Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.versteinernden Medusenhaupte in unsre Schauspielhäuser oder Tanzsäle träte. Waller. Das gäbe Gruppen von Bernini, oder noch schlimmere. Für so viele Geberden und Bewegungen ist die Dauer eines Augenblicks schon zu lang: für beständig festgehalten, erscheinen sie in ihrer ganzen Blöße und Unwürdigkeit. Auch über das Unvollendete der Gestalt täuscht das Leben: aber die Bildnerey ist Wahrheit und über alle Täuschung erhaben. Jhre Schöpfungen sind wie Geister, die ihre äußre Hülle überall durchdrungen, und die Umgränzung derselben ihrem Wesen gemäß geordnet haben; sie können nun in dieser selbstgebildeten Welt mit ruhigem genügendem Daseyn beharren. Es ist eine sichtbare ewige Seligkeit. Louise. Die ich ihnen für jetzt noch gönne. Sie rufen beynah, wie jener Prophet in der Wüste: ich sage euch, Gott könnte dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. Aber was Sie sagten, gilt nur von den Olympiern, die schon ihren eignen Himmel haben; wo sollen in dem Jhrigen die Faunen Platz finden, die mit Nymphen scherzen, die Fechter, die im Ausfalle begriffen sind, die Helden, die sich in Todesnoth gegen umwindende Schlangen wehren? Waller. Vergessen Sie nicht, daß von keiner sittlichen, sondern von natürlicher Vollendung die Rede ist, die in der Durchbildung von innen heraus, in der Ausschließung des Zufälligen, der durchgängigen Bedeutsamkeit der Gestalt, und der Uebereinstimmung der beseelenden Kraft mit sich selbst, besteht. Was die versteinernden Medusenhaupte in unsre Schauspielhaͤuser oder Tanzsaͤle traͤte. Waller. Das gaͤbe Gruppen von Bernini, oder noch schlimmere. Fuͤr so viele Geberden und Bewegungen ist die Dauer eines Augenblicks schon zu lang: fuͤr bestaͤndig festgehalten, erscheinen sie in ihrer ganzen Bloͤße und Unwuͤrdigkeit. Auch uͤber das Unvollendete der Gestalt taͤuscht das Leben: aber die Bildnerey ist Wahrheit und uͤber alle Taͤuschung erhaben. Jhre Schoͤpfungen sind wie Geister, die ihre aͤußre Huͤlle uͤberall durchdrungen, und die Umgraͤnzung derselben ihrem Wesen gemaͤß geordnet haben; sie koͤnnen nun in dieser selbstgebildeten Welt mit ruhigem genuͤgendem Daseyn beharren. Es ist eine sichtbare ewige Seligkeit. Louise. Die ich ihnen fuͤr jetzt noch goͤnne. Sie rufen beynah, wie jener Prophet in der Wuͤste: ich sage euch, Gott koͤnnte dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. Aber was Sie sagten, gilt nur von den Olympiern, die schon ihren eignen Himmel haben; wo sollen in dem Jhrigen die Faunen Platz finden, die mit Nymphen scherzen, die Fechter, die im Ausfalle begriffen sind, die Helden, die sich in Todesnoth gegen umwindende Schlangen wehren? Waller. Vergessen Sie nicht, daß von keiner sittlichen, sondern von natuͤrlicher Vollendung die Rede ist, die in der Durchbildung von innen heraus, in der Ausschließung des Zufaͤlligen, der durchgaͤngigen Bedeutsamkeit der Gestalt, und der Uebereinstimmung der beseelenden Kraft mit sich selbst, besteht. Was die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0048" n="40"/> versteinernden Medusenhaupte in unsre Schauspielhaͤuser oder Tanzsaͤle traͤte.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Waller</hi>. Das gaͤbe Gruppen von Bernini, oder noch schlimmere. Fuͤr so viele Geberden und Bewegungen ist die Dauer eines Augenblicks schon zu lang: fuͤr bestaͤndig festgehalten, erscheinen sie in ihrer ganzen Bloͤße und Unwuͤrdigkeit. Auch uͤber das Unvollendete der Gestalt taͤuscht das Leben: aber die Bildnerey ist Wahrheit und uͤber alle Taͤuschung erhaben. Jhre Schoͤpfungen sind wie Geister, die ihre aͤußre Huͤlle uͤberall durchdrungen, und die Umgraͤnzung derselben ihrem Wesen gemaͤß geordnet haben; sie koͤnnen nun in dieser selbstgebildeten Welt mit ruhigem genuͤgendem Daseyn beharren. Es ist eine sichtbare ewige Seligkeit.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Louise</hi>. Die ich ihnen fuͤr jetzt noch goͤnne. Sie rufen beynah, wie jener Prophet in der Wuͤste: ich sage euch, Gott koͤnnte dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. Aber was Sie sagten, gilt nur von den Olympiern, die schon ihren eignen Himmel haben; wo sollen in dem Jhrigen die Faunen Platz finden, die mit Nymphen scherzen, die Fechter, die im Ausfalle begriffen sind, die Helden, die sich in Todesnoth gegen umwindende Schlangen wehren?</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Waller</hi>. Vergessen Sie nicht, daß von keiner sittlichen, sondern von natuͤrlicher Vollendung die Rede ist, die in der Durchbildung von innen heraus, in der Ausschließung des Zufaͤlligen, der durchgaͤngigen Bedeutsamkeit der Gestalt, und der Uebereinstimmung der beseelenden Kraft mit sich selbst, besteht. Was die </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [40/0048]
versteinernden Medusenhaupte in unsre Schauspielhaͤuser oder Tanzsaͤle traͤte.
Waller. Das gaͤbe Gruppen von Bernini, oder noch schlimmere. Fuͤr so viele Geberden und Bewegungen ist die Dauer eines Augenblicks schon zu lang: fuͤr bestaͤndig festgehalten, erscheinen sie in ihrer ganzen Bloͤße und Unwuͤrdigkeit. Auch uͤber das Unvollendete der Gestalt taͤuscht das Leben: aber die Bildnerey ist Wahrheit und uͤber alle Taͤuschung erhaben. Jhre Schoͤpfungen sind wie Geister, die ihre aͤußre Huͤlle uͤberall durchdrungen, und die Umgraͤnzung derselben ihrem Wesen gemaͤß geordnet haben; sie koͤnnen nun in dieser selbstgebildeten Welt mit ruhigem genuͤgendem Daseyn beharren. Es ist eine sichtbare ewige Seligkeit.
Louise. Die ich ihnen fuͤr jetzt noch goͤnne. Sie rufen beynah, wie jener Prophet in der Wuͤste: ich sage euch, Gott koͤnnte dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. Aber was Sie sagten, gilt nur von den Olympiern, die schon ihren eignen Himmel haben; wo sollen in dem Jhrigen die Faunen Platz finden, die mit Nymphen scherzen, die Fechter, die im Ausfalle begriffen sind, die Helden, die sich in Todesnoth gegen umwindende Schlangen wehren?
Waller. Vergessen Sie nicht, daß von keiner sittlichen, sondern von natuͤrlicher Vollendung die Rede ist, die in der Durchbildung von innen heraus, in der Ausschließung des Zufaͤlligen, der durchgaͤngigen Bedeutsamkeit der Gestalt, und der Uebereinstimmung der beseelenden Kraft mit sich selbst, besteht. Was die
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/48>, abgerufen am 16.02.2025. |