Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, Johann Elias: Canut. Kopenhagen, 1746.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorbericht.
mitten auf der Brücke war. Er stellte sich sodann,
als ob er diejenigen, die ans Land kämen, angreiffen
wollte und verursachte dadurch unter den Dänischen
Völkern eine solche Eilfertigkeit und ein solches Ge-
dränge auf der Brücke, daß dieselbe zerbrach, und fast
das ganze Kriegsvolk ersauffen mußte. Da sich
unterdessen der König herannahte, sah sich Ulfo nicht
mehr sicher, und beschloß, seine Flotte zu verlassen. Er
verrichtete dieses des Nachts durch Hülfe der Boote,
mit denen er seine Völker an Land setzte, und in Si-
cherheit brachte, und die Dänen, welche des andern
Tages seine Flotte angreiffen wollten, fanden nichts
als leere Schiffe.

Nachdem hierauf Estrithe den Ulfo wieder bey
ihrem Bruder ausgesöhnet hatte, so that sich Ulfo
noch immer auf diesen erhaltnen Sieg so viel zu gu-
te, daß er ihn bey allen Gelegenheiten rühmte. Er
that dieses zumal auf eine so trotzige und beleidigende
Art, daß Canut ihm endlich das Leben deswegen neh-
men ließ, wie wohl ihn diese That sehr betrübte, und er
sie durch Wohlthaten gegen seine Schwester auf alle
Art und Weise wieder gut zu machen suchte.

Es erzählet Torfäus ganz andre Umstände der
Sache, denen ich gefolgt seyn würde, wenn ich
eine Geschichte und nicht ein Trauerspiel schreiben
wollen. Jch habe diejenigen Umstände gewählet,
die mir am beqvemsten geschienen, Caraktere ins Licht
zu setzen und Gemüthsbewegungen zu erwecken, und
dieses mit einer Freyheit, die schon längstens in Ge-
dichten vergönnet gewesen. Jch habe Umstände dazu
erdichtet, wie ich für dienlich erachtet, und andre wie-
derum verändert, weil sie ohne weitläuftige Erklärung

unwahr

Vorbericht.
mitten auf der Bruͤcke war. Er ſtellte ſich ſodann,
als ob er diejenigen, die ans Land kaͤmen, angreiffen
wollte und verurſachte dadurch unter den Daͤniſchen
Voͤlkern eine ſolche Eilfertigkeit und ein ſolches Ge-
draͤnge auf der Bruͤcke, daß dieſelbe zerbrach, und faſt
das ganze Kriegsvolk erſauffen mußte. Da ſich
unterdeſſen der Koͤnig herannahte, ſah ſich Ulfo nicht
mehr ſicher, und beſchloß, ſeine Flotte zu verlaſſen. Er
verrichtete dieſes des Nachts durch Huͤlfe der Boote,
mit denen er ſeine Voͤlker an Land ſetzte, und in Si-
cherheit brachte, und die Daͤnen, welche des andern
Tages ſeine Flotte angreiffen wollten, fanden nichts
als leere Schiffe.

Nachdem hierauf Eſtrithe den Ulfo wieder bey
ihrem Bruder ausgeſoͤhnet hatte, ſo that ſich Ulfo
noch immer auf dieſen erhaltnen Sieg ſo viel zu gu-
te, daß er ihn bey allen Gelegenheiten ruͤhmte. Er
that dieſes zumal auf eine ſo trotzige und beleidigende
Art, daß Canut ihm endlich das Leben deswegen neh-
men ließ, wie wohl ihn dieſe That ſehr betruͤbte, und er
ſie durch Wohlthaten gegen ſeine Schweſter auf alle
Art und Weiſe wieder gut zu machen ſuchte.

Es erzaͤhlet Torfaͤus ganz andre Umſtaͤnde der
Sache, denen ich gefolgt ſeyn wuͤrde, wenn ich
eine Geſchichte und nicht ein Trauerſpiel ſchreiben
wollen. Jch habe diejenigen Umſtaͤnde gewaͤhlet,
die mir am beqvemſten geſchienen, Caraktere ins Licht
zu ſetzen und Gemuͤthsbewegungen zu erwecken, und
dieſes mit einer Freyheit, die ſchon laͤngſtens in Ge-
dichten vergoͤnnet geweſen. Jch habe Umſtaͤnde dazu
erdichtet, wie ich fuͤr dienlich erachtet, und andre wie-
derum veraͤndert, weil ſie ohne weitlaͤuftige Erklaͤrung

