Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

zurückführen läßt, so wird man doch nicht läug-
nen können, daß es bei aller Verschiedenheit
unter sehr entfernten Mythologien gewisse allge-
meine Uebereinstimmungen gebe, und daß bei
aller Willkühr spielender Dichtung, doch nicht
alles bedeutungslos ist, vieles auf einer und
denselben Sinn zurückweist; nicht blos auf die
Weise, welche man gewöhnlich Allegorie nennt,
sondern vorzüglich in dem Geist, in der vorherr-
schenden Denkart und Richtung des Gefühls.
Von diesem Gemeinschaftlichen, von dieser allem
Polytheismus zum Grunde liegenden Denkart,
wird sich zum Theil schon jetzt der Ursprung
erklären, und wenigstens die Stelle nachweisen
lassen, wo Mythologie entstanden ist, und wie
ihre weitere Entwicklung dem Gange des mensch-
lichen Geistes überhaupt folgte.

Die Lehre von der Emanation, d. h. von der
unendlichen fortgehenden Entwicklung und Ent-
faltung Gottes und der allgemeinen Beseelung,
enthielt den ersten Keim des Polytheismus; in
der materiellen Anbetung der Natur und dem
astrologischen Aberglauben erzeugte sich die ganze
Fülle der alten Fabel; gemildert, verschönert,

zuruͤckfuͤhren laͤßt, ſo wird man doch nicht laͤug-
nen koͤnnen, daß es bei aller Verſchiedenheit
unter ſehr entfernten Mythologien gewiſſe allge-
meine Uebereinſtimmungen gebe, und daß bei
aller Willkuͤhr ſpielender Dichtung, doch nicht
alles bedeutungslos iſt, vieles auf einer und
denſelben Sinn zuruͤckweiſt; nicht blos auf die
Weiſe, welche man gewoͤhnlich Allegorie nennt,
ſondern vorzuͤglich in dem Geiſt, in der vorherr-
ſchenden Denkart und Richtung des Gefuͤhls.
Von dieſem Gemeinſchaftlichen, von dieſer allem
Polytheismus zum Grunde liegenden Denkart,
wird ſich zum Theil ſchon jetzt der Urſprung
erklaͤren, und wenigſtens die Stelle nachweiſen
laſſen, wo Mythologie entſtanden iſt, und wie
ihre weitere Entwicklung dem Gange des menſch-
lichen Geiſtes uͤberhaupt folgte.

Die Lehre von der Emanation, d. h. von der
unendlichen fortgehenden Entwicklung und Ent-
faltung Gottes und der allgemeinen Beſeelung,
enthielt den erſten Keim des Polytheismus; in
der materiellen Anbetung der Natur und dem
aſtrologiſchen Aberglauben erzeugte ſich die ganze
Fuͤlle der alten Fabel; gemildert, verſchoͤnert,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0178" n="159"/>
zuru&#x0364;ckfu&#x0364;hren la&#x0364;ßt, &#x017F;o wird man doch nicht la&#x0364;ug-<lb/>
nen ko&#x0364;nnen, daß es bei aller Ver&#x017F;chiedenheit<lb/>
unter &#x017F;ehr entfernten Mythologien gewi&#x017F;&#x017F;e allge-<lb/>
meine Ueberein&#x017F;timmungen gebe, und daß bei<lb/>
aller Willku&#x0364;hr &#x017F;pielender Dichtung, doch nicht<lb/>
alles bedeutungslos i&#x017F;t, vieles auf einer und<lb/>
den&#x017F;elben Sinn zuru&#x0364;ckwei&#x017F;t; nicht blos auf die<lb/>
Wei&#x017F;e, welche man gewo&#x0364;hnlich Allegorie nennt,<lb/>
&#x017F;ondern vorzu&#x0364;glich in dem Gei&#x017F;t, in der vorherr-<lb/>
&#x017F;chenden Denkart und Richtung des Gefu&#x0364;hls.<lb/>
Von die&#x017F;em Gemein&#x017F;chaftlichen, von die&#x017F;er allem<lb/>
Polytheismus zum Grunde liegenden Denkart,<lb/>
wird &#x017F;ich zum Theil &#x017F;chon jetzt der Ur&#x017F;prung<lb/>
erkla&#x0364;ren, und wenig&#x017F;tens die Stelle nachwei&#x017F;en<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, wo Mythologie ent&#x017F;tanden i&#x017F;t, und wie<lb/>
ihre weitere Entwicklung dem Gange des men&#x017F;ch-<lb/>
lichen Gei&#x017F;tes u&#x0364;berhaupt folgte.</p><lb/>
          <p>Die Lehre von der Emanation, d. h. von der<lb/>
unendlichen fortgehenden Entwicklung und Ent-<lb/>
faltung Gottes und der allgemeinen Be&#x017F;eelung,<lb/>
enthielt den er&#x017F;ten Keim des Polytheismus; in<lb/>
der materiellen Anbetung der Natur und dem<lb/>
a&#x017F;trologi&#x017F;chen Aberglauben erzeugte &#x017F;ich die ganze<lb/>
Fu&#x0364;lle der alten Fabel; gemildert, ver&#x017F;cho&#x0364;nert,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[159/0178] zuruͤckfuͤhren laͤßt, ſo wird man doch nicht laͤug- nen koͤnnen, daß es bei aller Verſchiedenheit unter ſehr entfernten Mythologien gewiſſe allge- meine Uebereinſtimmungen gebe, und daß bei aller Willkuͤhr ſpielender Dichtung, doch nicht alles bedeutungslos iſt, vieles auf einer und denſelben Sinn zuruͤckweiſt; nicht blos auf die Weiſe, welche man gewoͤhnlich Allegorie nennt, ſondern vorzuͤglich in dem Geiſt, in der vorherr- ſchenden Denkart und Richtung des Gefuͤhls. Von dieſem Gemeinſchaftlichen, von dieſer allem Polytheismus zum Grunde liegenden Denkart, wird ſich zum Theil ſchon jetzt der Urſprung erklaͤren, und wenigſtens die Stelle nachweiſen laſſen, wo Mythologie entſtanden iſt, und wie ihre weitere Entwicklung dem Gange des menſch- lichen Geiſtes uͤberhaupt folgte. Die Lehre von der Emanation, d. h. von der unendlichen fortgehenden Entwicklung und Ent- faltung Gottes und der allgemeinen Beſeelung, enthielt den erſten Keim des Polytheismus; in der materiellen Anbetung der Natur und dem aſtrologiſchen Aberglauben erzeugte ſich die ganze Fuͤlle der alten Fabel; gemildert, verſchoͤnert,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/178
Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/178>, abgerufen am 24.11.2024.