Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

Wunderbare verbietet, nämlich weil jene durch die unmittelbare Darstellung bestimmt sey als wirklich zu erscheinen, darf in der reinen Komödie das Wunderbarste und Wunderlichste, ja das in sich Widersprechende und Unmögliche dem Zuschauer vor die Augen gerückt werden. Der Komiker muß überall durch die That die unbeschränkte Willkühr erklären, womit er befugt und gesonnen ist, sich über die bestehenden Ordnungen hinauszusetzen; durch die nahe Gegenwart gewinnen seine Erdichtungen einen ungleich dreisteren Charakter, und so entsteht jene unvergleichliche Tollheit der Freude und des Witzes, gegen welche die kühnsten Wagstücke des Erzählers nur nüchtern und beschränkt herauskommen.

Welchen gewaltigen Schritt vorwärts hätte die Französische Poesie gethan, wenn einer ihrer Dichter seinen Landsleuten die Möglichkeit einleuchtend zu machen wüßte, einen solchen fantastischen und durchaus komischen Stoff, ich will nicht sagen auf die Bühne zu bringen, (dazu würde die Freyheit der politischen Komödie der Athener erfordert, die in Frankreich aus bekannten Gründen noch in langen Zeiten nicht, oder vielleicht nie zu erwarten ist) aber doch für die Lesung in Form eines Schauspiels zu behandeln. Ein Dichter, der sich mit seinem Spott in das religiöse Heiligthum wagt, sollte billig nicht bange seyn für einen Ketzer in der Poetik zu gelten, noch an Vorurtheilen conventioneller Theorie hängen. Allein die dialogisirten Stellen beweisen zur Genüge, daß Parny dieser höheren Lösung der Aufgabe keinesweges

Wunderbare verbietet, naͤmlich weil jene durch die unmittelbare Darstellung bestimmt sey als wirklich zu erscheinen, darf in der reinen Komoͤdie das Wunderbarste und Wunderlichste, ja das in sich Widersprechende und Unmoͤgliche dem Zuschauer vor die Augen geruͤckt werden. Der Komiker muß uͤberall durch die That die unbeschraͤnkte Willkuͤhr erklaͤren, womit er befugt und gesonnen ist, sich uͤber die bestehenden Ordnungen hinauszusetzen; durch die nahe Gegenwart gewinnen seine Erdichtungen einen ungleich dreisteren Charakter, und so entsteht jene unvergleichliche Tollheit der Freude und des Witzes, gegen welche die kuͤhnsten Wagstuͤcke des Erzaͤhlers nur nuͤchtern und beschraͤnkt herauskommen.

Welchen gewaltigen Schritt vorwaͤrts haͤtte die Franzoͤsische Poesie gethan, wenn einer ihrer Dichter seinen Landsleuten die Moͤglichkeit einleuchtend zu machen wuͤßte, einen solchen fantastischen und durchaus komischen Stoff, ich will nicht sagen auf die Buͤhne zu bringen, (dazu wuͤrde die Freyheit der politischen Komoͤdie der Athener erfordert, die in Frankreich aus bekannten Gruͤnden noch in langen Zeiten nicht, oder vielleicht nie zu erwarten ist) aber doch fuͤr die Lesung in Form eines Schauspiels zu behandeln. Ein Dichter, der sich mit seinem Spott in das religioͤse Heiligthum wagt, sollte billig nicht bange seyn fuͤr einen Ketzer in der Poetik zu gelten, noch an Vorurtheilen conventioneller Theorie haͤngen. Allein die dialogisirten Stellen beweisen zur Genuͤge, daß Parny dieser hoͤheren Loͤsung der Aufgabe keinesweges

