Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.auf innre Uebereinstimmung zurückführen kann. Unstreitig können dergleichen Reime selbst im edlen Styl von sehr guter Wirkung seyn, wenn sie selbst edel und wohlklingend sind, wie lichte Punkte die Hauptmomente des Gedankens oder Bildes hervorheben, und mit Nothwendigkeit an ihrer Stelle stehen. Wiederum wirft der scherzende Dichter den Reim mit Fleiß auf barocke und niedrige Wörter, und läßt sich zum Scheine von ihm beherrschen, weil die poetische Form auf diese Art sich selbst drollig ironirt. Führt aber der Reim in einem ernsthaften Gedichte ganz ernstlich das Regiment, brüstet er sich mit seiner Seltenheit, und mit nichts als mit seiner Seltenheit, wie bey Matthisson, Voß und Schmidt so häufig der Fall ist; so fürchte ich, dieß Verfahren würde, offenherzig in Grundsätzen ausgesprochen, eine umgekehrte Poetik geben, worin es hieße: das Dichten ist ein Mittel zum Versemachen; das Versemachen zum Reimen; das Reimen hilft wieder allerley wunderliche Wörter und Redensarten an den Mann bringen, welches der letzte und endliche Zweck von allem ist. Eben so mit den Spracherweiterungen: sie sind dem ächten Dichter nur Mittel zur Bezeichnung einer ihm vorschwebenden Nüance. Wo sie an sich Zweck werden, da fallen so verschiedenartige Dinge wie die Provinzialismen und Kunstwörter der Landwirthschaft bey Voß und Schmidt, und die klassischen und artistischen Namen, die gesuchten Zusammensetzungen bey Matthisson, in poetischer Hinsicht in Eine Klasse. Um das obige über die Verwandtschaft und auf innre Uebereinstimmung zuruͤckfuͤhren kann. Unstreitig koͤnnen dergleichen Reime selbst im edlen Styl von sehr guter Wirkung seyn, wenn sie selbst edel und wohlklingend sind, wie lichte Punkte die Hauptmomente des Gedankens oder Bildes hervorheben, und mit Nothwendigkeit an ihrer Stelle stehen. Wiederum wirft der scherzende Dichter den Reim mit Fleiß auf barocke und niedrige Woͤrter, und laͤßt sich zum Scheine von ihm beherrschen, weil die poetische Form auf diese Art sich selbst drollig ironirt. Fuͤhrt aber der Reim in einem ernsthaften Gedichte ganz ernstlich das Regiment, bruͤstet er sich mit seiner Seltenheit, und mit nichts als mit seiner Seltenheit, wie bey Matthisson, Voß und Schmidt so haͤufig der Fall ist; so fuͤrchte ich, dieß Verfahren wuͤrde, offenherzig in Grundsaͤtzen ausgesprochen, eine umgekehrte Poetik geben, worin es hieße: das Dichten ist ein Mittel zum Versemachen; das Versemachen zum Reimen; das Reimen hilft wieder allerley wunderliche Woͤrter und Redensarten an den Mann bringen, welches der letzte und endliche Zweck von allem ist. Eben so mit den Spracherweiterungen: sie sind dem aͤchten Dichter nur Mittel zur Bezeichnung einer ihm vorschwebenden Nuͤance. Wo sie an sich Zweck werden, da fallen so verschiedenartige Dinge wie die Provinzialismen und Kunstwoͤrter der Landwirthschaft bey Voß und Schmidt, und die klassischen und artistischen Namen, die gesuchten Zusammensetzungen bey Matthisson, in poetischer Hinsicht in Eine Klasse. Um das obige uͤber die Verwandtschaft und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0168" n="160"/> auf innre Uebereinstimmung zuruͤckfuͤhren kann. Unstreitig koͤnnen dergleichen Reime selbst im edlen Styl von sehr guter Wirkung seyn, wenn sie selbst edel und wohlklingend sind, wie lichte Punkte die Hauptmomente des Gedankens oder Bildes hervorheben, und mit Nothwendigkeit an ihrer Stelle stehen. Wiederum wirft der scherzende Dichter den Reim mit Fleiß auf barocke und niedrige Woͤrter, und laͤßt sich zum Scheine von ihm beherrschen, weil die poetische Form auf diese Art sich selbst drollig ironirt. Fuͤhrt aber der Reim in einem ernsthaften Gedichte ganz ernstlich das Regiment, bruͤstet er sich mit seiner Seltenheit, und mit nichts als mit seiner Seltenheit, wie bey Matthisson, Voß und Schmidt so haͤufig der Fall ist; so fuͤrchte ich, dieß Verfahren wuͤrde, offenherzig in Grundsaͤtzen ausgesprochen, eine umgekehrte Poetik geben, worin es hieße: das Dichten ist ein Mittel zum Versemachen; das Versemachen zum Reimen; das Reimen hilft wieder allerley wunderliche Woͤrter und Redensarten an den Mann bringen, welches der letzte und endliche Zweck von allem ist. Eben so mit den Spracherweiterungen: sie sind dem aͤchten Dichter nur Mittel zur Bezeichnung einer ihm vorschwebenden Nuͤance. Wo sie an sich Zweck werden, da fallen so verschiedenartige Dinge wie die Provinzialismen und Kunstwoͤrter der Landwirthschaft bey Voß und Schmidt, und die klassischen und artistischen Namen, die gesuchten Zusammensetzungen bey Matthisson, in poetischer Hinsicht in Eine Klasse.</p><lb/> <p>Um das obige uͤber die Verwandtschaft und </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [160/0168]
auf innre Uebereinstimmung zuruͤckfuͤhren kann. Unstreitig koͤnnen dergleichen Reime selbst im edlen Styl von sehr guter Wirkung seyn, wenn sie selbst edel und wohlklingend sind, wie lichte Punkte die Hauptmomente des Gedankens oder Bildes hervorheben, und mit Nothwendigkeit an ihrer Stelle stehen. Wiederum wirft der scherzende Dichter den Reim mit Fleiß auf barocke und niedrige Woͤrter, und laͤßt sich zum Scheine von ihm beherrschen, weil die poetische Form auf diese Art sich selbst drollig ironirt. Fuͤhrt aber der Reim in einem ernsthaften Gedichte ganz ernstlich das Regiment, bruͤstet er sich mit seiner Seltenheit, und mit nichts als mit seiner Seltenheit, wie bey Matthisson, Voß und Schmidt so haͤufig der Fall ist; so fuͤrchte ich, dieß Verfahren wuͤrde, offenherzig in Grundsaͤtzen ausgesprochen, eine umgekehrte Poetik geben, worin es hieße: das Dichten ist ein Mittel zum Versemachen; das Versemachen zum Reimen; das Reimen hilft wieder allerley wunderliche Woͤrter und Redensarten an den Mann bringen, welches der letzte und endliche Zweck von allem ist. Eben so mit den Spracherweiterungen: sie sind dem aͤchten Dichter nur Mittel zur Bezeichnung einer ihm vorschwebenden Nuͤance. Wo sie an sich Zweck werden, da fallen so verschiedenartige Dinge wie die Provinzialismen und Kunstwoͤrter der Landwirthschaft bey Voß und Schmidt, und die klassischen und artistischen Namen, die gesuchten Zusammensetzungen bey Matthisson, in poetischer Hinsicht in Eine Klasse.
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/168>, abgerufen am 28.07.2024. |