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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.

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nicht bloß in den Arabesken des Raphael, ehedem in ihrer großen Zeit war. Die moderne Musik hingegen ist, was die in ihr herrschende Kraft des Menschen betrifft, ihrem Charakter im Ganzen so treu geblieben, daß ichs ohne Scheu wagen möchte, sie eine sentimentale Kunst zu nennen.

Was ist denn nun dieses Sentimentale? Das was uns anspricht, wo das Gefühl herrscht, und zwar nicht ein sinnliches, sondern das geistige. Die Quelle und Seele aller dieser Regungen ist die Liebe, und der Geist der Liebe muß in der romantischen Poesie überall unsichtbar sichtbar schweben; das soll jene Definition sagen. Die galanten Passionen, denen man in den Dichtungen der Modernen, wie Diderot im Fatalisten so lustig klagt, von dem Epigramm bis zur Tragödie nirgends entgehn kann, sind dabey grade das wenigste, oder vielmehr sie sind nicht einmal der äußre Buchstabe jenes Geistes, nach Gelegenheit auch wohl gar nichts oder etwas sehr unliebliches und liebloses. Nein, es ist der heilige Hauch, der uns in den Tönen der Musik berührt. Er läßt sich nicht gewaltsam fassen und mechanisch greifen, aber er läßt sich freundlich locken von sterblicher Schönheit und in sie verhüllen; und auch die Zauberworte der Poesie können von seiner Kraft durchdrungen und beseelt werden. Aber in dem Gedicht, wo er nicht überall ist, oder überall seyn könnte, ist er gewiß gar nicht. Er ist ein unendliches Wesen und mit nichten haftet und klebt sein Jnteresse nur an den Personen, den Begebenheiten und Situazionen und den individuellen

nicht bloß in den Arabesken des Raphael, ehedem in ihrer großen Zeit war. Die moderne Musik hingegen ist, was die in ihr herrschende Kraft des Menschen betrifft, ihrem Charakter im Ganzen so treu geblieben, daß ichs ohne Scheu wagen moͤchte, sie eine sentimentale Kunst zu nennen.

Was ist denn nun dieses Sentimentale? Das was uns anspricht, wo das Gefuͤhl herrscht, und zwar nicht ein sinnliches, sondern das geistige. Die Quelle und Seele aller dieser Regungen ist die Liebe, und der Geist der Liebe muß in der romantischen Poesie uͤberall unsichtbar sichtbar schweben; das soll jene Definition sagen. Die galanten Passionen, denen man in den Dichtungen der Modernen, wie Diderot im Fatalisten so lustig klagt, von dem Epigramm bis zur Tragoͤdie nirgends entgehn kann, sind dabey grade das wenigste, oder vielmehr sie sind nicht einmal der aͤußre Buchstabe jenes Geistes, nach Gelegenheit auch wohl gar nichts oder etwas sehr unliebliches und liebloses. Nein, es ist der heilige Hauch, der uns in den Toͤnen der Musik beruͤhrt. Er laͤßt sich nicht gewaltsam fassen und mechanisch greifen, aber er laͤßt sich freundlich locken von sterblicher Schoͤnheit und in sie verhuͤllen; und auch die Zauberworte der Poesie koͤnnen von seiner Kraft durchdrungen und beseelt werden. Aber in dem Gedicht, wo er nicht uͤberall ist, oder uͤberall seyn koͤnnte, ist er gewiß gar nicht. Er ist ein unendliches Wesen und mit nichten haftet und klebt sein Jnteresse nur an den Personen, den Begebenheiten und Situazionen und den individuellen

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[120/0128] nicht bloß in den Arabesken des Raphael, ehedem in ihrer großen Zeit war. Die moderne Musik hingegen ist, was die in ihr herrschende Kraft des Menschen betrifft, ihrem Charakter im Ganzen so treu geblieben, daß ichs ohne Scheu wagen moͤchte, sie eine sentimentale Kunst zu nennen. Was ist denn nun dieses Sentimentale? Das was uns anspricht, wo das Gefuͤhl herrscht, und zwar nicht ein sinnliches, sondern das geistige. Die Quelle und Seele aller dieser Regungen ist die Liebe, und der Geist der Liebe muß in der romantischen Poesie uͤberall unsichtbar sichtbar schweben; das soll jene Definition sagen. Die galanten Passionen, denen man in den Dichtungen der Modernen, wie Diderot im Fatalisten so lustig klagt, von dem Epigramm bis zur Tragoͤdie nirgends entgehn kann, sind dabey grade das wenigste, oder vielmehr sie sind nicht einmal der aͤußre Buchstabe jenes Geistes, nach Gelegenheit auch wohl gar nichts oder etwas sehr unliebliches und liebloses. Nein, es ist der heilige Hauch, der uns in den Toͤnen der Musik beruͤhrt. Er laͤßt sich nicht gewaltsam fassen und mechanisch greifen, aber er laͤßt sich freundlich locken von sterblicher Schoͤnheit und in sie verhuͤllen; und auch die Zauberworte der Poesie koͤnnen von seiner Kraft durchdrungen und beseelt werden. Aber in dem Gedicht, wo er nicht uͤberall ist, oder uͤberall seyn koͤnnte, ist er gewiß gar nicht. Er ist ein unendliches Wesen und mit nichten haftet und klebt sein Jnteresse nur an den Personen, den Begebenheiten und Situazionen und den individuellen

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/128>, abgerufen am 21.11.2024.