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0270" n="258"/>

 Wunderbare verbietet, na&#x0364;mlich weil jene durch die unmittelbare Darstellung bestimmt sey als wirklich zu erscheinen, darf in der reinen Komo&#x0364;die das Wunderbarste und Wunderlichste, ja das in sich Widersprechende und Unmo&#x0364;gliche dem Zuschauer vor die Augen geru&#x0364;ckt werden. Der Komiker muß u&#x0364;berall durch die That die unbeschra&#x0364;nkte Willku&#x0364;hr erkla&#x0364;ren, womit er befugt und gesonnen ist, sich u&#x0364;ber die bestehenden Ordnungen hinauszusetzen; durch die nahe Gegenwart gewinnen seine Erdichtungen einen ungleich dreisteren Charakter, und so entsteht jene unvergleichliche Tollheit der Freude und des Witzes, gegen welche die ku&#x0364;hnsten Wagstu&#x0364;cke des Erza&#x0364;hlers nur nu&#x0364;chtern und beschra&#x0364;nkt herauskommen.</p><lb/>
            <p>Welchen gewaltigen Schritt vorwa&#x0364;rts ha&#x0364;tte die Franzo&#x0364;sische Poesie gethan, wenn einer ihrer Dichter seinen Landsleuten die Mo&#x0364;glichkeit einleuchtend zu machen wu&#x0364;ßte, einen solchen fantastischen und durchaus komischen Stoff, ich will nicht sagen auf die Bu&#x0364;hne zu bringen, (dazu wu&#x0364;rde die Freyheit der politischen Komo&#x0364;die der Athener erfordert, die in Frankreich aus bekannten Gru&#x0364;nden noch in langen Zeiten nicht, oder vielleicht nie zu erwarten ist) aber doch fu&#x0364;r die Lesung in Form eines Schauspiels zu behandeln. Ein Dichter, der sich mit seinem Spott in das religio&#x0364;se Heiligthum wagt, sollte billig nicht bange seyn fu&#x0364;r einen Ketzer in der Poetik zu gelten, noch an Vorurtheilen conventioneller Theorie ha&#x0364;ngen. Allein die dialogisirten Stellen beweisen zur Genu&#x0364;ge, daß Parny dieser ho&#x0364;heren Lo&#x0364;sung der Aufgabe keinesweges
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[258/0270] Wunderbare verbietet, naͤmlich weil jene durch die unmittelbare Darstellung bestimmt sey als wirklich zu erscheinen, darf in der reinen Komoͤdie das Wunderbarste und Wunderlichste, ja das in sich Widersprechende und Unmoͤgliche dem Zuschauer vor die Augen geruͤckt werden. Der Komiker muß uͤberall durch die That die unbeschraͤnkte Willkuͤhr erklaͤren, womit er befugt und gesonnen ist, sich uͤber die bestehenden Ordnungen hinauszusetzen; durch die nahe Gegenwart gewinnen seine Erdichtungen einen ungleich dreisteren Charakter, und so entsteht jene unvergleichliche Tollheit der Freude und des Witzes, gegen welche die kuͤhnsten Wagstuͤcke des Erzaͤhlers nur nuͤchtern und beschraͤnkt herauskommen. Welchen gewaltigen Schritt vorwaͤrts haͤtte die Franzoͤsische Poesie gethan, wenn einer ihrer Dichter seinen Landsleuten die Moͤglichkeit einleuchtend zu machen wuͤßte, einen solchen fantastischen und durchaus komischen Stoff, ich will nicht sagen auf die Buͤhne zu bringen, (dazu wuͤrde die Freyheit der politischen Komoͤdie der Athener erfordert, die in Frankreich aus bekannten Gruͤnden noch in langen Zeiten nicht, oder vielleicht nie zu erwarten ist) aber doch fuͤr die Lesung in Form eines Schauspiels zu behandeln. Ein Dichter, der sich mit seinem Spott in das religioͤse Heiligthum wagt, sollte billig nicht bange seyn fuͤr einen Ketzer in der Poetik zu gelten, noch an Vorurtheilen conventioneller Theorie haͤngen. Allein die dialogisirten Stellen beweisen zur Genuͤge, daß Parny dieser hoͤheren Loͤsung der Aufgabe keinesweges

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/270
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/270>, abgerufen am 22.11.2024.