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Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808.

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die Sprachen durch Flexion zeigen um so mehr
innere Verwandtschaft und gegenseitigen Zusam-
menhang auch in den Wurzeln, je höher man
in der Geschichte ihrer Bildung hinauf steigt.

Man würde mich indessen ganz mißverste-
hen, wenn man glaubte, ich wolle die eine
Hauptgattung der Sprache ausschliessend erhe-
ben, die andre unbedingt herabsetzen. Die
Welt der Sprache ist zu umfassend reich und
groß und bei höherer Ausbildung zu verwickelt,
als daß sich die Sache so einfach durch einen
schneidenden Richterspruch ausmachen liesse. Wer
wird die hohe Kunst, die Würde und erhabne
Kraft der arabischen und hebräischen Sprache
läugnen können? Sie stehen wohl unstreitig auf
dem höchsten Gipfel der Bildung und Vollkom-
menheit in ihrer Gattung, der sie übrigens
nicht so ausschliessend angehören, daß sie sich
nicht in einigen Stücken der andern etwas nä-
hern sollten. Daß aber diese Kunst ihnen spä-
ter, ja zum Theil gewaltsam, auf den alten rohen
Stamm angebildet sein möge, haben die ver-
trautesten Kenner dieser Sprachen oft geäussert.
Daß die Sprachen, wo die Flexion in der Struc-

die Sprachen durch Flexion zeigen um ſo mehr
innere Verwandtſchaft und gegenſeitigen Zuſam-
menhang auch in den Wurzeln, je hoͤher man
in der Geſchichte ihrer Bildung hinauf ſteigt.

Man wuͤrde mich indeſſen ganz mißverſte-
hen, wenn man glaubte, ich wolle die eine
Hauptgattung der Sprache ausſchlieſſend erhe-
ben, die andre unbedingt herabſetzen. Die
Welt der Sprache iſt zu umfaſſend reich und
groß und bei hoͤherer Ausbildung zu verwickelt,
als daß ſich die Sache ſo einfach durch einen
ſchneidenden Richterſpruch ausmachen lieſſe. Wer
wird die hohe Kunſt, die Wuͤrde und erhabne
Kraft der arabiſchen und hebraͤiſchen Sprache
laͤugnen koͤnnen? Sie ſtehen wohl unſtreitig auf
dem hoͤchſten Gipfel der Bildung und Vollkom-
menheit in ihrer Gattung, der ſie uͤbrigens
nicht ſo ausſchlieſſend angehoͤren, daß ſie ſich
nicht in einigen Stuͤcken der andern etwas naͤ-
hern ſollten. Daß aber dieſe Kunſt ihnen ſpaͤ-
ter, ja zum Theil gewaltſam, auf den alten rohen
Stamm angebildet ſein moͤge, haben die ver-
trauteſten Kenner dieſer Sprachen oft geaͤuſſert.
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[55/0074] die Sprachen durch Flexion zeigen um ſo mehr innere Verwandtſchaft und gegenſeitigen Zuſam- menhang auch in den Wurzeln, je hoͤher man in der Geſchichte ihrer Bildung hinauf ſteigt. Man wuͤrde mich indeſſen ganz mißverſte- hen, wenn man glaubte, ich wolle die eine Hauptgattung der Sprache ausſchlieſſend erhe- ben, die andre unbedingt herabſetzen. Die Welt der Sprache iſt zu umfaſſend reich und groß und bei hoͤherer Ausbildung zu verwickelt, als daß ſich die Sache ſo einfach durch einen ſchneidenden Richterſpruch ausmachen lieſſe. Wer wird die hohe Kunſt, die Wuͤrde und erhabne Kraft der arabiſchen und hebraͤiſchen Sprache laͤugnen koͤnnen? Sie ſtehen wohl unſtreitig auf dem hoͤchſten Gipfel der Bildung und Vollkom- menheit in ihrer Gattung, der ſie uͤbrigens nicht ſo ausſchlieſſend angehoͤren, daß ſie ſich nicht in einigen Stuͤcken der andern etwas naͤ- hern ſollten. Daß aber dieſe Kunſt ihnen ſpaͤ- ter, ja zum Theil gewaltſam, auf den alten rohen Stamm angebildet ſein moͤge, haben die ver- trauteſten Kenner dieſer Sprachen oft geaͤuſſert. Daß die Sprachen, wo die Flexion in der Struc-

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Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/74>, abgerufen am 27.11.2024.