Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schleicher, August: Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft. Weimar, 1863.

Bild:
<< vorherige Seite

so genau durchforschte Gebiet der indogermanischen Spra-
chen liefert uns für diese Behauptung Belege. So reden
manche Sprachforscher von slawischen Dialekten, andere
von slawischen Sprachen; auch die verschiedenen, die deut-
sche Familie bildenden Sprachen hat man bisweilen als
Dialekte bezeichnet. Ganz eben so verhält es sich aber
mit den entsprechenden Begriffen Art, Unterart, Varietät.
Wenn hierüber Darwin sagt (S. 57): 'Eine bestimmte Grenz-
linie ist bis jetzt sicherlich nicht gezogen worden, weder
zwischen Arten und Unterarten, d. i. solchen Formen,
welche nach der Meinung einiger Naturforscher den Rang
einer Species nahezu aber doch nicht gänzlich erreichen,
noch zwischen Unterarten und ausgezeichneten Varietäten,
noch endlich zwischen den geringeren Varietäten und indi-
viduellen Verschiedenheiten. Diese Verschiedenheiten grei-
fen, in eine Reihe geordnet, unmerklich ineinander, und die
Reihe weckt die Vorstellung von einem wirklichen Ueber-
gang', so brauchen wir nur die Benennungen Art, Unter-
art, Varietät mit den in der Sprachwissenschaft üblichen
(Sprache, Dialekt, Mundart, Untermundart) zu vertauschen
und das von Darwin Gesagte gilt vollkommen für die sprach-
lichen Unterschiede innerhalb der Sippen, deren allmäh-
liches Entstehen wir so eben an einem Beispiele vor Augen
geführt haben.

Wie verhält es sich nun aber mit der Ursprünglichkeit
der Gattungen, d. h. auf sprachlichem Gebiete, mit der
Ursprünglichkeit der den Sippen zu Grunde liegenden
Muttersprachen? Wiederholt sich hier dieselbe Erscheinung,
die wir an den Sprachen einer Sippe wahrnehmen, stammen
auch diese Muttersprachen wiederum von gemeinsamen

so genau durchforschte Gebiet der indogermanischen Spra-
chen liefert uns für diese Behauptung Belege. So reden
manche Sprachforscher von slawischen Dialekten, andere
von slawischen Sprachen; auch die verschiedenen, die deut-
sche Familie bildenden Sprachen hat man bisweilen als
Dialekte bezeichnet. Ganz eben so verhält es sich aber
mit den entsprechenden Begriffen Art, Unterart, Varietät.
Wenn hierüber Darwin sagt (S. 57): ‘Eine bestimmte Grenz-
linie ist bis jetzt sicherlich nicht gezogen worden, weder
zwischen Arten und Unterarten, d. i. solchen Formen,
welche nach der Meinung einiger Naturforscher den Rang
einer Species nahezu aber doch nicht gänzlich erreichen,
noch zwischen Unterarten und ausgezeichneten Varietäten,
noch endlich zwischen den geringeren Varietäten und indi-
viduellen Verschiedenheiten. Diese Verschiedenheiten grei-
fen, in eine Reihe geordnet, unmerklich ineinander, und die
Reihe weckt die Vorstellung von einem wirklichen Ueber-
gang’, so brauchen wir nur die Benennungen Art, Unter-
art, Varietät mit den in der Sprachwissenschaft üblichen
(Sprache, Dialekt, Mundart, Untermundart) zu vertauschen
und das von Darwin Gesagte gilt vollkommen für die sprach-
lichen Unterschiede innerhalb der Sippen, deren allmäh-
liches Entstehen wir so eben an einem Beispiele vor Augen
geführt haben.

