete wird diess jedoch bestätigen.) In etwas späterer Ent-
wickelungsstufe des Indogermanischen setzte man, um be-
stimmte Beziehungen auszudrücken, die Wurzeln, die da-
mals noch als Worte fungierten, auch zweimal, fügte ihnen
ein anderes Wort, eine andere Wurzel, bei; doch war jedes
dieser Elemente noch selbständig. Um z. B. die erste Per-
son des Praesens zu bezeichnen sagte man dha dha ma,
aus welchem im späteren Lebensverlaufe der Sprache durch
Verschmelzung der Elemente zu einem Ganzen und durch
die hinzutretende Veränderungsfähigkeit der Wurzeln dha-
dhami
(altind. dadhami, altbaktr. dadhami, griech. tithemi,

dieselbe war, die sich bei einigen Sprachen einfachsten
Baues (z. B. beim chinesischen) erhalten hat. Kurz, das,
wovon alle Sprachen ihren Ausgang genommen haben, waren
Bedeutungslaute, einfache Lautbilder für Anschauungen,
Vorstellungen, Begriffe, die in jeder Beziehung, d. h. als
jede grammatische Form fungieren konnten, ohne dass
für diese Functionen ein lautlicher Ausdruck, so zu sagen,
ein Organ, vorhanden war. Auf dieser urältesten Stufe
sprachlichen Lebens gibt es also, lautlich unterschieden,
weder Verba noch Nomina, weder Conjugation noch Decli-
nation u. s. f. Versuchen wir diess wenigstens an einem
einzigen Beispiele anschaulich zu machen. Die älteste
Form für die Worte, die jetzt im Deutschen That, ge-
than, thue, Thäter, thätig
lauten, war zur Entsteh-
ungszeit der indogermanischen Ursprache dha, denn diess
dha (setzen, thun bedeutend; altindisch dha, altbaktrisch
da, griechisch ϑε, litauisch und slawisch de, gothisch da,
hochdeutsch ta) ergibt sich als die gemeinsame Wurzel
aller jener Worte, was hier nicht weiter nachgewiesen wer-
den kann; (jeder Sprachforscher auf indogermanischem Ge-
biete wird diess jedoch bestätigen.) In etwas späterer Ent-
wickelungsstufe des Indogermanischen setzte man, um be-
stimmte Beziehungen auszudrücken, die Wurzeln, die da-
mals noch als Worte fungierten, auch zweimal, fügte ihnen
ein anderes Wort, eine andere Wurzel, bei; doch war jedes
dieser Elemente noch selbständig. Um z. B. die erste Per-
son des Praesens zu bezeichnen sagte man dha dha ma,
aus welchem im späteren Lebensverlaufe der Sprache durch
Verschmelzung der Elemente zu einem Ganzen und durch
die hinzutretende Veränderungsfähigkeit der Wurzeln dha-
dhâmi
(altind. dádhâmi, altbaktr. dadhâmi, griech. τίϑημι,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0024" n="22"/>
dieselbe war, die sich bei einigen Sprachen einfachsten<lb/>
Baues (z. B. beim chinesischen) erhalten hat. Kurz, das,<lb/>
wovon alle Sprachen ihren Ausgang genommen haben, waren<lb/>
Bedeutungslaute, einfache Lautbilder für Anschauungen,<lb/>
Vorstellungen, Begriffe, die in jeder Beziehung, d. h. als<lb/>
jede grammatische Form fungieren konnten, ohne dass<lb/>
für diese Functionen ein lautlicher Ausdruck, so zu sagen,<lb/>
ein Organ, vorhanden war. Auf dieser urältesten Stufe<lb/>
sprachlichen Lebens gibt es also, lautlich unterschieden,<lb/>
weder Verba noch Nomina, weder Conjugation noch Decli-<lb/>
nation u. s. f. Versuchen wir diess wenigstens an einem<lb/>
einzigen Beispiele anschaulich zu machen. Die älteste<lb/>
Form für die Worte, die jetzt im Deutschen <hi rendition="#g">That, ge-<lb/>
than, thue, Thäter, thätig</hi> lauten, war zur Entsteh-<lb/>
ungszeit der indogermanischen Ursprache <hi rendition="#g">dha</hi>, denn diess<lb/><hi rendition="#g">dha</hi> (setzen, thun bedeutend; altindisch <hi rendition="#g">dha</hi>, altbaktrisch<lb/>
