Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.hält, mag sogleich diesem Petrefaktum von Fratzen ohne Fantasie, von nüchternen Fieberträumen, von ungenialischer Tollheit einen ausgezeichneten Platz darin anweisen. Den etwanigen Nachahmern dient zur Nachricht, daß sie sich Fehler wie diese nicht ohne große Mühseligkeit erwerben werden. Denn ohne Zweifel hat es der Erzähler noch saurer gehabt als der Leser und selbst als der Vorleser, dem doch manchmal von "des Wortschwalls Katarakte" die Zähne knacken möchten, und dieß Mährchen ist wohl eben so wenig als Rom in Einem Tage gebauet oder gedrechselt. Wenn man sich nun unter Matthissons früheren Arbeiten nach etwas umsieht, das als Uebergang ein solches Extrem einigermaßen begreiflich machen könnte, so bietet sich in dem Nachtrage, der großentheils in den Schillerschen Almanachen abgedruckte Gedichte enthält, gleich zuvörderst die Sehnsucht nach Rom dar. Eine auffallende Aehnlichkeit in der ganzen Manier, dieselbe überladne Eleganz und leere Gedrängtheit des Ausdrucks, dasselbe Haschen nach ungewohnten Reimen, die mit fleißiger Künstlichkeit zusammengebracht sind, sogar bey der großen Verschiedenheit der Gattung und des Gegenstandes dasselbe Sylbenmaß. Aber die Hauptähnlichkeit liegt in der Struktur und dem Gange oder vielmehr Nichtgange des Ganzen. Eben so wie man die Abentheuer Alins beliebig durch einander würfeln und auf den Kopf stellen könnte, ist auch die Sehnsucht nach Rom ein bloßer cento von Erinnerungen, wo man gar nicht sieht, haͤlt, mag sogleich diesem Petrefaktum von Fratzen ohne Fantasie, von nuͤchternen Fiebertraͤumen, von ungenialischer Tollheit einen ausgezeichneten Platz darin anweisen. Den etwanigen Nachahmern dient zur Nachricht, daß sie sich Fehler wie diese nicht ohne große Muͤhseligkeit erwerben werden. Denn ohne Zweifel hat es der Erzaͤhler noch saurer gehabt als der Leser und selbst als der Vorleser, dem doch manchmal von “des Wortschwalls Katarakte” die Zaͤhne knacken moͤchten, und dieß Maͤhrchen ist wohl eben so wenig als Rom in Einem Tage gebauet oder gedrechselt. Wenn man sich nun unter Matthissons fruͤheren Arbeiten nach etwas umsieht, das als Uebergang ein solches Extrem einigermaßen begreiflich machen koͤnnte, so bietet sich in dem Nachtrage, der großentheils in den Schillerschen Almanachen abgedruckte Gedichte enthaͤlt, gleich zuvoͤrderst die Sehnsucht nach Rom dar. Eine auffallende Aehnlichkeit in der ganzen Manier, dieselbe uͤberladne Eleganz und leere Gedraͤngtheit des Ausdrucks, dasselbe Haschen nach ungewohnten Reimen, die mit fleißiger Kuͤnstlichkeit zusammengebracht sind, sogar bey der großen Verschiedenheit der Gattung und des Gegenstandes dasselbe Sylbenmaß. Aber die Hauptaͤhnlichkeit liegt in der Struktur und dem Gange oder vielmehr Nichtgange des Ganzen. Eben so wie man die Abentheuer Alins beliebig durch einander wuͤrfeln und auf den Kopf stellen koͤnnte, ist auch die Sehnsucht nach Rom ein bloßer cento von Erinnerungen, wo man gar nicht sieht, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0157" n="149"/> haͤlt, mag sogleich diesem Petrefaktum von Fratzen ohne Fantasie, von nuͤchternen Fiebertraͤumen, von ungenialischer Tollheit einen ausgezeichneten Platz darin anweisen. Den etwanigen Nachahmern dient zur Nachricht, daß sie sich Fehler wie diese nicht ohne große Muͤhseligkeit erwerben werden. Denn ohne Zweifel hat es der Erzaͤhler noch saurer gehabt als der Leser und selbst als der Vorleser, dem doch manchmal von “des Wortschwalls Katarakte” die Zaͤhne knacken moͤchten, und dieß Maͤhrchen ist wohl eben so wenig als Rom in Einem Tage gebauet oder gedrechselt.</p><lb/> <p>Wenn man sich nun unter Matthissons fruͤheren Arbeiten nach etwas umsieht, das als Uebergang ein solches Extrem einigermaßen begreiflich machen koͤnnte, so bietet sich in dem <hi rendition="#g">Nachtrage</hi>, der großentheils in den Schillerschen Almanachen abgedruckte Gedichte enthaͤlt, gleich zuvoͤrderst die <hi rendition="#g">Sehnsucht nach Rom</hi> dar. Eine auffallende Aehnlichkeit in der ganzen Manier, dieselbe uͤberladne Eleganz und leere Gedraͤngtheit des Ausdrucks, dasselbe Haschen nach ungewohnten Reimen, die mit fleißiger Kuͤnstlichkeit zusammengebracht sind, sogar bey der großen Verschiedenheit der Gattung und des Gegenstandes dasselbe Sylbenmaß. Aber die Hauptaͤhnlichkeit liegt in der Struktur und dem Gange oder vielmehr Nichtgange des Ganzen. Eben so wie man die Abentheuer Alins beliebig durch einander wuͤrfeln und auf den Kopf stellen koͤnnte, ist auch die Sehnsucht nach Rom ein bloßer cento von Erinnerungen, wo man gar nicht sieht, </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [149/0157]
haͤlt, mag sogleich diesem Petrefaktum von Fratzen ohne Fantasie, von nuͤchternen Fiebertraͤumen, von ungenialischer Tollheit einen ausgezeichneten Platz darin anweisen. Den etwanigen Nachahmern dient zur Nachricht, daß sie sich Fehler wie diese nicht ohne große Muͤhseligkeit erwerben werden. Denn ohne Zweifel hat es der Erzaͤhler noch saurer gehabt als der Leser und selbst als der Vorleser, dem doch manchmal von “des Wortschwalls Katarakte” die Zaͤhne knacken moͤchten, und dieß Maͤhrchen ist wohl eben so wenig als Rom in Einem Tage gebauet oder gedrechselt.
Wenn man sich nun unter Matthissons fruͤheren Arbeiten nach etwas umsieht, das als Uebergang ein solches Extrem einigermaßen begreiflich machen koͤnnte, so bietet sich in dem Nachtrage, der großentheils in den Schillerschen Almanachen abgedruckte Gedichte enthaͤlt, gleich zuvoͤrderst die Sehnsucht nach Rom dar. Eine auffallende Aehnlichkeit in der ganzen Manier, dieselbe uͤberladne Eleganz und leere Gedraͤngtheit des Ausdrucks, dasselbe Haschen nach ungewohnten Reimen, die mit fleißiger Kuͤnstlichkeit zusammengebracht sind, sogar bey der großen Verschiedenheit der Gattung und des Gegenstandes dasselbe Sylbenmaß. Aber die Hauptaͤhnlichkeit liegt in der Struktur und dem Gange oder vielmehr Nichtgange des Ganzen. Eben so wie man die Abentheuer Alins beliebig durch einander wuͤrfeln und auf den Kopf stellen koͤnnte, ist auch die Sehnsucht nach Rom ein bloßer cento von Erinnerungen, wo man gar nicht sieht,
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/157>, abgerufen am 16.02.2025. |