Wie verhält es sich nun aber mit der Ursprünglichkeit
der Gattungen, d. h. auf sprachlichem Gebiete, mit der
Ursprünglichkeit der den Sippen zu Grunde liegenden
Muttersprachen? Wiederholt sich hier dieselbe Erscheinung,
die wir an den Sprachen einer Sippe wahrnehmen, stammen
auch diese Muttersprachen wiederum von gemeinsamen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0022" n="20"/>
so genau durchforschte Gebiet der indogermanischen Spra-<lb/>
chen liefert uns für diese Behauptung Belege. So reden<lb/>
manche Sprachforscher von slawischen Dialekten, andere<lb/>
von slawischen Sprachen; auch die verschiedenen, die deut-<lb/>
sche Familie bildenden Sprachen hat man bisweilen als<lb/>
Dialekte bezeichnet. Ganz eben so verhält es sich aber<lb/>
mit den entsprechenden Begriffen Art, Unterart, Varietät.<lb/>
Wenn hierüber Darwin sagt (S. 57): &#x2018;Eine bestimmte Grenz-<lb/>
linie ist bis jetzt sicherlich nicht gezogen worden, weder<lb/>
zwischen Arten und Unterarten, d. i. solchen Formen,<lb/>
welche nach der Meinung einiger Naturforscher den Rang<lb/>
einer Species nahezu aber doch nicht gänzlich erreichen,<lb/>
noch zwischen Unterarten und ausgezeichneten Varietäten,<lb/>
noch endlich zwischen den geringeren Varietäten und indi-<lb/>
viduellen Verschiedenheiten. Diese Verschiedenheiten grei-<lb/>
fen, in eine Reihe geordnet, unmerklich ineinander, und die<lb/>
Reihe weckt die Vorstellung von einem wirklichen Ueber-<lb/>
gang&#x2019;, so brauchen wir nur die Benennungen Art, Unter-<lb/>
art, Varietät mit den in der Sprachwissenschaft üblichen<lb/>
(Sprache, Dialekt, Mundart, Untermundart) zu vertauschen<lb/>
und das von Darwin Gesagte gilt vollkommen für die sprach-<lb/>
lichen Unterschiede innerhalb der Sippen, deren allmäh-<lb/>
liches Entstehen wir so eben an einem Beispiele vor Augen<lb/>
geführt haben.</p><lb/>
      <p>Wie verhält es sich nun aber mit der Ursprünglichkeit<lb/>
der Gattungen, d. h. auf sprachlichem Gebiete, mit der<lb/>
Ursprünglichkeit der den Sippen zu Grunde liegenden<lb/>
Muttersprachen? Wiederholt sich hier dieselbe Erscheinung,<lb/>
die wir an den Sprachen einer Sippe wahrnehmen, stammen<lb/>
auch diese Muttersprachen wiederum von gemeinsamen<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[20/0022] so genau durchforschte Gebiet der indogermanischen Spra- chen liefert uns für diese Behauptung Belege. So reden manche Sprachforscher von slawischen Dialekten, andere von slawischen Sprachen; auch die verschiedenen, die deut- sche Familie bildenden Sprachen hat man bisweilen als Dialekte bezeichnet. Ganz eben so verhält es sich aber mit den entsprechenden Begriffen Art, Unterart, Varietät. Wenn hierüber Darwin sagt (S. 57): ‘Eine bestimmte Grenz- linie ist bis jetzt sicherlich nicht gezogen worden, weder zwischen Arten und Unterarten, d. i. solchen Formen, welche nach der Meinung einiger Naturforscher den Rang einer Species nahezu aber doch nicht gänzlich erreichen, noch zwischen Unterarten und ausgezeichneten Varietäten, noch endlich zwischen den geringeren Varietäten und indi- viduellen Verschiedenheiten. Diese Verschiedenheiten grei- fen, in eine Reihe geordnet, unmerklich ineinander, und die Reihe weckt die Vorstellung von einem wirklichen Ueber- gang’, so brauchen wir nur die Benennungen Art, Unter- art, Varietät mit den in der Sprachwissenschaft üblichen (Sprache, Dialekt, Mundart, Untermundart) zu vertauschen und das von Darwin Gesagte gilt vollkommen für die sprach- lichen Unterschiede innerhalb der Sippen, deren allmäh- liches Entstehen wir so eben an einem Beispiele vor Augen geführt haben. Wie verhält es sich nun aber mit der Ursprünglichkeit der Gattungen, d. h. auf sprachlichem Gebiete, mit der Ursprünglichkeit der den Sippen zu Grunde liegenden Muttersprachen? Wiederholt sich hier dieselbe Erscheinung, die wir an den Sprachen einer Sippe wahrnehmen, stammen auch diese Muttersprachen wiederum von gemeinsamen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schleicher_darwin_1863
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schleicher_darwin_1863/22
Zitationshilfe: Schleicher, August: Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft. Weimar, 1863, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleicher_darwin_1863/22>, abgerufen am 21.11.2024.