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Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808.

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Sagen und Dichtungen der celtischen, römischen,
griechischen, germanischen und slavischen Mytho-
logien, und wenn auch im Einzelnen viel Dun-
kelheit bleibt, wird doch der Geist und der Gang
des Ganzen deutlicher werden. Wir haben die
Ordnung der genannten Mythologien so gestellt,
wie sie der Stufenfolge der verschiedenen Denk-
arten entsprechen mögen. In der celtischen
werden noch die bestimmtesten Spuren des älte-
sten Systems der Seelenwandrung gefunden; es
dürfte deren aber auch in der altrömischen Reli-
gion mehr gewesen sein als bei den Griechen;
in der slavischen Mythologie ist die Lehre von
den zwei Principien herrschend, und auch der
deutschen war diese und die Verehrung der
Elemente, so wie sie damit verbunden zu sein
pflegt, wohl nicht unbekannt. Die griechische
steht auch hier als die vollkommenste in der
Mitte, und dürfte unter allen am wenigsten an
einen bestimmten philosophischen Sinn gebunden,
am meisten reine Dichtung sein.

Ueber die Entstehung und das eigentliche
Wesen der Poesie verbreitet sich von hier aus
ein unerwartetes Licht. Zwar es hat dieselbe

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Sagen und Dichtungen der celtiſchen, roͤmiſchen,
griechiſchen, germaniſchen und ſlaviſchen Mytho-
logien, und wenn auch im Einzelnen viel Dun-
kelheit bleibt, wird doch der Geiſt und der Gang
des Ganzen deutlicher werden. Wir haben die
Ordnung der genannten Mythologien ſo geſtellt,
wie ſie der Stufenfolge der verſchiedenen Denk-
arten entſprechen moͤgen. In der celtiſchen
werden noch die beſtimmteſten Spuren des aͤlte-
ſten Syſtems der Seelenwandrung gefunden; es
duͤrfte deren aber auch in der altroͤmiſchen Reli-
gion mehr geweſen ſein als bei den Griechen;
in der ſlaviſchen Mythologie iſt die Lehre von
den zwei Principien herrſchend, und auch der
deutſchen war dieſe und die Verehrung der
Elemente, ſo wie ſie damit verbunden zu ſein
pflegt, wohl nicht unbekannt. Die griechiſche
ſteht auch hier als die vollkommenſte in der
Mitte, und duͤrfte unter allen am wenigſten an
einen beſtimmten philoſophiſchen Sinn gebunden,
am meiſten reine Dichtung ſein.

Ueber die Entſtehung und das eigentliche
Weſen der Poeſie verbreitet ſich von hier aus
ein unerwartetes Licht. Zwar es hat dieſelbe

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[161/0180] Sagen und Dichtungen der celtiſchen, roͤmiſchen, griechiſchen, germaniſchen und ſlaviſchen Mytho- logien, und wenn auch im Einzelnen viel Dun- kelheit bleibt, wird doch der Geiſt und der Gang des Ganzen deutlicher werden. Wir haben die Ordnung der genannten Mythologien ſo geſtellt, wie ſie der Stufenfolge der verſchiedenen Denk- arten entſprechen moͤgen. In der celtiſchen werden noch die beſtimmteſten Spuren des aͤlte- ſten Syſtems der Seelenwandrung gefunden; es duͤrfte deren aber auch in der altroͤmiſchen Reli- gion mehr geweſen ſein als bei den Griechen; in der ſlaviſchen Mythologie iſt die Lehre von den zwei Principien herrſchend, und auch der deutſchen war dieſe und die Verehrung der Elemente, ſo wie ſie damit verbunden zu ſein pflegt, wohl nicht unbekannt. Die griechiſche ſteht auch hier als die vollkommenſte in der Mitte, und duͤrfte unter allen am wenigſten an einen beſtimmten philoſophiſchen Sinn gebunden, am meiſten reine Dichtung ſein. Ueber die Entſtehung und das eigentliche Weſen der Poeſie verbreitet ſich von hier aus ein unerwartetes Licht. Zwar es hat dieſelbe 11

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Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/180>, abgerufen am 24.11.2024.