Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

wohin die Lehre, daß Alles Eins sey, so natür-
lich führt; denn, wenn vor dem bloß abstracten
und negativen Begriff des Unendlichen alles an-
dre erst vernichtet und verschwunden ist, so ent-
flieht er zuletzt selbst, und löst sich in Nichts
auf, weil er ursprünglich leer und ohne Inhalt
war.

Es darf auch nicht befremden, daß wir diese
Philosophie unter allen orientalischen als die
jüngste betrachten. Die historischen Beweise dafür
werden unten angeführt werden; hier bemerken wir
nur, daß das lebendige tiefe Gefühl des Unend-
lichen und seiner Fülle der Allmacht, schon sehr
geschwächt und verdunstet sein muß, ehe es sich
in diesen vom Nichts schwer zu unterscheidenden
Schatten und Scheinbegriff des Einen und Allen
auflösen kann. Alle andre orientalische Lehrbe-
griffe gründen und berufen sich noch auf göttli-
che Wunder und Offenbarung, so entstellt auch
alles durch Fabel und Irrthum sein mag. Der
Pantheismus ist das System der reinen Ver-
nunft, und insofern macht er schon den Ueber-
gang von der orientalischen Philosophie zur euro-
päischen. Er schmeichelt dem Eigendünkel des

wohin die Lehre, daß Alles Eins ſey, ſo natuͤr-
lich fuͤhrt; denn, wenn vor dem bloß abſtracten
und negativen Begriff des Unendlichen alles an-
dre erſt vernichtet und verſchwunden iſt, ſo ent-
flieht er zuletzt ſelbſt, und loͤst ſich in Nichts
auf, weil er urſpruͤnglich leer und ohne Inhalt
war.

Es darf auch nicht befremden, daß wir dieſe
Philoſophie unter allen orientaliſchen als die
juͤngſte betrachten. Die hiſtoriſchen Beweiſe dafuͤr
werden unten angefuͤhrt werden; hier bemerken wir
nur, daß das lebendige tiefe Gefuͤhl des Unend-
lichen und ſeiner Fuͤlle der Allmacht, ſchon ſehr
geſchwaͤcht und verdunſtet ſein muß, ehe es ſich
in dieſen vom Nichts ſchwer zu unterſcheidenden
Schatten und Scheinbegriff des Einen und Allen
aufloͤſen kann. Alle andre orientaliſche Lehrbe-
griffe gruͤnden und berufen ſich noch auf goͤttli-
che Wunder und Offenbarung, ſo entſtellt auch
alles durch Fabel und Irrthum ſein mag. Der
Pantheismus iſt das Syſtem der reinen Ver-
nunft, und inſofern macht er ſchon den Ueber-
gang von der orientaliſchen Philoſophie zur euro-
paͤiſchen. Er ſchmeichelt dem Eigenduͤnkel des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0160" n="141"/>
wohin die Lehre, daß Alles Eins &#x017F;ey, &#x017F;o natu&#x0364;r-<lb/>
lich fu&#x0364;hrt; denn, wenn vor dem bloß ab&#x017F;tracten<lb/>
und negativen Begriff des Unendlichen alles an-<lb/>
dre er&#x017F;t vernichtet und ver&#x017F;chwunden i&#x017F;t, &#x017F;o ent-<lb/>
flieht er zuletzt &#x017F;elb&#x017F;t, und lo&#x0364;st &#x017F;ich in Nichts<lb/>
auf, weil er ur&#x017F;pru&#x0364;nglich leer und ohne Inhalt<lb/>
war.</p><lb/>
          <p>Es darf auch nicht befremden, daß wir die&#x017F;e<lb/>
Philo&#x017F;ophie unter allen orientali&#x017F;chen als die<lb/>
ju&#x0364;ng&#x017F;te betrachten. Die hi&#x017F;tori&#x017F;chen Bewei&#x017F;e dafu&#x0364;r<lb/>
werden unten angefu&#x0364;hrt werden; hier bemerken wir<lb/>
nur, daß das lebendige tiefe Gefu&#x0364;hl des Unend-<lb/>
lichen und &#x017F;einer Fu&#x0364;lle der Allmacht, &#x017F;chon &#x017F;ehr<lb/>
ge&#x017F;chwa&#x0364;cht und verdun&#x017F;tet &#x017F;ein muß, ehe es &#x017F;ich<lb/>
in die&#x017F;en vom Nichts &#x017F;chwer zu unter&#x017F;cheidenden<lb/>
Schatten und Scheinbegriff des Einen und Allen<lb/>
auflo&#x0364;&#x017F;en kann. Alle andre orientali&#x017F;che Lehrbe-<lb/>
griffe gru&#x0364;nden und berufen &#x017F;ich noch auf go&#x0364;ttli-<lb/>
che Wunder und Offenbarung, &#x017F;o ent&#x017F;tellt auch<lb/>
alles durch Fabel und Irrthum &#x017F;ein mag. Der<lb/>
Pantheismus i&#x017F;t das Sy&#x017F;tem der reinen Ver-<lb/>
nunft, und in&#x017F;ofern macht er &#x017F;chon den Ueber-<lb/>
gang von der orientali&#x017F;chen Philo&#x017F;ophie zur euro-<lb/>
pa&#x0364;i&#x017F;chen. Er &#x017F;chmeichelt dem Eigendu&#x0364;nkel des<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[141/0160] wohin die Lehre, daß Alles Eins ſey, ſo natuͤr- lich fuͤhrt; denn, wenn vor dem bloß abſtracten und negativen Begriff des Unendlichen alles an- dre erſt vernichtet und verſchwunden iſt, ſo ent- flieht er zuletzt ſelbſt, und loͤst ſich in Nichts auf, weil er urſpruͤnglich leer und ohne Inhalt war. Es darf auch nicht befremden, daß wir dieſe Philoſophie unter allen orientaliſchen als die juͤngſte betrachten. Die hiſtoriſchen Beweiſe dafuͤr werden unten angefuͤhrt werden; hier bemerken wir nur, daß das lebendige tiefe Gefuͤhl des Unend- lichen und ſeiner Fuͤlle der Allmacht, ſchon ſehr geſchwaͤcht und verdunſtet ſein muß, ehe es ſich in dieſen vom Nichts ſchwer zu unterſcheidenden Schatten und Scheinbegriff des Einen und Allen aufloͤſen kann. Alle andre orientaliſche Lehrbe- griffe gruͤnden und berufen ſich noch auf goͤttli- che Wunder und Offenbarung, ſo entſtellt auch alles durch Fabel und Irrthum ſein mag. Der Pantheismus iſt das Syſtem der reinen Ver- nunft, und inſofern macht er ſchon den Ueber- gang von der orientaliſchen Philoſophie zur euro- paͤiſchen. Er ſchmeichelt dem Eigenduͤnkel des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/160
Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/160>, abgerufen am 22.11.2024.