Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.man gegen so mäßige Menschen und eine so vernünftige Lebensart einwenden? -- Jn der einen Erzählung, Signora avveduta genannt, kommt eine Dame sehr zur rechten Zeit dem Erzähler zu Hülfe, wie er eben auf einer Reise den Wagen gebrochen hat, und in Gefahr ist, sich mit einem sehr schlechten Nachtlager behelfen zu müßen. Die Dame bietet ihm sogleich äußerst gefällig einen Platz in ihrem Wagen an, und erzählt ihm, indem sie fahren, etwas unbesonnen und lebhaft ihre Geschichte, die eben so unbesonnen und lebhaft ist. Sie ist aber recht artig diese Geschichte; man weiß es der guten Dame vielen Dank, daß sie nicht langweilig ist, und man glaubt gewiß, der Aufgenommenn werde sich nicht weniger dankbar zeigen. Statt dessen giebt er ihr aber im Ton der den Fabeln angehängten Nutzanwendung eine recht derbe Lection, und endigt so die niedliche Erzählung. Wundern könnte es einen nicht, wenn die Dame den Schlag geöfnet, den Moralisten eben so artig aus dem Wagen gewiesen, und ihn auf freiem Felde hätte stehen lassen. Wer wird auf Kosten der Höflichkeit moralisiren wollen? Herr von Ramdohr besitzt nicht allein tiefe Menschenkenntniß; sondern auch eben so tiefe Götterkenntniß. Jn Daphne und Apollo hat dieser Kenner und Zergliederer der Leidenschaften die alten Götter haarscharf charakterisirt, und ihr gewaltiges Wollen richtig motivirt. Apollo's Hirtenleben und seine Liebe zur Daphne ist zu einer sehr delikaten Hofintrigue ausgebildet, worin Apollo die Rolle eines ziemlich man gegen so maͤßige Menschen und eine so vernuͤnftige Lebensart einwenden? — Jn der einen Erzaͤhlung, Signora avveduta genannt, kommt eine Dame sehr zur rechten Zeit dem Erzaͤhler zu Huͤlfe, wie er eben auf einer Reise den Wagen gebrochen hat, und in Gefahr ist, sich mit einem sehr schlechten Nachtlager behelfen zu muͤßen. Die Dame bietet ihm sogleich aͤußerst gefaͤllig einen Platz in ihrem Wagen an, und erzaͤhlt ihm, indem sie fahren, etwas unbesonnen und lebhaft ihre Geschichte, die eben so unbesonnen und lebhaft ist. Sie ist aber recht artig diese Geschichte; man weiß es der guten Dame vielen Dank, daß sie nicht langweilig ist, und man glaubt gewiß, der Aufgenommenn werde sich nicht weniger dankbar zeigen. Statt dessen giebt er ihr aber im Ton der den Fabeln angehaͤngten Nutzanwendung eine recht derbe Lection, und endigt so die niedliche Erzaͤhlung. Wundern koͤnnte es einen nicht, wenn die Dame den Schlag geoͤfnet, den Moralisten eben so artig aus dem Wagen gewiesen, und ihn auf freiem Felde haͤtte stehen lassen. Wer wird auf Kosten der Hoͤflichkeit moralisiren wollen? Herr von Ramdohr besitzt nicht allein tiefe Menschenkenntniß; sondern auch eben so tiefe Goͤtterkenntniß. Jn Daphne und Apollo hat dieser Kenner und Zergliederer der Leidenschaften die alten Goͤtter haarscharf charakterisirt, und ihr gewaltiges Wollen richtig motivirt. Apollo's Hirtenleben und seine Liebe zur Daphne ist zu einer sehr delikaten Hofintrigue ausgebildet, worin Apollo die Rolle eines ziemlich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0252" n="240"/> man gegen so maͤßige Menschen und eine so vernuͤnftige Lebensart einwenden? — Jn der einen Erzaͤhlung, Signora avveduta genannt, kommt eine Dame sehr zur rechten Zeit dem Erzaͤhler zu Huͤlfe, wie er eben auf einer Reise den Wagen gebrochen hat, und in Gefahr ist, sich mit einem sehr schlechten Nachtlager behelfen zu muͤßen. Die Dame bietet ihm sogleich aͤußerst gefaͤllig einen Platz in ihrem Wagen an, und erzaͤhlt ihm, indem sie fahren, etwas unbesonnen und lebhaft ihre Geschichte, die eben so unbesonnen und lebhaft ist. Sie ist aber recht artig diese Geschichte; man weiß es der guten Dame vielen Dank, daß sie nicht langweilig ist, und man glaubt gewiß, der Aufgenommenn werde sich nicht weniger dankbar zeigen. Statt dessen giebt er ihr aber im Ton der den Fabeln angehaͤngten Nutzanwendung eine recht derbe Lection, und endigt so die niedliche Erzaͤhlung. Wundern koͤnnte es einen nicht, wenn die Dame den Schlag geoͤfnet, den Moralisten eben so artig aus dem Wagen gewiesen, und ihn auf freiem Felde haͤtte stehen lassen. Wer wird auf Kosten der Hoͤflichkeit moralisiren wollen?</p><lb/> <p>Herr von Ramdohr besitzt nicht allein tiefe Menschenkenntniß; sondern auch eben so tiefe Goͤtterkenntniß. Jn Daphne und Apollo hat dieser Kenner und Zergliederer der Leidenschaften die alten Goͤtter haarscharf charakterisirt, und ihr gewaltiges Wollen richtig motivirt. Apollo's Hirtenleben und seine Liebe zur Daphne ist zu einer sehr delikaten Hofintrigue ausgebildet, worin Apollo die Rolle eines ziemlich </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [240/0252]
man gegen so maͤßige Menschen und eine so vernuͤnftige Lebensart einwenden? — Jn der einen Erzaͤhlung, Signora avveduta genannt, kommt eine Dame sehr zur rechten Zeit dem Erzaͤhler zu Huͤlfe, wie er eben auf einer Reise den Wagen gebrochen hat, und in Gefahr ist, sich mit einem sehr schlechten Nachtlager behelfen zu muͤßen. Die Dame bietet ihm sogleich aͤußerst gefaͤllig einen Platz in ihrem Wagen an, und erzaͤhlt ihm, indem sie fahren, etwas unbesonnen und lebhaft ihre Geschichte, die eben so unbesonnen und lebhaft ist. Sie ist aber recht artig diese Geschichte; man weiß es der guten Dame vielen Dank, daß sie nicht langweilig ist, und man glaubt gewiß, der Aufgenommenn werde sich nicht weniger dankbar zeigen. Statt dessen giebt er ihr aber im Ton der den Fabeln angehaͤngten Nutzanwendung eine recht derbe Lection, und endigt so die niedliche Erzaͤhlung. Wundern koͤnnte es einen nicht, wenn die Dame den Schlag geoͤfnet, den Moralisten eben so artig aus dem Wagen gewiesen, und ihn auf freiem Felde haͤtte stehen lassen. Wer wird auf Kosten der Hoͤflichkeit moralisiren wollen?
Herr von Ramdohr besitzt nicht allein tiefe Menschenkenntniß; sondern auch eben so tiefe Goͤtterkenntniß. Jn Daphne und Apollo hat dieser Kenner und Zergliederer der Leidenschaften die alten Goͤtter haarscharf charakterisirt, und ihr gewaltiges Wollen richtig motivirt. Apollo's Hirtenleben und seine Liebe zur Daphne ist zu einer sehr delikaten Hofintrigue ausgebildet, worin Apollo die Rolle eines ziemlich
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/252>, abgerufen am 27.07.2024. |