unwahr
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0012"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vorbericht.</hi></fw><lb/>
mitten auf der Bru&#x0364;cke war. Er &#x017F;tellte &#x017F;ich &#x017F;odann,<lb/>
als ob er diejenigen, die ans Land ka&#x0364;men, angreiffen<lb/>
wollte und verur&#x017F;achte dadurch unter den Da&#x0364;ni&#x017F;chen<lb/>
Vo&#x0364;lkern eine &#x017F;olche Eilfertigkeit und ein &#x017F;olches Ge-<lb/>
dra&#x0364;nge auf der Bru&#x0364;cke, daß die&#x017F;elbe zerbrach, und fa&#x017F;t<lb/>
das ganze Kriegsvolk er&#x017F;auffen mußte. Da &#x017F;ich<lb/>
unterde&#x017F;&#x017F;en der Ko&#x0364;nig herannahte, &#x017F;ah &#x017F;ich Ulfo nicht<lb/>
mehr &#x017F;icher, und be&#x017F;chloß, &#x017F;eine Flotte zu verla&#x017F;&#x017F;en. Er<lb/>
verrichtete die&#x017F;es des Nachts durch Hu&#x0364;lfe der Boote,<lb/>
mit denen er &#x017F;eine Vo&#x0364;lker an Land &#x017F;etzte, und in Si-<lb/>
cherheit brachte, und die Da&#x0364;nen, welche des andern<lb/>
Tages &#x017F;eine Flotte angreiffen wollten, fanden nichts<lb/>
als leere Schiffe.</p><lb/>
        <p>Nachdem hierauf E&#x017F;trithe den Ulfo wieder bey<lb/>
ihrem Bruder ausge&#x017F;o&#x0364;hnet hatte, &#x017F;o that &#x017F;ich Ulfo<lb/>
noch immer auf die&#x017F;en erhaltnen Sieg &#x017F;o viel zu gu-<lb/>
te, daß er ihn bey allen Gelegenheiten ru&#x0364;hmte. Er<lb/>
that die&#x017F;es zumal auf eine &#x017F;o trotzige und beleidigende<lb/>
Art, daß Canut ihm endlich das Leben deswegen neh-<lb/>
men ließ, wie wohl ihn die&#x017F;e That &#x017F;ehr betru&#x0364;bte, und er<lb/>
&#x017F;ie durch Wohlthaten gegen &#x017F;eine Schwe&#x017F;ter auf alle<lb/>
Art und Wei&#x017F;e wieder gut zu machen &#x017F;uchte.</p><lb/>
        <p>Es erza&#x0364;hlet Torfa&#x0364;us ganz andre Um&#x017F;ta&#x0364;nde der<lb/>
Sache, denen ich gefolgt &#x017F;eyn wu&#x0364;rde, wenn ich<lb/>
eine Ge&#x017F;chichte und nicht ein Trauer&#x017F;piel &#x017F;chreiben<lb/>
wollen. Jch habe diejenigen Um&#x017F;ta&#x0364;nde gewa&#x0364;hlet,<lb/>
die mir am beqvem&#x017F;ten ge&#x017F;chienen, Caraktere ins Licht<lb/>
zu &#x017F;etzen und Gemu&#x0364;thsbewegungen zu erwecken, und<lb/>
die&#x017F;es mit einer Freyheit, die &#x017F;chon la&#x0364;ng&#x017F;tens in Ge-<lb/>
dichten vergo&#x0364;nnet gewe&#x017F;en. Jch habe Um&#x017F;ta&#x0364;nde dazu<lb/>
erdichtet, wie ich fu&#x0364;r dienlich erachtet, und andre wie-<lb/>
derum vera&#x0364;ndert, weil &#x017F;ie ohne weitla&#x0364;uftige Erkla&#x0364;rung<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">unwahr</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0012] Vorbericht. mitten auf der Bruͤcke war. Er ſtellte ſich ſodann, als ob er diejenigen, die ans Land kaͤmen, angreiffen wollte und verurſachte dadurch unter den Daͤniſchen Voͤlkern eine ſolche Eilfertigkeit und ein ſolches Ge- draͤnge auf der Bruͤcke, daß dieſelbe zerbrach, und faſt das ganze Kriegsvolk erſauffen mußte. Da ſich unterdeſſen der Koͤnig herannahte, ſah ſich Ulfo nicht mehr ſicher, und beſchloß, ſeine Flotte zu verlaſſen. Er verrichtete dieſes des Nachts durch Huͤlfe der Boote, mit denen er ſeine Voͤlker an Land ſetzte, und in Si- cherheit brachte, und die Daͤnen, welche des andern Tages ſeine Flotte angreiffen wollten, fanden nichts als leere Schiffe. Nachdem hierauf Eſtrithe den Ulfo wieder bey ihrem Bruder ausgeſoͤhnet hatte, ſo that ſich Ulfo noch immer auf dieſen erhaltnen Sieg ſo viel zu gu- te, daß er ihn bey allen Gelegenheiten ruͤhmte. Er that dieſes zumal auf eine ſo trotzige und beleidigende Art, daß Canut ihm endlich das Leben deswegen neh- men ließ, wie wohl ihn dieſe That ſehr betruͤbte, und er ſie durch Wohlthaten gegen ſeine Schweſter auf alle Art und Weiſe wieder gut zu machen ſuchte. Es erzaͤhlet Torfaͤus ganz andre Umſtaͤnde der Sache, denen ich gefolgt ſeyn wuͤrde, wenn ich eine Geſchichte und nicht ein Trauerſpiel ſchreiben wollen. Jch habe diejenigen Umſtaͤnde gewaͤhlet, die mir am beqvemſten geſchienen, Caraktere ins Licht zu ſetzen und Gemuͤthsbewegungen zu erwecken, und dieſes mit einer Freyheit, die ſchon laͤngſtens in Ge- dichten vergoͤnnet geweſen. Jch habe Umſtaͤnde dazu erdichtet, wie ich fuͤr dienlich erachtet, und andre wie- derum veraͤndert, weil ſie ohne weitlaͤuftige Erklaͤrung unwahr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_canut_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_canut_1746/12
Zitationshilfe: Schlegel, Johann Elias: Canut. Kopenhagen, 1746, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_canut_1746/12>, abgerufen am 27.11.2024.