Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.Zusammenhang aller dieser falschen Tendenzen, die so schön übereinstimmen, eine die andre ergänzen und sich freundschaftlich auf halbem Wege entgegenkommen, sey eben so merkwürdig und lehrreich als unterhaltend und grotesk. Er wünschte sich nur Verse machen zu können, denn in einem komischen Gedicht müßte sich, was er meyne, eigentlich erst recht machen. Er wollte noch mehr davon sagen, aber die Frauen unterbrachen ihn und forderten den Andrea auf, daß er anfangen möchte; sonst wäre des Vorredens kein Ende. Nachher könnten sie ja desto mehr reden und streiten. Andrea schlug die Rolle auf und las. Epochen der Dichtkunst
Wo irgend lebendiger Geist in einem gebildeten Buchstaben gebunden erscheint, da ist Kunst, da ist Absonderung, Stoff zu überwinden, Werkzeuge zu gebrauchen, ein Entwurf und Gesetze der Behandlung. Darum sehn wir die Meister der Poesie sich mächtig bestreben, sie auf das vielseitigste zu bilden. Sie ist eine Kunst, und wo sie es noch nicht war, soll sie es werden, und wenn sie es wurde, erregt sie gewiß in denen die sie wahrhaft lieben, eine starke Sehnsucht, sie zu erkennen, die Absicht des Meisters zu verstehen, die Natur des Werks zu begreifen, den Ursprung der Schule, den Gang der Ausbildung zu erfahren. Die Kunst ruht auf dem Wissen, und die Wissenschaft der Kunst ruht auf dem Wissen, und die Wissenschaft der Kunst ist ihre Geschichte. Zusammenhang aller dieser falschen Tendenzen, die so schoͤn uͤbereinstimmen, eine die andre ergaͤnzen und sich freundschaftlich auf halbem Wege entgegenkommen, sey eben so merkwuͤrdig und lehrreich als unterhaltend und grotesk. Er wuͤnschte sich nur Verse machen zu koͤnnen, denn in einem komischen Gedicht muͤßte sich, was er meyne, eigentlich erst recht machen. Er wollte noch mehr davon sagen, aber die Frauen unterbrachen ihn und forderten den Andrea auf, daß er anfangen moͤchte; sonst waͤre des Vorredens kein Ende. Nachher koͤnnten sie ja desto mehr reden und streiten. Andrea schlug die Rolle auf und las. Epochen der Dichtkunst
Wo irgend lebendiger Geist in einem gebildeten Buchstaben gebunden erscheint, da ist Kunst, da ist Absonderung, Stoff zu uͤberwinden, Werkzeuge zu gebrauchen, ein Entwurf und Gesetze der Behandlung. Darum sehn wir die Meister der Poesie sich maͤchtig bestreben, sie auf das vielseitigste zu bilden. Sie ist eine Kunst, und wo sie es noch nicht war, soll sie es werden, und wenn sie es wurde, erregt sie gewiß in denen die sie wahrhaft lieben, eine starke Sehnsucht, sie zu erkennen, die Absicht des Meisters zu verstehen, die Natur des Werks zu begreifen, den Ursprung der Schule, den Gang der Ausbildung zu erfahren. Die Kunst ruht auf dem Wissen, und die Wissenschaft der Kunst ruht auf dem Wissen, und die Wissenschaft der Kunst ist ihre Geschichte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0075" n="67"/> Zusammenhang aller dieser falschen Tendenzen, die so schoͤn uͤbereinstimmen, eine die andre ergaͤnzen und sich freundschaftlich auf halbem Wege entgegenkommen, sey eben so merkwuͤrdig und lehrreich als unterhaltend und grotesk. Er wuͤnschte sich nur Verse machen zu koͤnnen, denn in einem komischen Gedicht muͤßte sich, was er meyne, eigentlich erst recht machen. Er wollte noch mehr davon sagen, aber die Frauen unterbrachen ihn und forderten den Andrea auf, daß er anfangen moͤchte; sonst waͤre des Vorredens kein Ende. Nachher koͤnnten sie ja desto mehr reden und streiten. Andrea schlug die Rolle auf und las.</p><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#g">Epochen der Dichtkunst</hi> </head><lb/> <milestone unit="section" rendition="#hr"/><lb/> <p>Wo irgend lebendiger Geist in einem gebildeten Buchstaben gebunden erscheint, da ist Kunst, da ist Absonderung, Stoff zu uͤberwinden, Werkzeuge zu gebrauchen, ein Entwurf und Gesetze der Behandlung. Darum sehn wir die Meister der Poesie sich maͤchtig bestreben, sie auf das vielseitigste zu bilden. Sie ist eine Kunst, und wo sie es noch nicht war, soll sie es werden, und wenn sie es wurde, erregt sie gewiß in denen die sie wahrhaft lieben, eine starke Sehnsucht, sie zu erkennen, die Absicht des Meisters zu verstehen, die Natur des Werks zu begreifen, den Ursprung der Schule, den Gang der Ausbildung zu erfahren. Die Kunst ruht auf dem Wissen, und die Wissenschaft der Kunst ruht auf dem Wissen, und die Wissenschaft der Kunst ist ihre Geschichte.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [67/0075]
Zusammenhang aller dieser falschen Tendenzen, die so schoͤn uͤbereinstimmen, eine die andre ergaͤnzen und sich freundschaftlich auf halbem Wege entgegenkommen, sey eben so merkwuͤrdig und lehrreich als unterhaltend und grotesk. Er wuͤnschte sich nur Verse machen zu koͤnnen, denn in einem komischen Gedicht muͤßte sich, was er meyne, eigentlich erst recht machen. Er wollte noch mehr davon sagen, aber die Frauen unterbrachen ihn und forderten den Andrea auf, daß er anfangen moͤchte; sonst waͤre des Vorredens kein Ende. Nachher koͤnnten sie ja desto mehr reden und streiten. Andrea schlug die Rolle auf und las.
Epochen der Dichtkunst
Wo irgend lebendiger Geist in einem gebildeten Buchstaben gebunden erscheint, da ist Kunst, da ist Absonderung, Stoff zu uͤberwinden, Werkzeuge zu gebrauchen, ein Entwurf und Gesetze der Behandlung. Darum sehn wir die Meister der Poesie sich maͤchtig bestreben, sie auf das vielseitigste zu bilden. Sie ist eine Kunst, und wo sie es noch nicht war, soll sie es werden, und wenn sie es wurde, erregt sie gewiß in denen die sie wahrhaft lieben, eine starke Sehnsucht, sie zu erkennen, die Absicht des Meisters zu verstehen, die Natur des Werks zu begreifen, den Ursprung der Schule, den Gang der Ausbildung zu erfahren. Die Kunst ruht auf dem Wissen, und die Wissenschaft der Kunst ruht auf dem Wissen, und die Wissenschaft der Kunst ist ihre Geschichte.
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/75>, abgerufen am 03.03.2025. |