zurückführen läßt, so wird man doch nicht läug- nen können, daß es bei aller Verschiedenheit unter sehr entfernten Mythologien gewisse allge- meine Uebereinstimmungen gebe, und daß bei aller Willkühr spielender Dichtung, doch nicht alles bedeutungslos ist, vieles auf einer und denselben Sinn zurückweist; nicht blos auf die Weise, welche man gewöhnlich Allegorie nennt, sondern vorzüglich in dem Geist, in der vorherr- schenden Denkart und Richtung des Gefühls. Von diesem Gemeinschaftlichen, von dieser allem Polytheismus zum Grunde liegenden Denkart, wird sich zum Theil schon jetzt der Ursprung erklären, und wenigstens die Stelle nachweisen lassen, wo Mythologie entstanden ist, und wie ihre weitere Entwicklung dem Gange des mensch- lichen Geistes überhaupt folgte.
Die Lehre von der Emanation, d. h. von der unendlichen fortgehenden Entwicklung und Ent- faltung Gottes und der allgemeinen Beseelung, enthielt den ersten Keim des Polytheismus; in der materiellen Anbetung der Natur und dem astrologischen Aberglauben erzeugte sich die ganze Fülle der alten Fabel; gemildert, verschönert,
zuruͤckfuͤhren laͤßt, ſo wird man doch nicht laͤug- nen koͤnnen, daß es bei aller Verſchiedenheit unter ſehr entfernten Mythologien gewiſſe allge- meine Uebereinſtimmungen gebe, und daß bei aller Willkuͤhr ſpielender Dichtung, doch nicht alles bedeutungslos iſt, vieles auf einer und denſelben Sinn zuruͤckweiſt; nicht blos auf die Weiſe, welche man gewoͤhnlich Allegorie nennt, ſondern vorzuͤglich in dem Geiſt, in der vorherr- ſchenden Denkart und Richtung des Gefuͤhls. Von dieſem Gemeinſchaftlichen, von dieſer allem Polytheismus zum Grunde liegenden Denkart, wird ſich zum Theil ſchon jetzt der Urſprung erklaͤren, und wenigſtens die Stelle nachweiſen laſſen, wo Mythologie entſtanden iſt, und wie ihre weitere Entwicklung dem Gange des menſch- lichen Geiſtes uͤberhaupt folgte.
Die Lehre von der Emanation, d. h. von der unendlichen fortgehenden Entwicklung und Ent- faltung Gottes und der allgemeinen Beſeelung, enthielt den erſten Keim des Polytheismus; in der materiellen Anbetung der Natur und dem aſtrologiſchen Aberglauben erzeugte ſich die ganze Fuͤlle der alten Fabel; gemildert, verſchoͤnert,
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zuruͤckfuͤhren laͤßt, ſo wird man doch nicht laͤug-
nen koͤnnen, daß es bei aller Verſchiedenheit
unter ſehr entfernten Mythologien gewiſſe allge-
meine Uebereinſtimmungen gebe, und daß bei
aller Willkuͤhr ſpielender Dichtung, doch nicht
alles bedeutungslos iſt, vieles auf einer und
denſelben Sinn zuruͤckweiſt; nicht blos auf die
Weiſe, welche man gewoͤhnlich Allegorie nennt,
ſondern vorzuͤglich in dem Geiſt, in der vorherr-
ſchenden Denkart und Richtung des Gefuͤhls.
Von dieſem Gemeinſchaftlichen, von dieſer allem
Polytheismus zum Grunde liegenden Denkart,
wird ſich zum Theil ſchon jetzt der Urſprung
erklaͤren, und wenigſtens die Stelle nachweiſen
laſſen, wo Mythologie entſtanden iſt, und wie
ihre weitere Entwicklung dem Gange des menſch-
lichen Geiſtes uͤberhaupt folgte.
Die Lehre von der Emanation, d. h. von der
unendlichen fortgehenden Entwicklung und Ent-
faltung Gottes und der allgemeinen Beſeelung,
enthielt den erſten Keim des Polytheismus; in
der materiellen Anbetung der Natur und dem
aſtrologiſchen Aberglauben erzeugte ſich die ganze
Fuͤlle der alten Fabel; gemildert, verſchoͤnert,
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Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/178>, abgerufen am 24.11.2024.
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