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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.

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möchte sagen, die einzige Tugend, die der Mensch besitzen kann, ist die Wahrheit gegen sich und andre. Zu bedauern ist es aber, wenn die Menschen hier auf einen Jrrrthum gerathen, und meinen, sie bearbeiten ihre Leidenschaften und Empfindungen zu einem Kunstwerk, wenn sie bloß bemüht sind, einen Roman aus ihrem Leben zu machen, in den sie oft Empfindungen und Leidenschaften hineinzwängen müssen, um sich mit ihrem Werk nur nicht nüchtern und gewöhnlich vorzukommen. Wenn sie dann dieses Spiels am Ende überdrüssig werden, und die Kraft zu erfinden ihnen ausgeht: so glauben sie, daß sie wahrhaft mit sich umgehen, wenn sie dies zusammengebettelte Werk wieder zerstören. Ein solcher Roman kann gewöhnlich nicht ohne Liebe seyn; gewöhnlich sind dann vorher alle Verhältnisse zertreten und niedergerissen, um dieser Liebe wohlgefällige Opfer zu bringen, und weil es ja auch in allen Gedichten steht, daß, wenn diese Empfindung das Herz rührt, sie denn das ganze Heer der andern Neigungen erlegt -- und nun wird der geliebte Gegenstand selbst der Wahrheit geopfert, und der, welcher alle diese Rollen vor sich selbst abspielt, steht dann gewöhnlich und sieht mit Ehrfurcht vor sich selber in den Himmel. Denn nie glaubt der Mensch so sehr die Verwandschaft mit Gott zu fühlen, als wenn er sich so kleinlich beträgt, daß er der Verwandschaft mit den unschuldigsten Bewohnern der Erde unwürdig ist.

Wenn ich höre, daß jemand seine Meinung geändert hat, und diese Aenderung dadurch rechtfertigen

moͤchte sagen, die einzige Tugend, die der Mensch besitzen kann, ist die Wahrheit gegen sich und andre. Zu bedauern ist es aber, wenn die Menschen hier auf einen Jrrrthum gerathen, und meinen, sie bearbeiten ihre Leidenschaften und Empfindungen zu einem Kunstwerk, wenn sie bloß bemuͤht sind, einen Roman aus ihrem Leben zu machen, in den sie oft Empfindungen und Leidenschaften hineinzwaͤngen muͤssen, um sich mit ihrem Werk nur nicht nuͤchtern und gewoͤhnlich vorzukommen. Wenn sie dann dieses Spiels am Ende uͤberdruͤssig werden, und die Kraft zu erfinden ihnen ausgeht: so glauben sie, daß sie wahrhaft mit sich umgehen, wenn sie dies zusammengebettelte Werk wieder zerstoͤren. Ein solcher Roman kann gewoͤhnlich nicht ohne Liebe seyn; gewoͤhnlich sind dann vorher alle Verhaͤltnisse zertreten und niedergerissen, um dieser Liebe wohlgefaͤllige Opfer zu bringen, und weil es ja auch in allen Gedichten steht, daß, wenn diese Empfindung das Herz ruͤhrt, sie denn das ganze Heer der andern Neigungen erlegt — und nun wird der geliebte Gegenstand selbst der Wahrheit geopfert, und der, welcher alle diese Rollen vor sich selbst abspielt, steht dann gewoͤhnlich und sieht mit Ehrfurcht vor sich selber in den Himmel. Denn nie glaubt der Mensch so sehr die Verwandschaft mit Gott zu fuͤhlen, als wenn er sich so kleinlich betraͤgt, daß er der Verwandschaft mit den unschuldigsten Bewohnern der Erde unwuͤrdig ist.

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[211/0223] moͤchte sagen, die einzige Tugend, die der Mensch besitzen kann, ist die Wahrheit gegen sich und andre. Zu bedauern ist es aber, wenn die Menschen hier auf einen Jrrrthum gerathen, und meinen, sie bearbeiten ihre Leidenschaften und Empfindungen zu einem Kunstwerk, wenn sie bloß bemuͤht sind, einen Roman aus ihrem Leben zu machen, in den sie oft Empfindungen und Leidenschaften hineinzwaͤngen muͤssen, um sich mit ihrem Werk nur nicht nuͤchtern und gewoͤhnlich vorzukommen. Wenn sie dann dieses Spiels am Ende uͤberdruͤssig werden, und die Kraft zu erfinden ihnen ausgeht: so glauben sie, daß sie wahrhaft mit sich umgehen, wenn sie dies zusammengebettelte Werk wieder zerstoͤren. Ein solcher Roman kann gewoͤhnlich nicht ohne Liebe seyn; gewoͤhnlich sind dann vorher alle Verhaͤltnisse zertreten und niedergerissen, um dieser Liebe wohlgefaͤllige Opfer zu bringen, und weil es ja auch in allen Gedichten steht, daß, wenn diese Empfindung das Herz ruͤhrt, sie denn das ganze Heer der andern Neigungen erlegt — und nun wird der geliebte Gegenstand selbst der Wahrheit geopfert, und der, welcher alle diese Rollen vor sich selbst abspielt, steht dann gewoͤhnlich und sieht mit Ehrfurcht vor sich selber in den Himmel. Denn nie glaubt der Mensch so sehr die Verwandschaft mit Gott zu fuͤhlen, als wenn er sich so kleinlich betraͤgt, daß er der Verwandschaft mit den unschuldigsten Bewohnern der Erde unwuͤrdig ist. Wenn ich hoͤre, daß jemand seine Meinung geaͤndert hat, und diese Aenderung dadurch rechtfertigen

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/223>, abgerufen am 24.11.2024.