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Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808.

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tik bilden, und daß die regelmäßige Einfachheit
der indischen Sprache in der gleichen Structur
ein untrügliches Kennzeichen des höhern Alter-
thums ist. Wichtig ist auch folgender Unter-
schied. Im Griechischen kann man noch wenig-
stens einen Anschein von Möglichkeit finden, als
wären die Biegungssylben aus in das Wort
verschmolznen Partikeln und Hülfsworten ur-
sprünglich entstanden, obwohl man diese Hypo-
these nicht würde durchführen können, ohne
fast alle jene etymologischen Künste und Gauke-
leien zu Hülfe zu nehmen, denen man zuvör-
derst allen ohne Ausnahme den Abschied geben
sollte, wenn man die Sprache und ihre Entste-
hung wissenschaftlich d. h. durchaus historisch be-
trachten will; und kaum möchte sichs auch dann
noch durchführen lassen. Beim Indischen aber
verschwindet vollends der letzte Schein einer sol-
chen Möglichkeit, und man muß zugeben, daß
die Structur der Sprache durchaus organisch
gebildet, durch Flexionen oder innre Verände-
rungen und Umbiegungen des Wurzellauts in
allen seinen Bedeutungen ramificirt, nicht bloß
mechanisch durch angehängte Worte und Parti-

tik bilden, und daß die regelmaͤßige Einfachheit
der indiſchen Sprache in der gleichen Structur
ein untruͤgliches Kennzeichen des hoͤhern Alter-
thums iſt. Wichtig iſt auch folgender Unter-
ſchied. Im Griechiſchen kann man noch wenig-
ſtens einen Anſchein von Moͤglichkeit finden, als
waͤren die Biegungsſylben aus in das Wort
verſchmolznen Partikeln und Huͤlfsworten ur-
ſpruͤnglich entſtanden, obwohl man dieſe Hypo-
theſe nicht wuͤrde durchfuͤhren koͤnnen, ohne
faſt alle jene etymologiſchen Kuͤnſte und Gauke-
leien zu Huͤlfe zu nehmen, denen man zuvoͤr-
derſt allen ohne Ausnahme den Abſchied geben
ſollte, wenn man die Sprache und ihre Entſte-
hung wiſſenſchaftlich d. h. durchaus hiſtoriſch be-
trachten will; und kaum moͤchte ſichs auch dann
noch durchfuͤhren laſſen. Beim Indiſchen aber
verſchwindet vollends der letzte Schein einer ſol-
chen Moͤglichkeit, und man muß zugeben, daß
die Structur der Sprache durchaus organiſch
gebildet, durch Flexionen oder innre Veraͤnde-
rungen und Umbiegungen des Wurzellauts in
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[41/0060] tik bilden, und daß die regelmaͤßige Einfachheit der indiſchen Sprache in der gleichen Structur ein untruͤgliches Kennzeichen des hoͤhern Alter- thums iſt. Wichtig iſt auch folgender Unter- ſchied. Im Griechiſchen kann man noch wenig- ſtens einen Anſchein von Moͤglichkeit finden, als waͤren die Biegungsſylben aus in das Wort verſchmolznen Partikeln und Huͤlfsworten ur- ſpruͤnglich entſtanden, obwohl man dieſe Hypo- theſe nicht wuͤrde durchfuͤhren koͤnnen, ohne faſt alle jene etymologiſchen Kuͤnſte und Gauke- leien zu Huͤlfe zu nehmen, denen man zuvoͤr- derſt allen ohne Ausnahme den Abſchied geben ſollte, wenn man die Sprache und ihre Entſte- hung wiſſenſchaftlich d. h. durchaus hiſtoriſch be- trachten will; und kaum moͤchte ſichs auch dann noch durchfuͤhren laſſen. Beim Indiſchen aber verſchwindet vollends der letzte Schein einer ſol- chen Moͤglichkeit, und man muß zugeben, daß die Structur der Sprache durchaus organiſch gebildet, durch Flexionen oder innre Veraͤnde- rungen und Umbiegungen des Wurzellauts in allen ſeinen Bedeutungen ramificirt, nicht bloß mechaniſch durch angehaͤngte Worte und Parti-

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Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/60>, abgerufen am 23.11.2024.