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Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808.

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Der Stufengang der Sprachen, welche die-
ser Grammatik folgen, wäre also dieser. Im
Chinesischen sind die Partikeln, welche die Ne-
benbestimmung der Bedeutung bezeichnen, für
sich bestehende von der Wurzel ganz unabhän-
gige einsylbige Worte. Die Sprache dieser sonst
so verfeinerten Nation stünde also grade auf der
untersten Stufe; vielleicht, weil eben durch das
so äusserst künstliche Schriftsystem die Kindheit
derselben zu frühe fixirt worden. In der baski-
schen und koptischen, so wie in den amerikani-
schen Sprachen wird die Grammatik ganz und
gar durch Suffixa und Präfixa gebildet, die
fast überall noch leicht zu unterscheiden sind und
zum Theil auch noch für sich eine Bedeutung
haben; doch fangen die angefügten Partikeln
schon an, mit dem Worte selbst zu verschmelzen
und zu coalesciren. Noch mehr ist dieß der Fall
im Arabischen und allen verwandten Mundarten,
die zwar dem grössern Theile ihrer Grammatik
nach unläugbar zu dieser Gattung gehören,
während doch manches andre nicht mit Sicher-
heit darauf zurückgeführt werden kann, hie und
da sich sogar schon eine einzelne Uebereinstim-

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Der Stufengang der Sprachen, welche die-
ſer Grammatik folgen, waͤre alſo dieſer. Im
Chineſiſchen ſind die Partikeln, welche die Ne-
benbeſtimmung der Bedeutung bezeichnen, fuͤr
ſich beſtehende von der Wurzel ganz unabhaͤn-
gige einſylbige Worte. Die Sprache dieſer ſonſt
ſo verfeinerten Nation ſtuͤnde alſo grade auf der
unterſten Stufe; vielleicht, weil eben durch das
ſo aͤuſſerſt kuͤnſtliche Schriftſyſtem die Kindheit
derſelben zu fruͤhe fixirt worden. In der baſki-
ſchen und koptiſchen, ſo wie in den amerikani-
ſchen Sprachen wird die Grammatik ganz und
gar durch Suffixa und Praͤfixa gebildet, die
faſt uͤberall noch leicht zu unterſcheiden ſind und
zum Theil auch noch fuͤr ſich eine Bedeutung
haben; doch fangen die angefuͤgten Partikeln
ſchon an, mit dem Worte ſelbſt zu verſchmelzen
und zu coaleſciren. Noch mehr iſt dieß der Fall
im Arabiſchen und allen verwandten Mundarten,
die zwar dem groͤſſern Theile ihrer Grammatik
nach unlaͤugbar zu dieſer Gattung gehoͤren,
waͤhrend doch manches andre nicht mit Sicher-
heit darauf zuruͤckgefuͤhrt werden kann, hie und
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[49/0068] Der Stufengang der Sprachen, welche die- ſer Grammatik folgen, waͤre alſo dieſer. Im Chineſiſchen ſind die Partikeln, welche die Ne- benbeſtimmung der Bedeutung bezeichnen, fuͤr ſich beſtehende von der Wurzel ganz unabhaͤn- gige einſylbige Worte. Die Sprache dieſer ſonſt ſo verfeinerten Nation ſtuͤnde alſo grade auf der unterſten Stufe; vielleicht, weil eben durch das ſo aͤuſſerſt kuͤnſtliche Schriftſyſtem die Kindheit derſelben zu fruͤhe fixirt worden. In der baſki- ſchen und koptiſchen, ſo wie in den amerikani- ſchen Sprachen wird die Grammatik ganz und gar durch Suffixa und Praͤfixa gebildet, die faſt uͤberall noch leicht zu unterſcheiden ſind und zum Theil auch noch fuͤr ſich eine Bedeutung haben; doch fangen die angefuͤgten Partikeln ſchon an, mit dem Worte ſelbſt zu verſchmelzen und zu coaleſciren. Noch mehr iſt dieß der Fall im Arabiſchen und allen verwandten Mundarten, die zwar dem groͤſſern Theile ihrer Grammatik nach unlaͤugbar zu dieſer Gattung gehoͤren, waͤhrend doch manches andre nicht mit Sicher- heit darauf zuruͤckgefuͤhrt werden kann, hie und da ſich ſogar ſchon eine einzelne Uebereinſtim- 4

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Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/68>, abgerufen am 27.11.2024.