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Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808.

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freilich meistens andre Gesichtspunkte haben als
die Stammverschiedenheit, mit Inbegriff aller in
der Türkei und in Deutschland zerstreuten, eher
über als unter funfzig Millionen sein dürfte,
wenn auch die der Germanen nah an vierzig an-
geschlagen werden möchte, auch ohne noch die
nicht celtisch redenden Bewohner Engellands und
die Engelländer in Nordamerika hinzu zu rechnen,
so ist keinesweges nothwendig anzunehmen, daß
der ursprüngliche Stamm das gewöhnliche Maaß
einer großen wandernden Horde überstiegen habe,
wie wir deren mehre noch ziemlich historisch genau
kennen; da ausser dem allmäligen Anwachs, der
oft vielleicht durch die Verbreitung und Zerstreuung
noch befördert ward, ganze kleinere Stämme und
Völker beim ersten Entstehen von dem herrschen-
den verschlungen und ihm einverleibt wurden.

Bedenke man nur, wie sich die lateinische
Sprache, anfangs nur dem mittlern Italien eigen,
da im Norden Celten, im Süden Griechen wohnten,
von diesem kleinen Fleck aus, fast über den ganzen
Erdkreis verbreitet hat. Noch in ihren Töchtern,
den romanischen Sprachen, herrscht sie fast in
allen Welttheilen; das Italiänische ist die Handels-

freilich meiſtens andre Geſichtspunkte haben als
die Stammverſchiedenheit, mit Inbegriff aller in
der Tuͤrkei und in Deutſchland zerſtreuten, eher
uͤber als unter funfzig Millionen ſein duͤrfte,
wenn auch die der Germanen nah an vierzig an-
geſchlagen werden moͤchte, auch ohne noch die
nicht celtiſch redenden Bewohner Engellands und
die Engellaͤnder in Nordamerika hinzu zu rechnen,
ſo iſt keinesweges nothwendig anzunehmen, daß
der urſpruͤngliche Stamm das gewoͤhnliche Maaß
einer großen wandernden Horde uͤberſtiegen habe,
wie wir deren mehre noch ziemlich hiſtoriſch genau
kennen; da auſſer dem allmaͤligen Anwachs, der
oft vielleicht durch die Verbreitung und Zerſtreuung
noch befoͤrdert ward, ganze kleinere Staͤmme und
Voͤlker beim erſten Entſtehen von dem herrſchen-
den verſchlungen und ihm einverleibt wurden.

Bedenke man nur, wie ſich die lateiniſche
Sprache, anfangs nur dem mittlern Italien eigen,
da im Norden Celten, im Suͤden Griechen wohnten,
von dieſem kleinen Fleck aus, faſt uͤber den ganzen
Erdkreis verbreitet hat. Noch in ihren Toͤchtern,
den romaniſchen Sprachen, herrſcht ſie faſt in
allen Welttheilen; das Italiaͤniſche iſt die Handels-

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[176/0195] freilich meiſtens andre Geſichtspunkte haben als die Stammverſchiedenheit, mit Inbegriff aller in der Tuͤrkei und in Deutſchland zerſtreuten, eher uͤber als unter funfzig Millionen ſein duͤrfte, wenn auch die der Germanen nah an vierzig an- geſchlagen werden moͤchte, auch ohne noch die nicht celtiſch redenden Bewohner Engellands und die Engellaͤnder in Nordamerika hinzu zu rechnen, ſo iſt keinesweges nothwendig anzunehmen, daß der urſpruͤngliche Stamm das gewoͤhnliche Maaß einer großen wandernden Horde uͤberſtiegen habe, wie wir deren mehre noch ziemlich hiſtoriſch genau kennen; da auſſer dem allmaͤligen Anwachs, der oft vielleicht durch die Verbreitung und Zerſtreuung noch befoͤrdert ward, ganze kleinere Staͤmme und Voͤlker beim erſten Entſtehen von dem herrſchen- den verſchlungen und ihm einverleibt wurden. Bedenke man nur, wie ſich die lateiniſche Sprache, anfangs nur dem mittlern Italien eigen, da im Norden Celten, im Suͤden Griechen wohnten, von dieſem kleinen Fleck aus, faſt uͤber den ganzen Erdkreis verbreitet hat. Noch in ihren Toͤchtern, den romaniſchen Sprachen, herrſcht ſie faſt in allen Welttheilen; das Italiaͤniſche iſt die Handels-

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Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/195>, abgerufen am 27.11.2024.