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Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808.

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thung zu wagen, so würde ich dafür halten, daß
die indische Poesie diesem ihren eigentlichen We-
sen nach, von der ältern griechischen so sehr ver-
schieden nicht sei; nur daß sie dasselbe, wenn ich
so sagen darf, nach einem noch größern Maaß-
stabe darbietet, indem theils die ursprünglich zum
Grunde liegende Fabel ungeheurer und wilder,
theils aber auch die spätere Milderung noch gei-
stig sanfter und lieblicher, noch sinnlich und sitt-
lich schöner ist als selbst in der Anmuth des
Pindar und Sophokles.

Der Charakter und der Ursprung auch der
bildenden Kunst bei den Indiern, Aegyptern und
ältern Griechen ist im Ganzen völlig derselbe
wie der der heroischen Poesie; und eben jene
Verbindung des riesenhaft Kühnen und des
Sanften, worin das Wesen der alten Poesie
besteht, ist auch die eigentliche Bedeutung der
plastischen Schönheit der Griechen, wenigstens
so lange als noch Spuren vom großen Styl vor-
handen, die alte Erinnerung noch nicht verlo-
schen, und der Sinn der Kunst noch nicht ver-
lohren war.


thung zu wagen, ſo wuͤrde ich dafuͤr halten, daß
die indiſche Poeſie dieſem ihren eigentlichen We-
ſen nach, von der aͤltern griechiſchen ſo ſehr ver-
ſchieden nicht ſei; nur daß ſie daſſelbe, wenn ich
ſo ſagen darf, nach einem noch groͤßern Maaß-
ſtabe darbietet, indem theils die urſpruͤnglich zum
Grunde liegende Fabel ungeheurer und wilder,
theils aber auch die ſpaͤtere Milderung noch gei-
ſtig ſanfter und lieblicher, noch ſinnlich und ſitt-
lich ſchoͤner iſt als ſelbſt in der Anmuth des
Pindar und Sophokles.

Der Charakter und der Urſprung auch der
bildenden Kunſt bei den Indiern, Aegyptern und
aͤltern Griechen iſt im Ganzen voͤllig derſelbe
wie der der heroiſchen Poeſie; und eben jene
Verbindung des rieſenhaft Kuͤhnen und des
Sanften, worin das Weſen der alten Poeſie
beſteht, iſt auch die eigentliche Bedeutung der
plaſtiſchen Schoͤnheit der Griechen, wenigſtens
ſo lange als noch Spuren vom großen Styl vor-
handen, die alte Erinnerung noch nicht verlo-
ſchen, und der Sinn der Kunſt noch nicht ver-
lohren war.


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[164/0183] thung zu wagen, ſo wuͤrde ich dafuͤr halten, daß die indiſche Poeſie dieſem ihren eigentlichen We- ſen nach, von der aͤltern griechiſchen ſo ſehr ver- ſchieden nicht ſei; nur daß ſie daſſelbe, wenn ich ſo ſagen darf, nach einem noch groͤßern Maaß- ſtabe darbietet, indem theils die urſpruͤnglich zum Grunde liegende Fabel ungeheurer und wilder, theils aber auch die ſpaͤtere Milderung noch gei- ſtig ſanfter und lieblicher, noch ſinnlich und ſitt- lich ſchoͤner iſt als ſelbſt in der Anmuth des Pindar und Sophokles. Der Charakter und der Urſprung auch der bildenden Kunſt bei den Indiern, Aegyptern und aͤltern Griechen iſt im Ganzen voͤllig derſelbe wie der der heroiſchen Poeſie; und eben jene Verbindung des rieſenhaft Kuͤhnen und des Sanften, worin das Weſen der alten Poeſie beſteht, iſt auch die eigentliche Bedeutung der plaſtiſchen Schoͤnheit der Griechen, wenigſtens ſo lange als noch Spuren vom großen Styl vor- handen, die alte Erinnerung noch nicht verlo- ſchen, und der Sinn der Kunſt noch nicht ver- lohren war.

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Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/183>, abgerufen am 24.11.2024.