Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.aus diesen Ergießungen des Dichters den Ernst des Naturforschers vorauszusagen. Es war nicht meine Absicht, alle Produkte des Dichters zu classificiren, sondern nur die bedeutendsten Momente im Stufengange seiner Kunst anzugeben. Jch überlasse es daher Eurem eignen Urtheil, ob Jhr etwa den Faust wegen der altdeutschen Form, welche der naiven Kraft und dem nachdrücklichen Witz einer männlichen Poesie so günstig ist, wegen des Hanges zum Tragischen, und wegen andrer Spuren und Verwandtschaften zu jener ersten Manier zählen wollt. Gewiß aber ist es, daß dieses große Bruchstück nicht bloß wie die benannten drey Werke den Charakter einer Stufe repräsentirt, sondern den ganzen Geist des Dichters offenbart, wie seitdem nicht wieder; außer auf andre Weise im Meister, dessen Gegensatz in dieser Hinsicht der Faust ist, von dem hier nichts weiter gesagt werden kann, als daß er zu dem Größten gehört, was die Kraft des Menschen je gedichtet hat. An Clavigo und andern minder wichtigen Produkten der ersten Manier ist mir das am merkwürdigsten, daß der Dichter so früh schon einem bestimmten Zwecke, einem einmal gewählten Gegenstande zu gefallen, sich genau und eng zu beschränken wußte. Die Jphigenia möchte ich mir als Uebergang von der ersten Manier zur zweyten denken. Das Charakterische im Tasso ist der Geist der Reflexion und der Harmonie; nämlich daß alles auf ein Jdeal von harmonischem Leben und harmonischer Bildung bezogen und selbst die Disharmonie in harmonischem aus diesen Ergießungen des Dichters den Ernst des Naturforschers vorauszusagen. Es war nicht meine Absicht, alle Produkte des Dichters zu classificiren, sondern nur die bedeutendsten Momente im Stufengange seiner Kunst anzugeben. Jch uͤberlasse es daher Eurem eignen Urtheil, ob Jhr etwa den Faust wegen der altdeutschen Form, welche der naiven Kraft und dem nachdruͤcklichen Witz einer maͤnnlichen Poesie so guͤnstig ist, wegen des Hanges zum Tragischen, und wegen andrer Spuren und Verwandtschaften zu jener ersten Manier zaͤhlen wollt. Gewiß aber ist es, daß dieses große Bruchstuͤck nicht bloß wie die benannten drey Werke den Charakter einer Stufe repraͤsentirt, sondern den ganzen Geist des Dichters offenbart, wie seitdem nicht wieder; außer auf andre Weise im Meister, dessen Gegensatz in dieser Hinsicht der Faust ist, von dem hier nichts weiter gesagt werden kann, als daß er zu dem Groͤßten gehoͤrt, was die Kraft des Menschen je gedichtet hat. An Clavigo und andern minder wichtigen Produkten der ersten Manier ist mir das am merkwuͤrdigsten, daß der Dichter so fruͤh schon einem bestimmten Zwecke, einem einmal gewaͤhlten Gegenstande zu gefallen, sich genau und eng zu beschraͤnken wußte. Die Jphigenia moͤchte ich mir als Uebergang von der ersten Manier zur zweyten denken. Das Charakterische im Tasso ist der Geist der Reflexion und der Harmonie; naͤmlich daß alles auf ein Jdeal von harmonischem Leben und harmonischer Bildung bezogen und selbst die Disharmonie in harmonischem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0186" n="174"/> aus diesen Ergießungen des Dichters den Ernst des Naturforschers vorauszusagen.</p><lb/> <p>Es war nicht meine Absicht, alle Produkte des Dichters zu classificiren, sondern nur die bedeutendsten Momente im Stufengange seiner Kunst anzugeben. Jch uͤberlasse es daher Eurem eignen Urtheil, ob Jhr etwa den Faust wegen der altdeutschen Form, welche der naiven Kraft und dem nachdruͤcklichen Witz einer maͤnnlichen Poesie so guͤnstig ist, wegen des Hanges zum Tragischen, und wegen andrer Spuren und Verwandtschaften zu jener ersten Manier zaͤhlen wollt. Gewiß aber ist es, daß dieses große Bruchstuͤck nicht bloß wie die benannten drey Werke den Charakter einer Stufe repraͤsentirt, sondern den ganzen Geist des Dichters offenbart, wie seitdem nicht wieder; außer auf andre Weise im Meister, dessen Gegensatz in dieser Hinsicht der Faust ist, von dem hier nichts weiter gesagt werden kann, als daß er zu dem Groͤßten gehoͤrt, was die Kraft des Menschen je gedichtet hat.</p><lb/> <p>An Clavigo und andern minder wichtigen Produkten der ersten Manier ist mir das am merkwuͤrdigsten, daß der Dichter so fruͤh schon einem bestimmten Zwecke, einem einmal gewaͤhlten Gegenstande zu gefallen, sich genau und eng zu beschraͤnken wußte.</p><lb/> <p>Die Jphigenia moͤchte ich mir als Uebergang von der ersten Manier zur zweyten denken.</p><lb/> <p>Das Charakterische im Tasso ist der Geist der Reflexion und der Harmonie; naͤmlich daß alles auf ein Jdeal von harmonischem Leben und harmonischer Bildung bezogen und selbst die Disharmonie in harmonischem </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [174/0186]
aus diesen Ergießungen des Dichters den Ernst des Naturforschers vorauszusagen.
Es war nicht meine Absicht, alle Produkte des Dichters zu classificiren, sondern nur die bedeutendsten Momente im Stufengange seiner Kunst anzugeben. Jch uͤberlasse es daher Eurem eignen Urtheil, ob Jhr etwa den Faust wegen der altdeutschen Form, welche der naiven Kraft und dem nachdruͤcklichen Witz einer maͤnnlichen Poesie so guͤnstig ist, wegen des Hanges zum Tragischen, und wegen andrer Spuren und Verwandtschaften zu jener ersten Manier zaͤhlen wollt. Gewiß aber ist es, daß dieses große Bruchstuͤck nicht bloß wie die benannten drey Werke den Charakter einer Stufe repraͤsentirt, sondern den ganzen Geist des Dichters offenbart, wie seitdem nicht wieder; außer auf andre Weise im Meister, dessen Gegensatz in dieser Hinsicht der Faust ist, von dem hier nichts weiter gesagt werden kann, als daß er zu dem Groͤßten gehoͤrt, was die Kraft des Menschen je gedichtet hat.
An Clavigo und andern minder wichtigen Produkten der ersten Manier ist mir das am merkwuͤrdigsten, daß der Dichter so fruͤh schon einem bestimmten Zwecke, einem einmal gewaͤhlten Gegenstande zu gefallen, sich genau und eng zu beschraͤnken wußte.
Die Jphigenia moͤchte ich mir als Uebergang von der ersten Manier zur zweyten denken.
Das Charakterische im Tasso ist der Geist der Reflexion und der Harmonie; naͤmlich daß alles auf ein Jdeal von harmonischem Leben und harmonischer Bildung bezogen und selbst die Disharmonie in harmonischem
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/186>, abgerufen am 27.07.2024. |