Skondopurano, der für Geschichte unter allen Puranas am meisten enthalten soll. In- dessen läßt sich doch schon aus dem wenigen, was wir bis jetzt haben, vieles erklären und aufhellen, und oft grade was das schwerste und befrein- dendste scheint. So kann z. B. wohl nichts so viel Zweifel erregen, als wie eine Völkerschaft aus dem fruchtbarsten und gesegnetsten Erd- striche Asiens bis in den äussersten skandinavi- schen Norden hinauf habe wandern mögen; denn sie immer wieder durch andre Horden hinauf drängen zu lassen, dürfte besonders bei einem so zahlreichen Stamm, wie der der germanischen Völker war, eine Erklärung sein, wobei der Geschichtskundige sich wohl schwerlich befriedigen möchte. In der indischen Mythologie findet sich etwas, was diese Richtung nach Norden vollkommen erklären kann; es ist die Sage von dem wunderbaren Berg Meru, wo Kuvero, der Gott des Reichthums, thront. Mag nun dieser Begriff aus einer misverstandenen Ueber- lieferung, oder aus was immer für einer dunklen Naturansicht und Naturaberglauben entstanden sein; genug, diese hohe Verehrung des Nordens,
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Skondopurano, der fuͤr Geſchichte unter allen Puranas am meiſten enthalten ſoll. In- deſſen laͤßt ſich doch ſchon aus dem wenigen, was wir bis jetzt haben, vieles erklaͤren und aufhellen, und oft grade was das ſchwerſte und befrein- dendſte ſcheint. So kann z. B. wohl nichts ſo viel Zweifel erregen, als wie eine Voͤlkerſchaft aus dem fruchtbarſten und geſegnetſten Erd- ſtriche Aſiens bis in den aͤuſſerſten ſkandinavi- ſchen Norden hinauf habe wandern moͤgen; denn ſie immer wieder durch andre Horden hinauf draͤngen zu laſſen, duͤrfte beſonders bei einem ſo zahlreichen Stamm, wie der der germaniſchen Voͤlker war, eine Erklaͤrung ſein, wobei der Geſchichtskundige ſich wohl ſchwerlich befriedigen moͤchte. In der indiſchen Mythologie findet ſich etwas, was dieſe Richtung nach Norden vollkommen erklaͤren kann; es iſt die Sage von dem wunderbaren Berg Meru, wo Kuvero, der Gott des Reichthums, thront. Mag nun dieſer Begriff aus einer misverſtandenen Ueber- lieferung, oder aus was immer fuͤr einer dunklen Naturanſicht und Naturaberglauben entſtanden ſein; genug, dieſe hohe Verehrung des Nordens,
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Skondopurano, der fuͤr Geſchichte unter
allen Puranas am meiſten enthalten ſoll. In-
deſſen laͤßt ſich doch ſchon aus dem wenigen, was
wir bis jetzt haben, vieles erklaͤren und aufhellen,
und oft grade was das ſchwerſte und befrein-
dendſte ſcheint. So kann z. B. wohl nichts ſo
viel Zweifel erregen, als wie eine Voͤlkerſchaft
aus dem fruchtbarſten und geſegnetſten Erd-
ſtriche Aſiens bis in den aͤuſſerſten ſkandinavi-
ſchen Norden hinauf habe wandern moͤgen; denn
ſie immer wieder durch andre Horden hinauf
draͤngen zu laſſen, duͤrfte beſonders bei einem
ſo zahlreichen Stamm, wie der der germaniſchen
Voͤlker war, eine Erklaͤrung ſein, wobei der
Geſchichtskundige ſich wohl ſchwerlich befriedigen
moͤchte. In der indiſchen Mythologie findet
ſich etwas, was dieſe Richtung nach Norden
vollkommen erklaͤren kann; es iſt die Sage von
dem wunderbaren Berg Meru, wo Kuvero,
der Gott des Reichthums, thront. Mag nun
dieſer Begriff aus einer misverſtandenen Ueber-
lieferung, oder aus was immer fuͤr einer dunklen
Naturanſicht und Naturaberglauben entſtanden
ſein; genug, dieſe hohe Verehrung des Nordens,
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Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/212>, abgerufen am 27.11.2024.
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