Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.Jn der Welt der Sprache, oder welches eben so viel heißt, in der Welt der Kunst und der Bildung, erscheint die Religion nothwendig als Mythologie oder als Bibel. Die Pflicht der Kantianer verhält sich zu dem Gebot der Ehre, der Stimme des Berufs und der Gottheit in uns, wie die getrocknete Pflanze zur frischen Blume am lebenden Stamme. Ein bestimmtes Verhältniß zur Gottheit muß dem Mystiker so unerträglich seyn, wie eine bestimmte Ansicht, ein Begriff derselben. Nichts ist mehr Bedürfniß der Zeit, als ein geistiges Gegengewicht gegen die Revoluzion, und den Despotismus, welchen sie durch die Zusammendrängung des höchsten weltlichen Jnteresse über die Geister ausübt. Wo sollen wir dieses Gegengewicht suchen und finden? Die Antwort ist nicht schwer; unstreitig in uns, und wer da das Centrum der Menschheit ergriffen hat, der wird eben da zugleich auch den Mittelpunkt der modernen Bildung und die Harmonie aller bis jetzt abgesonderten und streitenden Wissenschaften und Künste gefunden haben. Glaubt man den Philosophen, so ist das was wir Religion nennen, nur eine absichtlich populäre oder aus Jnstinkt kunstlose Philosophie. Die Dichter scheinen sie eher für eine Abart von Poesie zu halten, Jn der Welt der Sprache, oder welches eben so viel heißt, in der Welt der Kunst und der Bildung, erscheint die Religion nothwendig als Mythologie oder als Bibel. Die Pflicht der Kantianer verhaͤlt sich zu dem Gebot der Ehre, der Stimme des Berufs und der Gottheit in uns, wie die getrocknete Pflanze zur frischen Blume am lebenden Stamme. Ein bestimmtes Verhaͤltniß zur Gottheit muß dem Mystiker so unertraͤglich seyn, wie eine bestimmte Ansicht, ein Begriff derselben. Nichts ist mehr Beduͤrfniß der Zeit, als ein geistiges Gegengewicht gegen die Revoluzion, und den Despotismus, welchen sie durch die Zusammendraͤngung des hoͤchsten weltlichen Jnteresse uͤber die Geister ausuͤbt. Wo sollen wir dieses Gegengewicht suchen und finden? Die Antwort ist nicht schwer; unstreitig in uns, und wer da das Centrum der Menschheit ergriffen hat, der wird eben da zugleich auch den Mittelpunkt der modernen Bildung und die Harmonie aller bis jetzt abgesonderten und streitenden Wissenschaften und Kuͤnste gefunden haben. Glaubt man den Philosophen, so ist das was wir Religion nennen, nur eine absichtlich populaͤre oder aus Jnstinkt kunstlose Philosophie. Die Dichter scheinen sie eher fuͤr eine Abart von Poesie zu halten, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0018" n="10"/> <p>Jn der Welt der Sprache, oder welches eben so viel heißt, in der Welt der Kunst und der Bildung, erscheint die Religion nothwendig als Mythologie oder als Bibel.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Die Pflicht der Kantianer verhaͤlt sich zu dem Gebot der Ehre, der Stimme des Berufs und der Gottheit in uns, wie die getrocknete Pflanze zur frischen Blume am lebenden Stamme.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Ein bestimmtes Verhaͤltniß zur Gottheit muß dem Mystiker so unertraͤglich seyn, wie eine bestimmte Ansicht, ein Begriff derselben.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Nichts ist mehr Beduͤrfniß der Zeit, als ein geistiges Gegengewicht gegen die Revoluzion, und den Despotismus, welchen sie durch die Zusammendraͤngung des hoͤchsten weltlichen Jnteresse uͤber die Geister ausuͤbt. Wo sollen wir dieses Gegengewicht suchen und finden? Die Antwort ist nicht schwer; unstreitig in uns, und wer da das Centrum der Menschheit ergriffen hat, der wird eben da zugleich auch den Mittelpunkt der modernen Bildung und die Harmonie aller bis jetzt abgesonderten und streitenden Wissenschaften und Kuͤnste gefunden haben.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Glaubt man den Philosophen, so ist das was wir Religion nennen, nur eine absichtlich populaͤre oder aus Jnstinkt kunstlose Philosophie. Die Dichter scheinen sie eher fuͤr eine Abart von Poesie zu halten, </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [10/0018]
Jn der Welt der Sprache, oder welches eben so viel heißt, in der Welt der Kunst und der Bildung, erscheint die Religion nothwendig als Mythologie oder als Bibel.
Die Pflicht der Kantianer verhaͤlt sich zu dem Gebot der Ehre, der Stimme des Berufs und der Gottheit in uns, wie die getrocknete Pflanze zur frischen Blume am lebenden Stamme.
Ein bestimmtes Verhaͤltniß zur Gottheit muß dem Mystiker so unertraͤglich seyn, wie eine bestimmte Ansicht, ein Begriff derselben.
Nichts ist mehr Beduͤrfniß der Zeit, als ein geistiges Gegengewicht gegen die Revoluzion, und den Despotismus, welchen sie durch die Zusammendraͤngung des hoͤchsten weltlichen Jnteresse uͤber die Geister ausuͤbt. Wo sollen wir dieses Gegengewicht suchen und finden? Die Antwort ist nicht schwer; unstreitig in uns, und wer da das Centrum der Menschheit ergriffen hat, der wird eben da zugleich auch den Mittelpunkt der modernen Bildung und die Harmonie aller bis jetzt abgesonderten und streitenden Wissenschaften und Kuͤnste gefunden haben.
Glaubt man den Philosophen, so ist das was wir Religion nennen, nur eine absichtlich populaͤre oder aus Jnstinkt kunstlose Philosophie. Die Dichter scheinen sie eher fuͤr eine Abart von Poesie zu halten,
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/18>, abgerufen am 28.07.2024. |