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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.

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Kallimachos, dem freylich die oft bis zum Aberglauben geglaubte Entscheidung der Kritiker den classischen Gipfel seiner Gattung zusprach.

Daß Theokritos ein Schüler des Bion war, nehme ich aus dem Gedichte auf Bions Tod, welches in den Ausgaben unter denen des Moschos steht, in zwey Handschriften aber und von der Eudocia dem Theokritos beygelegt wird, woraus folgt, daß der 100te Vers ebemals ohne Punkt gelesen worden. Der Scholiast meldet in der Notiz vom Theokritos, nach einigen sey Moschos sein Name gewesen, Theokritos (der Gottgewählte) sein Beyname. So dürfte also wohl der bukolische Moschos mit dem Theokritos Eine Person, und er von diesem nur durch ein Misverständniß abgesondert worden seyn, welchem die Existenz eines andern nicht sehr viel spätern Moschos nachhalf, der nach Suidas, wo die Verwechslung schon Statt findet, ein Schüler des Aristarchos war, und also doch nicht Zeitgenosse des Philetas und Verfasser des Gedichts auf Bion seyn konnte. Jn den Lebensumständen spricht nichts dagegen, und es begreift sich, warum auch Moschos ein Syrakuser war. Auch in den dem Moschos beygelegten Gedichten und Bruchstücken ist nichts, was die eingebildete Verschiedenheit des Charakters begründen könnte. Man müßte denn den Begriff von der Manier des Theokritos viel zu eng gefaßt haben. Wir wissen, daß er sich in manchen andern Arten versucht hat, und die Spindel, ohne Zweifel von ihm, liegt schon ziemlich fern von seiner

Kallimachos, dem freylich die oft bis zum Aberglauben geglaubte Entscheidung der Kritiker den classischen Gipfel seiner Gattung zusprach.

Daß Theokritos ein Schuͤler des Bion war, nehme ich aus dem Gedichte auf Bions Tod, welches in den Ausgaben unter denen des Moschos steht, in zwey Handschriften aber und von der Eudocia dem Theokritos beygelegt wird, woraus folgt, daß der 100te Vers ebemals ohne Punkt gelesen worden. Der Scholiast meldet in der Notiz vom Theokritos, nach einigen sey Moschos sein Name gewesen, Theokritos (der Gottgewaͤhlte) sein Beyname. So duͤrfte also wohl der bukolische Moschos mit dem Theokritos Eine Person, und er von diesem nur durch ein Misverstaͤndniß abgesondert worden seyn, welchem die Existenz eines andern nicht sehr viel spaͤtern Moschos nachhalf, der nach Suidas, wo die Verwechslung schon Statt findet, ein Schuͤler des Aristarchos war, und also doch nicht Zeitgenosse des Philetas und Verfasser des Gedichts auf Bion seyn konnte. Jn den Lebensumstaͤnden spricht nichts dagegen, und es begreift sich, warum auch Moschos ein Syrakuser war. Auch in den dem Moschos beygelegten Gedichten und Bruchstuͤcken ist nichts, was die eingebildete Verschiedenheit des Charakters begruͤnden koͤnnte. Man muͤßte denn den Begriff von der Manier des Theokritos viel zu eng gefaßt haben. Wir wissen, daß er sich in manchen andern Arten versucht hat, und die Spindel, ohne Zweifel von ihm, liegt schon ziemlich fern von seiner

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[230/0242] Kallimachos, dem freylich die oft bis zum Aberglauben geglaubte Entscheidung der Kritiker den classischen Gipfel seiner Gattung zusprach. Daß Theokritos ein Schuͤler des Bion war, nehme ich aus dem Gedichte auf Bions Tod, welches in den Ausgaben unter denen des Moschos steht, in zwey Handschriften aber und von der Eudocia dem Theokritos beygelegt wird, woraus folgt, daß der 100te Vers ebemals ohne Punkt gelesen worden. Der Scholiast meldet in der Notiz vom Theokritos, nach einigen sey Moschos sein Name gewesen, Theokritos (der Gottgewaͤhlte) sein Beyname. So duͤrfte also wohl der bukolische Moschos mit dem Theokritos Eine Person, und er von diesem nur durch ein Misverstaͤndniß abgesondert worden seyn, welchem die Existenz eines andern nicht sehr viel spaͤtern Moschos nachhalf, der nach Suidas, wo die Verwechslung schon Statt findet, ein Schuͤler des Aristarchos war, und also doch nicht Zeitgenosse des Philetas und Verfasser des Gedichts auf Bion seyn konnte. Jn den Lebensumstaͤnden spricht nichts dagegen, und es begreift sich, warum auch Moschos ein Syrakuser war. Auch in den dem Moschos beygelegten Gedichten und Bruchstuͤcken ist nichts, was die eingebildete Verschiedenheit des Charakters begruͤnden koͤnnte. Man muͤßte denn den Begriff von der Manier des Theokritos viel zu eng gefaßt haben. Wir wissen, daß er sich in manchen andern Arten versucht hat, und die Spindel, ohne Zweifel von ihm, liegt schon ziemlich fern von seiner

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/242>, abgerufen am 22.11.2024.