da, griechisch &#x03D1;&#x03B5;, litauisch und slawisch <hi rendition="#g">de</hi>, gothisch <hi rendition="#g">da</hi>,<lb/>
hochdeutsch <hi rendition="#g">ta</hi>) ergibt sich als die gemeinsame Wurzel<lb/>
aller jener Worte, was hier nicht weiter nachgewiesen wer-<lb/>
den kann; (jeder Sprachforscher auf indogermanischem Ge-<lb/>
biete wird diess jedoch bestätigen.) In etwas späterer Ent-<lb/>
wickelungsstufe des Indogermanischen setzte man, um be-<lb/>
stimmte Beziehungen auszudrücken, die Wurzeln, die da-<lb/>
mals noch als Worte fungierten, auch zweimal, fügte ihnen<lb/>
ein anderes Wort, eine andere Wurzel, bei; doch war jedes<lb/>
dieser Elemente noch selbständig. Um z. B. die erste Per-<lb/>
son des Praesens zu bezeichnen sagte man <hi rendition="#g">dha dha ma</hi>,<lb/>
aus welchem im späteren Lebensverlaufe der Sprache durch<lb/>
Verschmelzung der Elemente zu einem Ganzen und durch<lb/>
die hinzutretende Veränderungsfähigkeit der Wurzeln <hi rendition="#g">dha-<lb/>
dhâmi</hi> (altind. <hi rendition="#g">dádhâmi</hi>, altbaktr. <hi rendition="#g">dadhâmi</hi>, griech. &#x03C4;&#x1F77;&#x03D1;&#x03B7;&#x03BC;&#x03B9;,<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0024] dieselbe war, die sich bei einigen Sprachen einfachsten Baues (z. B. beim chinesischen) erhalten hat. Kurz, das, wovon alle Sprachen ihren Ausgang genommen haben, waren Bedeutungslaute, einfache Lautbilder für Anschauungen, Vorstellungen, Begriffe, die in jeder Beziehung, d. h. als jede grammatische Form fungieren konnten, ohne dass für diese Functionen ein lautlicher Ausdruck, so zu sagen, ein Organ, vorhanden war. Auf dieser urältesten Stufe sprachlichen Lebens gibt es also, lautlich unterschieden, weder Verba noch Nomina, weder Conjugation noch Decli- nation u. s. f. Versuchen wir diess wenigstens an einem einzigen Beispiele anschaulich zu machen. Die älteste Form für die Worte, die jetzt im Deutschen That, ge- than, thue, Thäter, thätig lauten, war zur Entsteh- ungszeit der indogermanischen Ursprache dha, denn diess dha (setzen, thun bedeutend; altindisch dha, altbaktrisch da, griechisch ϑε, litauisch und slawisch de, gothisch da, hochdeutsch ta) ergibt sich als die gemeinsame Wurzel aller jener Worte, was hier nicht weiter nachgewiesen wer- den kann; (jeder Sprachforscher auf indogermanischem Ge- biete wird diess jedoch bestätigen.) In etwas späterer Ent- wickelungsstufe des Indogermanischen setzte man, um be- stimmte Beziehungen auszudrücken, die Wurzeln, die da- mals noch als Worte fungierten, auch zweimal, fügte ihnen ein anderes Wort, eine andere Wurzel, bei; doch war jedes dieser Elemente noch selbständig. Um z. B. die erste Per- son des Praesens zu bezeichnen sagte man dha dha ma, aus welchem im späteren Lebensverlaufe der Sprache durch Verschmelzung der Elemente zu einem Ganzen und durch die hinzutretende Veränderungsfähigkeit der Wurzeln dha- dhâmi (altind. dádhâmi, altbaktr. dadhâmi, griech. τίϑημι,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schleicher_darwin_1863
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schleicher_darwin_1863/24
Zitationshilfe: Schleicher, August: Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft. Weimar, 1863, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleicher_darwin_1863/24>, abgerufen am 23.11.2024.