Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.über ihren Umfang hinaus, unendlich zu werden. Auch ließe sich denken, daß ein Künstler diesen Reichthum in einfachere Massen auffaßte, und durch das, was er anzudeuten unterließe, das Schönste in der Wirklichkeit erst in das Große für die Kunst verwandelte. So viel ist gewiß, Claude Lorrain, der in der nämlichen Natur lebte und mahlte, ist in einem edleren Styl mit ihr umgegangen. Und dann hat Hackerts Landschaft noch einen wesentlichen Mangel: der Schatten im Ganzen fehlt. Alles steht in schimmerndem Licht und reinen Farben da. " Reinhold. Das Kritisiren lassen Sie sich denn doch nicht gänzlich untersagen, Louise. Waller. Wie billig. Wir können nicht charakterisiren, ohne daß darin auf gewisse Weise ein Urtheil enthalten wäre. -- Jch gestehe, die Beschreibung hat mir größere Sehnsucht nach dem Lago Salernitano erregt, (denn dieser ist, wie ich höre, der Mittelpunkt der Aussicht) als nach dem Gemählde, das ich noch nicht Gelegenheit hatte zu sehen. Louise. Jetzt müssen Sie mir nach Deutschland zurück folgen, und zwar zu unsern ehrenfesten Vorfahren. Jch habe ein altes Porträtstück beschrieben. Waller. Das Porträt sollte vorzüglich ein Deutsches Talent seyn, da wir eine so treue Nazion sind. Louise. Keinen Spott! Es giebt eine knechtische und eine freygesinnte, edle Treue, wovon Sie ein Beyspiel sehen sollen. "Die gute alte Zeit, wo ein Familiengemählde noch ein Denkmal der Frömmigkeit, nicht der Eitelkeit uͤber ihren Umfang hinaus, unendlich zu werden. Auch ließe sich denken, daß ein Kuͤnstler diesen Reichthum in einfachere Massen auffaßte, und durch das, was er anzudeuten unterließe, das Schoͤnste in der Wirklichkeit erst in das Große fuͤr die Kunst verwandelte. So viel ist gewiß, Claude Lorrain, der in der naͤmlichen Natur lebte und mahlte, ist in einem edleren Styl mit ihr umgegangen. Und dann hat Hackerts Landschaft noch einen wesentlichen Mangel: der Schatten im Ganzen fehlt. Alles steht in schimmerndem Licht und reinen Farben da. ” Reinhold. Das Kritisiren lassen Sie sich denn doch nicht gaͤnzlich untersagen, Louise. Waller. Wie billig. Wir koͤnnen nicht charakterisiren, ohne daß darin auf gewisse Weise ein Urtheil enthalten waͤre. — Jch gestehe, die Beschreibung hat mir groͤßere Sehnsucht nach dem Lago Salernitano erregt, (denn dieser ist, wie ich hoͤre, der Mittelpunkt der Aussicht) als nach dem Gemaͤhlde, das ich noch nicht Gelegenheit hatte zu sehen. Louise. Jetzt muͤssen Sie mir nach Deutschland zuruͤck folgen, und zwar zu unsern ehrenfesten Vorfahren. Jch habe ein altes Portraͤtstuͤck beschrieben. Waller. Das Portraͤt sollte vorzuͤglich ein Deutsches Talent seyn, da wir eine so treue Nazion sind. Louise. Keinen Spott! Es giebt eine knechtische und eine freygesinnte, edle Treue, wovon Sie ein Beyspiel sehen sollen. “Die gute alte Zeit, wo ein Familiengemaͤhlde noch ein Denkmal der Froͤmmigkeit, nicht der Eitelkeit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0077" n="69"/> uͤber ihren Umfang hinaus, unendlich zu werden. Auch ließe sich denken, daß ein Kuͤnstler diesen Reichthum in einfachere Massen auffaßte, und durch das, was er anzudeuten unterließe, das Schoͤnste in der Wirklichkeit erst in das Große fuͤr die Kunst verwandelte. So viel ist gewiß, Claude Lorrain, der in der naͤmlichen Natur lebte und mahlte, ist in einem edleren Styl mit ihr umgegangen. Und dann hat Hackerts Landschaft noch einen wesentlichen Mangel: der Schatten im Ganzen fehlt. Alles steht in schimmerndem Licht und reinen Farben da. ”</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Reinhold</hi>. Das Kritisiren lassen Sie sich denn doch nicht gaͤnzlich untersagen, Louise.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Waller</hi>. Wie billig. Wir koͤnnen nicht charakterisiren, ohne daß darin auf gewisse Weise ein Urtheil enthalten waͤre. — Jch gestehe, die Beschreibung hat mir groͤßere Sehnsucht nach dem Lago Salernitano erregt, (denn dieser ist, wie ich hoͤre, der Mittelpunkt der Aussicht) als nach dem Gemaͤhlde, das ich noch nicht Gelegenheit hatte zu sehen.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Louise</hi>. Jetzt muͤssen Sie mir nach Deutschland zuruͤck folgen, und zwar zu unsern ehrenfesten Vorfahren. Jch habe ein altes Portraͤtstuͤck beschrieben.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Waller</hi>. Das Portraͤt sollte vorzuͤglich ein Deutsches Talent seyn, da wir eine so treue Nazion sind.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Louise</hi>. Keinen Spott! Es giebt eine knechtische und eine freygesinnte, edle Treue, wovon Sie ein Beyspiel sehen sollen.</p><lb/> <p>“Die gute alte Zeit, wo ein Familiengemaͤhlde noch ein Denkmal der Froͤmmigkeit, nicht der Eitelkeit </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [69/0077]
uͤber ihren Umfang hinaus, unendlich zu werden. Auch ließe sich denken, daß ein Kuͤnstler diesen Reichthum in einfachere Massen auffaßte, und durch das, was er anzudeuten unterließe, das Schoͤnste in der Wirklichkeit erst in das Große fuͤr die Kunst verwandelte. So viel ist gewiß, Claude Lorrain, der in der naͤmlichen Natur lebte und mahlte, ist in einem edleren Styl mit ihr umgegangen. Und dann hat Hackerts Landschaft noch einen wesentlichen Mangel: der Schatten im Ganzen fehlt. Alles steht in schimmerndem Licht und reinen Farben da. ”
Reinhold. Das Kritisiren lassen Sie sich denn doch nicht gaͤnzlich untersagen, Louise.
Waller. Wie billig. Wir koͤnnen nicht charakterisiren, ohne daß darin auf gewisse Weise ein Urtheil enthalten waͤre. — Jch gestehe, die Beschreibung hat mir groͤßere Sehnsucht nach dem Lago Salernitano erregt, (denn dieser ist, wie ich hoͤre, der Mittelpunkt der Aussicht) als nach dem Gemaͤhlde, das ich noch nicht Gelegenheit hatte zu sehen.
Louise. Jetzt muͤssen Sie mir nach Deutschland zuruͤck folgen, und zwar zu unsern ehrenfesten Vorfahren. Jch habe ein altes Portraͤtstuͤck beschrieben.
Waller. Das Portraͤt sollte vorzuͤglich ein Deutsches Talent seyn, da wir eine so treue Nazion sind.
Louise. Keinen Spott! Es giebt eine knechtische und eine freygesinnte, edle Treue, wovon Sie ein Beyspiel sehen sollen.
“Die gute alte Zeit, wo ein Familiengemaͤhlde noch ein Denkmal der Froͤmmigkeit, nicht der Eitelkeit
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/77 |
Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/77>, abgerufen am 18.07.2024. |