Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.Clärchens Schicksal zerreißt uns, und von Brakenburgs Jammer -- dem matten Nachhall einer Dissonanz -- möchte man sich beynah wegwenden. Er vergeht wenigstens, Clärchen lebt im Egmont, die andern repräsentiren nur. Egmont allein lebt ein höheres Leben in sich selbst, und in seiner Seele ist alles harmonisch. Selbst der Schmerz verschmilzt in Musik, und die tragische Katastrophe giebt einen milden Eindruck. Aus den leichtesten, frischesten Blumengestalten hervor athmet derselbe schöne Geist jener beyden Stücke in Claudine von Villabella. Durch die merkwürdigste Umbildung ist darin der sinnliche Reiz des Crugantino, in dem der Dichter schon früh das romantische Leben eines lustigen Vagabunden mit Liebe dargestellt hatte, in die geistigste Anmuth verklärt, und aus der gröberen Atmosphäre in den reinsten Aether emporgehoben. Jn diese Epoche fallen die meisten der Skizzen und Studien für die Bühne. Eine lehrreiche Folge von dramaturgischen Experimenten, wo die Methode und die Maxime des künstlerischen Verfahrens oft wichtiger ist, als das einzelne Resultat. Auch der Egmont ist nach des Dichters Jdeen von Shakspeare's Römischen Stücken gebildet. Und selbst beym Tasso konnte er vielleicht zuerst an das einzige deutsche Drama gedacht haben, welches durchaus ein Werk des Verstandes ist (obgleich eben nicht des dramatischen), an Lessings Nathan. Es wäre dieß nicht wunderbarer als daß der Meister, an dem alle Künstler Claͤrchens Schicksal zerreißt uns, und von Brakenburgs Jammer — dem matten Nachhall einer Dissonanz — moͤchte man sich beynah wegwenden. Er vergeht wenigstens, Claͤrchen lebt im Egmont, die andern repraͤsentiren nur. Egmont allein lebt ein hoͤheres Leben in sich selbst, und in seiner Seele ist alles harmonisch. Selbst der Schmerz verschmilzt in Musik, und die tragische Katastrophe giebt einen milden Eindruck. Aus den leichtesten, frischesten Blumengestalten hervor athmet derselbe schoͤne Geist jener beyden Stuͤcke in Claudine von Villabella. Durch die merkwuͤrdigste Umbildung ist darin der sinnliche Reiz des Crugantino, in dem der Dichter schon fruͤh das romantische Leben eines lustigen Vagabunden mit Liebe dargestellt hatte, in die geistigste Anmuth verklaͤrt, und aus der groͤberen Atmosphaͤre in den reinsten Aether emporgehoben. Jn diese Epoche fallen die meisten der Skizzen und Studien fuͤr die Buͤhne. Eine lehrreiche Folge von dramaturgischen Experimenten, wo die Methode und die Maxime des kuͤnstlerischen Verfahrens oft wichtiger ist, als das einzelne Resultat. Auch der Egmont ist nach des Dichters Jdeen von Shakspeare's Roͤmischen Stuͤcken gebildet. Und selbst beym Tasso konnte er vielleicht zuerst an das einzige deutsche Drama gedacht haben, welches durchaus ein Werk des Verstandes ist (obgleich eben nicht des dramatischen), an Lessings Nathan. Es waͤre dieß nicht wunderbarer als daß der Meister, an dem alle Kuͤnstler <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0188" n="176"/> Claͤrchens Schicksal zerreißt uns, und von Brakenburgs Jammer — dem matten Nachhall einer Dissonanz — moͤchte man sich beynah wegwenden. Er vergeht wenigstens, Claͤrchen lebt im Egmont, die andern repraͤsentiren nur. Egmont allein lebt ein hoͤheres Leben in sich selbst, und in seiner Seele ist alles harmonisch. Selbst der Schmerz verschmilzt in Musik, und die tragische Katastrophe giebt einen milden Eindruck.</p><lb/> <p>Aus den leichtesten, frischesten Blumengestalten hervor athmet derselbe schoͤne Geist jener beyden Stuͤcke in Claudine von Villabella. Durch die merkwuͤrdigste Umbildung ist darin der sinnliche Reiz des Crugantino, in dem der Dichter schon fruͤh das romantische Leben eines lustigen Vagabunden mit Liebe dargestellt hatte, in die geistigste Anmuth verklaͤrt, und aus der groͤberen Atmosphaͤre in den reinsten Aether emporgehoben.</p><lb/> <p>Jn diese Epoche fallen die meisten der Skizzen und Studien fuͤr die Buͤhne. Eine lehrreiche Folge von dramaturgischen Experimenten, wo die Methode und die Maxime des kuͤnstlerischen Verfahrens oft wichtiger ist, als das einzelne Resultat. Auch der Egmont ist nach des Dichters Jdeen von Shakspeare's Roͤmischen Stuͤcken gebildet. Und selbst beym Tasso konnte er vielleicht zuerst an das einzige deutsche Drama gedacht haben, welches durchaus ein Werk des Verstandes ist (obgleich eben nicht des dramatischen), an Lessings Nathan. Es waͤre dieß nicht wunderbarer als daß der Meister, an dem alle Kuͤnstler </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [176/0188]
Claͤrchens Schicksal zerreißt uns, und von Brakenburgs Jammer — dem matten Nachhall einer Dissonanz — moͤchte man sich beynah wegwenden. Er vergeht wenigstens, Claͤrchen lebt im Egmont, die andern repraͤsentiren nur. Egmont allein lebt ein hoͤheres Leben in sich selbst, und in seiner Seele ist alles harmonisch. Selbst der Schmerz verschmilzt in Musik, und die tragische Katastrophe giebt einen milden Eindruck.
Aus den leichtesten, frischesten Blumengestalten hervor athmet derselbe schoͤne Geist jener beyden Stuͤcke in Claudine von Villabella. Durch die merkwuͤrdigste Umbildung ist darin der sinnliche Reiz des Crugantino, in dem der Dichter schon fruͤh das romantische Leben eines lustigen Vagabunden mit Liebe dargestellt hatte, in die geistigste Anmuth verklaͤrt, und aus der groͤberen Atmosphaͤre in den reinsten Aether emporgehoben.
Jn diese Epoche fallen die meisten der Skizzen und Studien fuͤr die Buͤhne. Eine lehrreiche Folge von dramaturgischen Experimenten, wo die Methode und die Maxime des kuͤnstlerischen Verfahrens oft wichtiger ist, als das einzelne Resultat. Auch der Egmont ist nach des Dichters Jdeen von Shakspeare's Roͤmischen Stuͤcken gebildet. Und selbst beym Tasso konnte er vielleicht zuerst an das einzige deutsche Drama gedacht haben, welches durchaus ein Werk des Verstandes ist (obgleich eben nicht des dramatischen), an Lessings Nathan. Es waͤre dieß nicht wunderbarer als daß der Meister, an dem alle Kuͤnstler
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/188>, abgerufen am 16.02.2025. |