Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.Jch fühle des Todes
Verjüngende Flut, Zu Balsam und Aether Verwandelt mein Blut -- Jch lebe bey Tage Voll Glauben und Muth Und sterbe die Nächte Jn heiliger Glut. 5.
Ueber der Menschen weitverbreitete Stämme herrschte vor Zeiten ein eisernes Schicksal mit stummer Gewalt. Eine dunkle, schwere Binde lag um ihre bange Seele -- Unendlich war die Erde -- der Götter Aufenthalt, und ihre Heymath. Seit Ewigkeiten stand ihr geheimnißvoller Bau. Ueber des Morgens rothen Bergen, in des Meeres heiligem Schooß wohnte die Sonne, das allzündende, lebendige Licht. Ein alter Riese trug die selige Welt. Fest unter Bergen lagen die Ursöhne der Mutter Erde. Ohnmächtig in ihrer zerstörenden Wuth gegen das neue herrliche Göttergeschlecht und dessen Verwandten, die frölichen Menschen. Des Meers dunkle, grüne Tiefe war einer Göttin Schooß. Jn den krystallenen Grotten schwelgte ein üppiges Volk. Flüsse, Bäume, Blumen und Thiere hatten menschlichen Sinn. Süßer schmeckte der Wein von sichtbarer Jugendfülle geschenkt -- ein Gott in den Trauben -- eine liebende, mütterliche Göttin, empor wachsend in vollen goldenen Garben -- der Liebe heilger Rausch ein süßer Dienst der schönsten Götterfrau -- Jch fuͤhle des Todes
Verjuͤngende Flut, Zu Balsam und Aether Verwandelt mein Blut — Jch lebe bey Tage Voll Glauben und Muth Und sterbe die Naͤchte Jn heiliger Glut. 5.
Ueber der Menschen weitverbreitete Staͤmme herrschte vor Zeiten ein eisernes Schicksal mit stummer Gewalt. Eine dunkle, schwere Binde lag um ihre bange Seele — Unendlich war die Erde — der Goͤtter Aufenthalt, und ihre Heymath. Seit Ewigkeiten stand ihr geheimnißvoller Bau. Ueber des Morgens rothen Bergen, in des Meeres heiligem Schooß wohnte die Sonne, das allzuͤndende, lebendige Licht. Ein alter Riese trug die selige Welt. Fest unter Bergen lagen die Ursoͤhne der Mutter Erde. Ohnmaͤchtig in ihrer zerstoͤrenden Wuth gegen das neue herrliche Goͤttergeschlecht und dessen Verwandten, die froͤlichen Menschen. Des Meers dunkle, gruͤne Tiefe war einer Goͤttin Schooß. Jn den krystallenen Grotten schwelgte ein uͤppiges Volk. Fluͤsse, Baͤume, Blumen und Thiere hatten menschlichen Sinn. Suͤßer schmeckte der Wein von sichtbarer Jugendfuͤlle geschenkt — ein Gott in den Trauben — eine liebende, muͤtterliche Goͤttin, empor wachsend in vollen goldenen Garben — der Liebe heilger Rausch ein suͤßer Dienst der schoͤnsten Goͤtterfrau — <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0207" n="195"/> <l>Jch fuͤhle des Todes</l><lb/> <l>Verjuͤngende Flut,</l><lb/> <l>Zu Balsam und Aether</l><lb/> <l>Verwandelt mein Blut —</l><lb/> <l>Jch lebe bey Tage</l><lb/> <l>Voll Glauben und Muth</l><lb/> <l>Und sterbe die Naͤchte</l><lb/> <l>Jn heiliger Glut.</l> </lg><lb/> </div> <div n="3"> <head>5.</head> <p>Ueber der Menschen weitverbreitete Staͤmme herrschte vor Zeiten ein eisernes Schicksal mit stummer Gewalt. Eine dunkle, schwere Binde lag um ihre bange Seele — Unendlich war die Erde — der Goͤtter Aufenthalt, und ihre Heymath. Seit Ewigkeiten stand ihr geheimnißvoller Bau. Ueber des Morgens rothen Bergen, in des Meeres heiligem Schooß wohnte die Sonne, das allzuͤndende, lebendige Licht. Ein alter Riese trug die selige Welt. Fest unter Bergen lagen die Ursoͤhne der Mutter Erde. Ohnmaͤchtig in ihrer zerstoͤrenden Wuth gegen das neue herrliche Goͤttergeschlecht und dessen Verwandten, die froͤlichen Menschen. Des Meers dunkle, gruͤne Tiefe war einer Goͤttin Schooß. Jn den krystallenen Grotten schwelgte ein uͤppiges Volk. Fluͤsse, Baͤume, Blumen und Thiere hatten menschlichen Sinn. Suͤßer schmeckte der Wein von sichtbarer Jugendfuͤlle geschenkt — ein Gott in den Trauben — eine liebende, muͤtterliche Goͤttin, empor wachsend in vollen goldenen Garben — der Liebe heilger Rausch ein suͤßer Dienst der schoͤnsten Goͤtterfrau — </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [195/0207]
Jch fuͤhle des Todes
Verjuͤngende Flut,
Zu Balsam und Aether
Verwandelt mein Blut —
Jch lebe bey Tage
Voll Glauben und Muth
Und sterbe die Naͤchte
Jn heiliger Glut.
5. Ueber der Menschen weitverbreitete Staͤmme herrschte vor Zeiten ein eisernes Schicksal mit stummer Gewalt. Eine dunkle, schwere Binde lag um ihre bange Seele — Unendlich war die Erde — der Goͤtter Aufenthalt, und ihre Heymath. Seit Ewigkeiten stand ihr geheimnißvoller Bau. Ueber des Morgens rothen Bergen, in des Meeres heiligem Schooß wohnte die Sonne, das allzuͤndende, lebendige Licht. Ein alter Riese trug die selige Welt. Fest unter Bergen lagen die Ursoͤhne der Mutter Erde. Ohnmaͤchtig in ihrer zerstoͤrenden Wuth gegen das neue herrliche Goͤttergeschlecht und dessen Verwandten, die froͤlichen Menschen. Des Meers dunkle, gruͤne Tiefe war einer Goͤttin Schooß. Jn den krystallenen Grotten schwelgte ein uͤppiges Volk. Fluͤsse, Baͤume, Blumen und Thiere hatten menschlichen Sinn. Suͤßer schmeckte der Wein von sichtbarer Jugendfuͤlle geschenkt — ein Gott in den Trauben — eine liebende, muͤtterliche Goͤttin, empor wachsend in vollen goldenen Garben — der Liebe heilger Rausch ein suͤßer Dienst der schoͤnsten Goͤtterfrau —
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